Öresund:Grenzkontrollen spalten eine ganze Region

Öresund: Grenzen dicht: In der Öresund-Region werden Durchreisende akribisch kontrolliert. Das kostet Zeit und trifft vor allem die Pendler.

Grenzen dicht: In der Öresund-Region werden Durchreisende akribisch kontrolliert. Das kostet Zeit und trifft vor allem die Pendler.

(Foto: AFP)
  • Seit einem Jahr gibt es wieder Grenzkontrollen zwischen Dänemark und Schweden. Grund dafür ist die Flüchtlingskrise und die sehr unterschiedlichen Reaktionen beider Länder darauf.
  • Vor allem Berufspendler leiden unter den Staus und Verzögerungen.
  • In der Metropolregion Kopenhagen/Malmö überqueren jeden Tag knapp 100 000 Menschen die Grenze.

Von Silke Bigalke

Die Unsicherheit hat Sofie Evander Coe am meisten gestresst. Sie wusste ja nie, ob sie es dieses Mal rechtzeitig nach Hause schaffen würde, über die Grenze. Die alleinerziehende Mutter wohnte mit ihren beiden Töchtern in Malmö und arbeitete in Kopenhagen. Bis vor einem Jahr war das kein Problem, da brauchte sie über die Öresundbrücke von Tür zu Tür höchstens eine Stunde. Das schwedische Malmö fühlte sich an wie ein Vorort der dänischen Hauptstadt, sagt sie. Doch das war vor den Kontrollen.

Wer heute mit dem Zug von Kopenhagen ins schwedische Malmö fährt, muss seinen Ausweis gleich zwei Mal vorzeigen. Hinter der Grenze, auf schwedischer Seite, kontrolliert die Polizei. Vor der Grenze müssen Bus-, Bahn- und Fährunternehmer die Identität ihrer Passagiere überprüfen, andernfalls drohen Geldstrafen. Die Checks sind eine Idee der schwedischen Regierung: Flüchtlinge ohne Ausweis sollen es so gar nicht erst ins Land schaffen. Seit Anfang 2016 gibt es diese doppelte Kontrolle.

Betroffen sind vor allem die knapp 100 000 Menschen, die jeden Tag den Öresund überqueren. Mehr als 15 000 von ihnen sind Pendler, für sie sind die Kontrollen ein täglicher Hindernislauf. Wo sie früher mit dem Zug nach Malmö durchfahren konnten, müssen sie nun am Flughafen Kopenhagen-Kastrup aussteigen, durch die Flughafenvorhalle auf das gegenüberliegende Gleis laufen, dort durch eine Absperrung. Von dieser Woche an soll das zwar einfacher werden, Passagiere sollen wenigstens nicht mehr das Gleis wechseln müssen. Doch die Kontrollen bleiben. Und beim ersten Halt in Schweden laufen dann noch mal Polizisten durch die Waggons.

Schon seit den Fünfzigerjahren gibt es eine Passunion

In der Stoßzeit fällt durch den Aufwand bisher etwa jeder zweite Zug weg. Wer in einer Großstadt wohnt, weiß, was das bedeutet: doppeltes Quetschen, doppeltes Warten, meist 20 Minuten statt der üblichen zehn, wenn man den Anschluss verpasst. Manchmal wurde es auf dem Bahnsteig am Flughafen so eng, dass die Sicherheitsleute überhaupt keinen mehr durchgelassen haben.

Pendlerin Sofie Evander Coe brauchte mal anderthalb Stunden nach Hause, mal drei. Als sie wieder einmal festsaß, musste sie ihre elfjährige Tochter losschicken, um die Fünfjährige von der Kita abzuholen. Danach beschloss sie, nach Kopenhagen umzuziehen. Jetzt fährt sie 15 Minuten mit dem Rad ins Büro, sie arbeitet bei einem IT-Unternehmen. Kopenhagen ist teurer, ihre Wohnung nur halb so groß wie die in Malmö. Die Kinder müssen neue Freunde finden, eine andere Sprache sprechen. "Das war ein ziemlich drastischer Schritt", sagt sie. Aber nun hat sie täglich drei Stunden mehr Zeit.

Für die Menschen in der Öresund-Region fühlt es sich besonders befremdlich an, ihren Ausweis an der Grenze vorzeigen zu müssen. Seit den Fünfzigerjahren sind sie das nicht mehr gewohnt. Damals haben die Nordischen Länder eine Passunion geschaffen, lange vor dem Schengen-Abkommen. Den größten Effekt hätten die Kontrollen nun "auf das Selbstverständnis, dass man in einer grenzenlosen Region lebt", sagt Johan Wessman, Geschäftsführer des Öresund-Instituts. Denn nun sei die Grenze sehr sichtbar.

Aus den Städten sollte eine Metropolregion werden

Das Öresund-Institut hat 400 Pendler befragt, 39 Prozent von ihnen überlegen, den Job zu wechseln, um in dem Land zu arbeiten, in dem sie leben. 29 Prozent erwägen umzuziehen. Das südschwedische Verkehrsunternehmen Skånetrafiken berichtet, es habe vergangenes Jahr bereits 17 Prozent seiner Fahrgäste auf der Öresund-Strecke verloren, beim dänischen Pendant DSB sind es zwölf Prozent.

Die Grenzkontrollen und ID-Checks sollten eigentlich Mitte Februar zu Ende sein. Vergangene Woche hat die EU-Kommission jedoch erlaubt, dass Schweden sie bis Mitte Mai verlängern darf, dasselbe gilt für Deutschland, Dänemark, Österreich und Norwegen. Schwedens Innenminister Anders Ygeman hat angedeutet, dass seine Regierung wohl weiterhin kontrollieren wird, auch wenn noch nichts entschieden ist. Es gebe wenig Anzeichen dafür, dass sich die Lage seit der letzten Verlängerung im November geändert habe, sagte er.

Aktuelles Lexikon: Aus dem Ruder laufen

Große Ereignisse wie die Flüchtlingskrise verleiten dazu, sie in Bildern auszudrücken. Von der "Welle" reden die einen gerne, um die große Zahl der Schutzsuchenden darzustellen, vergessen dabei aber manchmal, welche Vorstellung diese Metapher transportiert: Bedrohung durch eine gefährliche "Welle". Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat jetzt, ganz selbstkritisch, geäußert, die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sei "aus dem Ruder gelaufen". Die Situation sei unkontrollierbar gewesen, soll das heißen. Auch die Ruder-Metapher ist eine, die auf die hohe See führt. Trifft zu viel Wind auf die Segel eines Schiffes, krängt es zu stark, wie der Seemann sagt. Es neigt sich zur vom Wind abgekehrten Seite, also nach Lee, die Kraft des Ruders wirkt nicht mehr vertikal, sondern fast horizontal. Das Schiff dreht in den Wind oder aus dem Wind, es läuft aus dem Ruder. Jetzt muss die Mannschaft schnell reagieren, um es wieder auf Kurs zu bringen. In der Metapher steckt Wahres, schließlich hat die Regierung in stürmischer Zeit kräftig umgesteuert und, wenn man so will, die Willkommenskultur über Bord geworfen. Genau genommen kommen auch bei Schäuble die Flüchtlinge als Bedrohung daher, als Sturm, der den Staat in Schieflage bringt. Solche Wasser-Wellen-Wind-Vergleiche in der Asylpolitik sind voll bitterer Ironie. Sind es doch die Boote mit Abertausenden Flüchtlingen, die untergehen. Bernd Kastner

Ygeman hat auch erklärt, dass er Grenzkontrollen und ID-Checks gerne auf dänischer Seite zusammenlegen würde. Doch gegen schwedische Grenzpolizisten auf dänischem Boden sträuben sich die Dänen. Die skandinavischen Nachbarn sind in der Sache ohnehin nicht gut aufeinander zu sprechen: Die Flüchtlingspolitik der Länder hätte vor den Kontrollen unterschiedlicher kaum sein können. Die Dänen setzten auf Abschreckung und nannten die Schweden naiv. Die Schweden setzten auf Offenheit und warfen den Dänen vor, ihren Teil der Verantwortung nicht zu übernehmen.

Eine Kehrtwende in der Asylpolitik

Im Herbst 2015 kamen dann so viele Flüchtlinge nach Schweden, dass die rot-grüne Regierung die Öresundbrücke am liebsten ganz gesperrt hätte. Malmö und die Region in Südschweden müssen die Kehrtwende in der Asylpolitik nun ausbaden. "Die Leute haben Vertrauen in die Regierung verloren, wegen deren Desinteresse in unserer Region", sagt Niels Paarup-Petersen, Regionalpolitiker der liberal-konservativen Zentrumspartei und Gründer der Protestgruppe Öresundrevolutionen.

Ziel der Städte am Öresund war es, zu einer Metropolregion mit vier Millionen Einwohnern zusammenzuwachsen, sie hat schon einen Namen: Greater Copenhagen. Die Kontrollen stellen das Projekt infrage: "Brutal gesagt, ist es wie Ost- und Westberlin mit und ohne Mauer", sagt Per Tryding von der südschwedischen Handelskammer. "Besser ist ohne." Früher galt: Wer in Malmö oder Lund wohnte, der habe Kopenhagen stets mitgedacht, um dort Arbeit zu suchen oder Mitarbeiter. "Der Raum im Kopf war groß." Nun berichteten Firmen, dass sie Schwierigkeiten hätten, Leute zu finden. Für einige Verluste soll die schwedische Regierung aufkommen, 565 Pendler haben auf Entschädigung geklagt.

Fredrick Federley sitzt für die Zentrumspartei im EU-Parlament, er hat die Kommission um eine Stellungnahme zu den Schweden-spezifischen doppelten Kontrollen gebeten. Schweden argumentiert, diese seien wichtig für die innere Sicherheit. "Wenn das nicht als unzulässig beurteilt wird, werden es andere Länder kopieren", sagt Federley. Es wäre für ihn das Ende der Freizügigkeit in Europa.

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