Österreich:Da geht noch was, Herr Van der Bellen

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Österreichs Staatspräsident ist bislang vor allem in der Deckung geblieben. Dabei sollte er unbequem sein und eine starke Meinung vertreten.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Der Wahlkampf dauerte fast ein Jahr lang, und am Entscheidungstag im vergangenen Dezember waren so viele internationale Beobachter nach Wien gekommen, als würde Österreich eine Rakete zum Jupiter schicken. Die Wahl galt als "Schicksalswahl" für die EU, und als der ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen mit deutlicher Mehrheit zum Präsidenten gewählt worden war, atmete Europa erleichtert auf.

Das strukturkonservative Österreich hatte sich für einen linksliberalen, berechenbaren Staatschef entschieden - statt für dessen Konkurrenten von der FPÖ, Norbert Hofer. Für einen Politiker also, der "Willkommenskultur" sagen konnte, ohne in Zuckungen zu geraten und der seine Amtsgewalt zurückhaltend ausüben wollte, anstatt, wie Hofer, zu drohen, man werde sich noch " wundern, was alles möglich ist". Das galt als gutes Zeichen, und als Ermutigung im Kampf gegen den Rechtspopulismus galt es auch.

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Im Nachbarland zeigt sich ein alarmierender Trend: Einer Studie zufolge wenden sich immer mehr Menschen von der Demokratie ab, 31 Prozent sehen auch Gutes in der NS-Zeit.

Von Cathrin Kahlweit

"Gegen Kleinstaaterei, für Europa" - Das war es auch schon fast

Nun ist Van der Bellen hundert Tage im Amt, und mancher fragt sich, ob nicht ein bisschen mehr möglich wäre. Der honorige Wirtschaftsprofessor hat ein paar Zeichen gesetzt.

Er hat, als Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer als "NGO-Wahnsinn" bezeichnete, demonstrativ Vertreter von Nichtregierungsorganisationen in die Hofburg eingeladen. Er hat sich gegen das wachsende Gewicht nationalistischer Parteien und gegen "Kleinstaaterei" ausgesprochen - und sich von jenen Kräften abgesetzt, die unter Solidarität in Europa vor allem verstehen, gemeinsam Grenzen zu schließen.

Er hat seine erste Auslandsreise nach Brüssel gemacht und dort eine Rede gehalten, die früher, in den guten alten Zeiten der EU, als Ansammlung von Selbstverständlichkeiten gewertet worden wäre, heute aber schon als Ausnahme gelten muss: "Die europäische Idee ist groß. Sie ist einzigartig. Sie ist aller Mühen wert."

Van der Bellen ist kein starker Präsident. Der Mann schweigt viel

Ansonsten ist der Mann, der bei Amtsantritt als Österreichs "Anti-Trump" gefeiert wurde, vor allem in der Deckung geblieben. Zum einen entspricht das seinem Charakter, zum anderen seinem Amtsverständnis. Er will mehr Staatsnotar sein als Korrektiv der Regierung und ist damit seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier sehr ähnlich.

Schlagzeilen machte Van der Bellen jüngst, weil er vor Schülern laut darüber nachdachte, wegen wachsender Islamophobie könne der Tag kommen, "wo wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen, aus Solidarität gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun".

Es war ein Debattenbeitrag über den Zusammenhang von Religion, Zivilcourage und Recht, aber der Shitstorm, den er auslöste, dürfte dazu führen, dass sich der Präsident noch mehr zurücknimmt.

Als "Präsident für alle" bleibt er konturlos

Dabei wäre das Gegenteil nötig.Fast die Hälfte der Österreicher wünschen sich einen "starken Mann" an der Spitze des Staates. Ein Mahner, ein Zurechtrücker, ein Vorkämpfer für Menschenrechte und Menschlichkeit könnte das politische Vakuum aktiv nutzen, das viele Bürger spüren - und damit ein Zeichen demokratischer Stärke setzen.

Die Regierung in Wien ist in einer Endlosschleife gegenseitiger Zumutungen gefangen; FPÖ-Kandidat Hofer hatte im Wahlkampf verkündet, er werde die Regierung entlassen, wenn sie nicht spurt.

Van der Bellen hingegen wollte sich nie in die konkrete Arbeit einmischen, zudem will er offenbar auch den Konservativen beweisen, dass er ein Präsident für alle ist und seine Wahl kein Fehler war.

Dabei wäre es jetzt an der Zeit, sich von der Wiener Hofburg aus über Form, Stil und Umgang zu äußern, die symptomatisch sind für die Verrohung der politischen Sitten im Land. Ein Bundespräsident muss sichtbar sein, streitbar, und sich die Freiheit einer Meinung leisten.

Zu Europa, zu Kopftüchern, zur Demokratie. Zu allem, was zählt.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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