Österreich:Das Polit-Desaster

Die jungen Österreicher haben zu 43 Prozent rechtsradikal gewählt. Nun droht auch der Versuch zu scheitern, gegen die Rechten eine große Koalition zwischen ÖVP und SPÖ zu schmieden.

Michael Frank, Wien

Wie unterschiedlich menschliche Reife gedeutet werden kann, lässt sich derzeit an einer Wiener Groteske besichtigen. Im Theater an der Wien ist das von Martin Kusej und Nikolaus Harnoncourt inszenierte und dirigierte Werk "The Rake's Progress" von Igor Strawinskys wegen einiger Nacktszenen mit Jugendverbot belegt worden.

Österreich: Verhandlungen blockiert: SPÖ-Chef Faymann (links) und ÖVP-Chef Pröll.

Verhandlungen blockiert: SPÖ-Chef Faymann (links) und ÖVP-Chef Pröll.

(Foto: Foto: Reuters)

Das gilt auch für 16- bis 18-Jährige. Angeblich zu unreif für ein paar erotische Turnübungen, sind sie aber reif genug, über das Schicksal des Landes zu bestimmen: Sie durften am 28. September erstmals das neue Parlament mitwählen.

Die gescheiterte Koalition aus Sozialdemokraten (SPÖ) und Volkspartei (ÖVP) hatte ohne öffentliche Debatte in Österreich als erstem Land Europas das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt. Das Ergebnis: 43 Prozent der 16- bis 30-jährigen Österreicher haben rechtsradikal gewählt, die Freiheitlichen (FPÖ) und das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ).

Die Ausbeute für die Großkoalitionäre war desaströs, dennoch schienen sie entschlossen, dies in der Bevölkerung beinahe verhasste Bündnismodell fortsetzen zu wollen. Zumindest bis zum Wochenende. Die ÖVP, die als Juniorpartner in eine Regierung unter dem SPÖ-Parteichef und Kanzleraspiranten Werner Faymann eintreten sollte, hat plötzlich alles unterbrochen.

Nach fast acht Wochen des Verhandelns, dessen Ergebnis niemand recht kennt, hat der designierte ÖVP-Chef Josef Pröll erklärt: Erst wenn die SPÖ einen Katalog von zehn Fragen zur Zufriedenheit der Christsozialen beantworte, werde man weiterreden.

Dabei hat man so notwendige Dinge wie die große Staatsreform schon aufgeschoben, mangels einer Mehrheit, die die Verfassung ändern könnte. Bei der grundsätzlich unstrittigen Steuerreform will die SPÖ nur die Niedrigverdiener begünstigen, die ÖVP aber "alle Steuerzahler", also auch die Reichen entlasten. Pröll hat die Notbremse gezogen, weil große Teile seiner Partei nackte Angst haben, die Christsozialen könnten zerrieben werden.

Rechtsradikaler Kanzler

Nach dem Scheitern der letzten großen Koalition sind SPÖ und ÖVP zu Mittelparteien geschrumpft. Die Volkspartei hat gerade noch 26 Prozent geschafft. Analytiker sagen, komme eine neue große Koalition, dann würden die Rechten von FPÖ und BZÖ - beide zusammen haben jetzt schon 29 Prozent - die Bürgerlichen regelrecht ausweiden.

Eine düstere Prognose, denn wenn auch keineswegs alle ihre Wähler rechtsradikal denken und fühlen, so lassen FPÖ und BZÖ selbst keinen Zweifel an ihren Haltungen. Noch so eine Protestwahl und Heinz-Christian Strache könnte Österreichs neuer Bundeskanzler sein, unken Kommentatoren. Eine Protestalternative auf der Linken wie etwa in Deutschland gibt es nicht.

Das Polit-Desaster

Landesparteivorsitzende plädieren für den Zug in die Opposition, ein stellvertretender ÖVP-Vorsitzender aus der Steiermark hat sein Amt hingeschmissen.

In der Partei ringen jene, die sich nach Jahrzehnten der lukrativen Machtteilhabe nicht von den Trögen des Staatsapparates trennen mögen, mit jenen, die Erneuerung nur in der Opposition für möglich halten. Moderne, einigermaßen liberale Geister wie etwa der einstige EU-Kommissar Franz Fischler plädieren für die Opposition.

Der Ruf, noch immer neoliberale Politik nach dem Muster des einstigen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel im Sinn zu haben, hängt der ÖVP angesichts der drohenden Wirtschaftskrise bleischwer an den Gliedern. Durch die Schüssel-Zeit ist auch der Ausweg verbaut, sich wieder mit der FPÖ zu verbünden, zumal man sich so den Parasiten selbst in den Pelz setzen würde.

Ziel große Koalition

Die Sozialdemokraten und deren Parteichef Faymann setzen ganz auf die große Koalition. Sie glauben, den Verdruss der Wähler weniger fürchten zu müssen. SPÖ und FPÖ ringen jeweils um die Stimmen der Benachteiligten in der Gesellschaft.

Die Forderungen im sozialen Bereich unterscheiden sich kaum, nur die ideologische Unterfütterung, was vielen Wählern egal ist. Faymann sucht zwar den aufrechten Demokraten zu geben, und hat deshalb von vornherein jede Koalition mit FPÖ oder BZÖ ausgeschlossen - nicht aber die Zusammenarbeit.

Auch kritische Kommentatoren meinen, es sei Zeit für eine Minderheitsregierung: also für ein reines SPÖ-Kabinett, das sich von Fall zu Fall Unterstützung bei allen anderen Parteien holt. Genau das ist ja bereits bei einer spektakulären Nationalratssitzung direkt vor der Wahl geschehen.

Und in der Europafrage liegt die SPÖ längst auf dem populistischen FPÖ-Kurs, neue EU-Verträge einer Volksabstimmung zu unterziehen. Das war ein Grund, warum die alte Koalition geplatzt ist. Hier kann die ÖVP um ihrer Identität willen nicht mit.

Straches FPÖ würde bei einer Minderheitsregierung mitspielen, um sich sozial zu profilieren. Die Grünen, die die Armutsbekämpfung als letztes glaubwürdiges soziales Anliegen betreiben, wären ebenso dazu bereit, trotz der Aussicht, von Fall zu Fall mit den Rechtsradikalen im selben parlamentarischen Boot zu sitzen.

Natürlich könnte eine solche "Koalition" nicht allzu lange durchhalten. Wiederum wären vorgezogen Neuwahlen die Folge. Doch hofft die SPÖ darauf, dass die Wähler noch immer den "Verweigerer" abstrafen, also die ÖVP, selbst wenn er eine ungeliebte Regierungskonstellation verhindert hat.

Ein Präzedenzfall ist gut in Erinnerung: 1970 bildete Bruno Kreisky eine Minderheitsregierung unter Duldung der FPÖ und gewann 1971 die absolute Mehrheit, nach Jahrzehnten der ÖVP-Dominanz.

Nur hatte Kreisky ein anderes Format, als die heute in Österreich agierenden Politiker. Zweifelhaft ist zudem, ob sich Bundespräsident Heinz Fischer auf so ein Experiment einließe.

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