Österreich:Gefühlte Bedrohung

Die Regierung in Wien will die Abwehr von Flüchtlingen an seinen Grenzen weiter verschärfen - obwohl die Zahl der Asylbewerber inzwischen rückläufig ist.

Von Peter Münch, Wien

Österreichs Regierung warnt vor einem neuen Flüchtlingsansturm und kündigt Vorbereitungen zur Grenzsicherung an. Obwohl die Zahl der Asylbewerber weiter rückläufig ist, richtete Bundeskanzler Sebastian Kurz auf einer Klausurtagung des Kabinetts den Blick auf eine neue Balkanroute, die er als "Albanienroute" bezeichnete. Es gebe zwar noch keinen Grund, "alarmistisch zu sein", sagte er. Aber seine Regierung werde "alles tun, um eine Überforderung Österreichs wie im Jahr 2015 zu verhindern". Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ versicherte, "wir sind gerüstet, um an der Grenze zu stehen". Dort werde es "kein Durchkommen" für Flüchtlinge mehr geben.

Eine rigide Anti-Migrationspolitik ist der stärkste Kitt, der die Koalition aus ÖVP und FPÖ zusammenhält. Bei der Parlamentswahl im Oktober 2017 hatten beide Parteien mit diesem Thema gepunktet, Kurz hatte sich vor allem damit gebrüstet, 2015 die Balkanroute geschlossen zu haben. Zur Neuauflage des Themas kündigte Kickl nun noch für diese Woche Gespräche mit den Außenministern aus Griechenland und Slowenien an. Kurz empfängt am Mittwoch in Wien Albaniens Premierminister Edi Rama, der auf Österreichs bereits angekündigte Unterstützung für die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen setzt.

Die neue Bedrohung sieht die Regierung vor allem über eine Route, die von Griechenland über Albanien, Montenegro, Bosnien, Kroatien und Slowenien führt. Kurz verwies darauf, dass in Griechenland vom Jahresbeginn bis zum 20. Mai bereits mehr als 18 000 Flüchtlinge angekommen seien. Nach Angaben von Christoph Pinter vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Wien bewegen sich die Zahlen jedoch noch auf einem "sehr moderaten Niveau." Pinter verwies im ORF darauf, dass im Sommer die Zahlen naturgemäß anstiegen. In Österreich wurden in diesem Jahr bis Mai 5319 Asylanträge gestellt, im gesamten vergangenen Jahr waren es knapp 25 000, 2015 knapp 90 000.

Österreich will die Flüchtlingspolitik unter dem Motto "Europa schützen" auch zu einem Schwerpunkt seiner EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2018 machen. Kurz sprach sich bereits für eine schnelle Stärkung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex aus, die er im Kampf gegen illegale Migration auch in "Drittstaaten" außerhalb der EU einsetzen will. Sein Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) hatte vorige Woche bei einem Brüsselbesuch für einiges Aufsehen gesorgt, als er Frontex vorwarf, "fast als Schlepperorganisation" tätig zu sein.

Bundeskanzler Kurz kündigt an, "die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme" zu bekämpfen

Auch innenpolitisch setzt die Regierung in Wien weiter Akzente in der Migrationspolitik. Am Montag wurde eine Reform der Mindestsicherung, also der Sozialhilfe, vorgestellt, die geringere Zahlungen an Flüchtlinge vorsieht. Um einen monatlichen Abschlag von 300 Euro auf den Maximalbetrag von 863 Euro zu vermeiden, müssen sie demnach ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen. Ziel sei es, "die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme zu bekämpfen", erklärte Kurz. Zu klären ist noch, ob das mit EU-Recht kompatibel ist. Kritiker der Regierungspläne verweisen auf eine EU-Richtlinie, wonach Asylberechtigten der Zugang zur Sozialhilfe in gleichem Maße wie den Staatsangehörigen zu gewähren sei. In Arbeit ist zudem eine Asylrechtsnovelle, deren Kernpunkte darauf abzielen, Flüchtlinge abzuschrecken, nach Österreich zu kommen.

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