Österreich:Fast verdurstet

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Unter Verdacht: Die vier Männer, die für den Tod von 71 Flüchtlingen mitverantwortlich sein sollen, wurden am Samstag dem Richter vorgeführt. (Foto: Attila Kisbenedek/AFP)

Nur einen Tag nach dem Fund von 71 Leichen entdeckt die Polizei mehrere Flüchtlinge in einem Lastwagen, darunter drei geschwächte Kleinkinder.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Kurz nach dem Fund der 71 Leichen, die ein Schlepper in einem Lastwagen auf einer Autobahn bei Wien abgestellt hatte, konnte die nächste Flüchtlingstragödie in Österreich gerade noch verhindert werden. Wie am Samstag bekannt wurde, hatte die Polizei schon am Freitag nahe der deutschen Grenze bei Braunau einen Lastwagen mit 26 Flüchtlingen gestoppt. Darin hatten sich unter anderem auch drei stark dehydrierte Kleinkinder befunden, die in einem äußerst kritischen Zustand gewesen seien. Wären sie nicht gefunden worden, sagte ein Polizeisprecher, hätten die Kinder wohl nur noch wenige Stunden überlebt.

Nach einer Behandlung im Krankenhaus waren sie auf dem Weg der Besserung, verließen dann die Klink, hieß es am Sonntagabend. Die Flüchtlinge im Lastwagen - aus Syrien, Afghanistan und Bangladesch - hätten Deutschland als Ziel angegeben. Der Fahrer, ein 29-jähriger Rumäne, sei festgenommen worden. Auch in der Slowakei wurden am Wochenende Flüchtlinge aus Kleintransportern befreit. Die ungarischen Fahrer müssen mit einem Strafverfahren rechnen. Die 59 syrischen Flüchtlinge sollen nach Ungarn abgeschoben werden, weil sie dort zuerst EU-Gebiet betreten haben.

Noch sind nicht alle Toten von der A4 identifiziert. Lediglich ein syrischer Pass wurde gefunden

Im Zusammenhang mit dem Leichenfund in dem Transporter auf der A4 vom Donnerstag hat die ungarische Polizei indes einen weiteren Tatverdächtigen festgenommen; vier mutmaßliche Täter waren schon am Samstag verhaftet worden. Der fünfte sei dann in der Nacht zum Sonntag verhaftet worden, teilte die ungarische Polizei mit. Gegen den Mann, einen Bulgaren, werde, wie gegen die anderen, wegen des Verdachts auf Menschenschmuggel ermittelt.

Die ungarischen Ermittler gehen davon aus, dass die Schlepper ihre Fahrt in Kecskemét in Zentralungarn begonnen hatten und dass die Flüchtlinge, die sie auf engstem Raum in den Laster gepresst hatten, auch bereits in Ungarn gestorben sind.

Berichte, dass es einen Zuständigkeitsstreit zwischen ungarischen und österreichischen Ermittlern und Gerichten gebe, wies eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Eisenstadt am Sonntag zurück. Prinzipiell betrachtet sich aber die Staatsanwaltschaft im Burgenland ebenfalls als verantwortlich für die Anklage gegen die Männer - vier Bulgaren und einen Afghanen mit ungarischer Identitätskarte. Die Staatsanwaltschaft des ungarischen Komitats Bács-Kiskun hatte zuvor aber bereits angekündigt, die Verdächtigen würden bis zum 29. September dort in Untersuchungshaft bleiben, falls das Gerichtsverfahren gegen sie nicht schon vorher beginne.

Unterschiedliche Ansichten und Angaben gibt es von den burgenländischen und den ungarischen Behörden auch zu der fünften verhafteten Person. Entgegen bisheriger Angaben sei der Halter des Lasters nicht unter den Verhafteten, heißt es auf ungarischer Seite. Die vier zuerst Verhafteten hätten den Lastwagen genutzt, der Besitzer habe aber, so der Gerichtspräsident des Kreisgerichts in Kecskemét, gemäß den bisherigen Ermittlungen mit dem Fall nichts zu tun. Anders sieht das der burgenländische Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil. Der Nachrichtenagentur APA sagte er, auch der Mann, der die Zulassung für den Lkw in Ungarn beantragt habe, sei unter den Verhafteten.

Die Verhafteten wurden am Wochenende nach Angaben ungarischer Medien in vier einzelnen Polizeiwagen zum Gericht gebracht. Sie sollen von Polizeibeamten an Ledergurten ins Gebäude geführt worden sein. Bisher bestreiten die Männer offenbar alle Tatvorwürfe; sie hätten mit der Sache nichts zu tun. Sie alle legten Berufung gegen ihre Verhaftung ein.

In Österreich wird derweil der Lastwagen untersucht, in dem die Leichen gefunden wurden. Dabei soll nach Hinweisen auf die Identität der 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder gesucht werden, um deren Hinterbliebene informieren zu können. Bislang sei aber lediglich ein syrischer Pass aufgetaucht, heißt es. Die Ermittler konzentrierten sich daher auf die Handys der Toten, man sei aber auch auf Hinweise von Angehörigen angewiesen. Die Polizei richtete eine rund um die Uhr auch mit Dolmetschern besetzte Hotline ein. Parallel läuft die Obduktion der Leichen in Wien. Dies werde noch mindestens bis Mitte der Woche dauern, hieß es. Was danach mit den Toten geschehe, sei noch nicht klar.

Ungarns rechts-konservative Regierung plant indes, Tausende Flüchtlinge direkt an der Grenze zu Serbien zu internieren. Asylbewerber, die Ungarn über die Balkan-Route erreichen, sollen in einer 60 Meter breiten Zone entlang der Grenze festgehalten werden, bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist. Dies sieht der Entwurf eines Gesetzespaketes vor, der am Freitag im Parlament in Budapest eingereicht wurde. Das Paket sieht auch die Erhöhung des Strafmaßes für Schleppertätigkeiten vor. Die Bestimmungen sollen nach den Wünschen der Regierung Mitte September in Kraft treten.

© SZ vom 31.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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