Österreich:Gemeinsam zu Ende gezerrt

Die Koalition hat den Streit beigelegt und den Kurs bis zur Wahl 2018 festgelegt. Eine Obergrenze für Asylanträge ist nicht geplant.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

"Gemeinsam" - das Wort ist in den vergangenen Monaten in Wien wohl nie so häufig gefallen wie bei der Präsentation des neuen Arbeitsprogramms, das sich die Regierungspartner bis zur Wahl 2018 auferlegt haben. Tagelang hatte es Spitz auf Knopf gestanden, ob die Koalition überhaupt hält; bis zum Schluss hatte es geheißen, alles könne noch einmal kippen, weil einzelne Minister nicht, wie von Kanzler Christian Kern (SPÖ) gewünscht, das Gesamtpaket unterschreiben wollten. Aber schließlich fand das Gezerre doch ein gutes Ende, alle Kabinettsmitglieder unterzeichneten. Und so konnten Kern und sein ÖVP-Counterpart, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, am Montag um 14 Uhr erkennbar erleichtert ihr "gemeinsames Projekt" präsentieren.

Es gebe eine "gemeinsame Schnittmenge", betonte Kern; dies sei zur Abwechslung mal kein ÖVP- oder SPÖ-Programm, sondern ein Kompromisspapier. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen, in einer Zweiparteienkoalition, aber eben nicht in dieser, die sich bisher vor allem dadurch ausgezeichnet hatte, dass man sich gegenseitig der Unfähigkeit zieh. Nun soll alles anders sein. Konkret. Mit Fristen und Daten versehen, wann welcher Punkt abgearbeitet sein soll, wann welches Ministerium welche Vorlage abliefern soll.

36 Seiten wurden am Montag vorgelegt, und nicht nur für den Arbeitsmarkt gibt es durchaus konkrete Pläne. Unternehmen, die neue Jobs schaffen, wird über drei Jahre ein Teil der Lohnnebenkosten erstattet. Der Kündigungsschutz bei über 50-Jährigen soll gelockert werden, dafür soll es ein Beschäftigungsprogramm für ältere Arbeitnehmer geben. "Gemeinsam" will man sich auch für die Beschränkung eines Arbeitnehmerzuzugs aus ärmeren EU-Ländern einsetzen - ein Plan, den Kern vorgeschlagen hatte und bei dem doch vor allem Sozialdemokraten schlucken dürften.

Geschluckt hat wiederum die SPÖ, um des lieben Friedens willen, das "Symbolthema" (Kern) Vollverschleierungsverbot; erstaunlich einig war man sich wiederum bei Fußfesseln für sogenannte Gefährder. Entgegen früherer Gerüchte müssen darüber aber Gerichte entscheiden. Die Videoüberwachung von Autokennzeichen wird ausgebaut, ebenso die Vorratsdatenspeicherung. An einem gesellschaftspolitisch wichtigen Punkt haben sich eher die Sozialdemokraten durchgesetzt: In Zukunft, so Kern bei der Präsentation des Arbeitsprogramms, hätten auch Asylbewerber, nicht nur Asylberechtigte, Anspruch auf Deutschkurse, allerdings können Wertekurse im Rahmen eines "verpflichtenden Integrationsjahres" verlangt werden. Die auf 17 000 Asylanträge pro Jahr reduzierte Obergrenze, ein Lieblingsthema des ÖVP-Innenministers, kommt nicht, stattdessen sollen die Grenzkontrollen verschärft und die Migrationszahlen gesenkt werden. Abgelehnte Asylbewerber bekommen nur noch Sachleistungen und werden in gesonderten Einrichtungen festgesetzt.

Erste Reaktionen in den österreichischen Medien sind überwiegend positiv; Neuwahlen seien vom Tisch. Bundespräsident Alexander Van der Bellen, selbst erst seit wenigen Tagen im Amt, lobte das Ergebnis.

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