Österreich:Alles, nur keine Pilgerstätte

Braunau am Inn: HITLERS GEBURTSHAUS

Über die Zukunft von Hitlers Geburtshaus debattieren Historiker.

(Foto: Johannes Simon)

Das Geburtshaus von Adolf Hitler kann bald enteignet werden. Das Ziel: Neonazis ein Reiseziel nehmen.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Eine "historische Anekdote" nennt der Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes, Gerhard Baumgartner, die Tatsache, dass Adolf Hitler in einem unauffälligen, gelb angestrichenen Haus im Stadtzentrum von Braunau am Inn geboren ist. Anekdoten sind normalerweise lustig, aber diese bereitet der Stadt Braunau und dem Innenministerium in Wien Bauchschmerzen. Am Dienstag hat die rot-schwarze Koalition in Wien beschlossen, dass das Haus in der Salzburger Vorstadt Nr. 15 enteignet wird. Nach der Sommerpause soll vom Nationalrat ein entsprechendes Gesetz beschlossen werden, dann wird vollstreckt. Denn Hitlers Geburtshaus ist seit Jahren ein Ärgernis, damit soll es nun ein Ende haben.

Man wolle verhindern, dass das Gebäude in Braunau weiterhin Pilger- und Gedenkstätte für die "neuen Ewiggestrigen" ist, heißt es, denn die Immobilie, die 1938 von der Besitzerfamilie für eine stattliche Summe an die NSDAP verkauft und nach dem Krieg zu einem weit niedrigeren Preis zurückgekauft worden war, ist seit jeher Anziehungspunkt für Neonazis und andere Sonderlinge, aber auch für eher unpolitische Touristen, die, sobald sie nach Braunau am Inn kommen, nach dem Hitlerhaus fragen, um sich davor fotografieren zu lassen. Die Eigentümerin, eine alte Dame, hatte in den vergangenen Jahren Renovierung oder Umbau verweigert, das Haus stand leer. Seit 1972 ist das Innenministerium Mieterin, aber ein vernünftiges Nutzungskonzept scheiterte bis heute sowohl an der Eigentümerin wie an einem fehlenden Konsens darüber, was denn nun mit dem Haus geschehen solle.

Das wird nun, nachdem die Enteignung durch ist, eine Historikerkommission beratschlagen, in der unter anderem der renommierte Wiener Zeithistoriker Oliver Rathkolb sitzt. Er plädiert dafür, die Kommission erst einmal arbeiten zu lassen, das Ganze sei schließlich eine "schwierige Frage": Soll man abreißen, wie es Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) präferiert, oder banal nutzen, mit einem Supermarkt oder einer Kneipe, oder politisch aufwerten mit einer Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus etwa? Rathkolb spricht sich eher für eine "antizyklische, antimystische Nutzung" aus; so kann er sich vorstellen, dass eine Behinderteneinrichtung einzieht. Der Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes, Baumgartner, sagte im ORF, man lasse dem Haus "zu viel der Ehre" angedeihen, wenn man daraus ein Museum mache. Er plädiert dafür, das Ganze in ein Geschäftshaus oder ein Feuerwehrhaus umzuwidmen. Etwas, vor dem sich Neonazis nicht unbedingt fotografieren wollen.

Die Debatte klingt so, als werde das Haus nicht zu jenem "Haus der Verantwortung", als das es der Innsbrucker Politikwissenschaftler Andreas Maislinger seit Langem imaginiert. Er hat es sich zur Gewohnheit gemacht, jedermann zu fragen, was mit dem Geburtshaus von Adolf Hitler geschehen soll. Aber eine klare Antwort steht noch aus.

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