Oberster Gerichtshof:Wie Obama die konservative Total-Blockade durchbrechen will

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Der jüngst verstorbene einflussreiche Richter Antonin Scalia hinterlässt eine große Lücke im Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. (Foto: AFP)
  • Der konservative Supreme-Court-Richter Antonin Scalia verstarb Mitte Februar völlig unerwartet.
  • Nun will Barack Obama einen gemäßigten Kandidaten durchsetzen - in diesem Fall wäre die knappe republikanische Mehrheit am Obersten Gerichtshof dahin.
  • Die Republikaner wollen die Nominierung verzögern und sie für die Mobilisierung ihrer Anhänger bei der Präsidentschaftswahl nutzen.

Analyse von Matthias Kolb, Washington

Vier Wochen ist es nun her, dass der plötzliche Tod des konservativen Richters Antonin Scalia ein politisches Erdbeben in Washington auslöste. Scalia war der konservativste der neun Mitglieder des Obersten Gerichtshofes und hatte in 29 Jahren als Verfassungsrichter enormen Einfluss. Er etablierte die Theorie des Originalism: Die US-Verfassung müsse wörtlich ausgelegt werden, also so, wie sie Ende des 18. Jahrhunderts geschrieben worden ist.

Der 79 Jahre alte Scalia strotzte bis zuletzt vor Energie, und so kam sein Tod auf einer Luxus-Ranch in Texas (als Mitglied eines illustren Elite-Jäger-Clubs namens St. Hubertus) völlig überraschend. Weil in Zeiten des politischen Stillstands in Washington der Supreme Court meist die letzte Entscheidung trifft, waren die Republikaner entsetzt, dass ihre knappe 5-4-Stimmen-Mehrheit dahin war. Schnell legte sich Mitch McConnell, der oberste Konservative im Senat, fest: Die Republikaner werden gar nicht erst über jenen Kandidaten abstimmen, den der US-Präsident laut Verfassung vorschlagen muss.

Richter werden auf Lebenszeit ernannt

Die konservative Argumentation geht so: Weil die Richter des Supreme Court auf Lebenszeit berufen werden, kann Obama mit dieser Personalentscheidung die US-Politik auf Jahrzehnte beeinflussen. Da bald Wahlen stattfinden, solle der Demokrat die Nominierung seinem Nachfolger überlassen - die Wähler würden also am 8. November auch über die Ausrichtung des Obersten Gerichts abstimmen.

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Barack Obama, der einst Verfassungsrecht gelehrt hat, hält dies für wenig überzeugend und wird "in einigen Wochen" einen Kandidaten vorstellen. Laut New York Times überprüft die Bundespolizei FBI momentan vier angesehene Juristen. Das Kalkül scheint klar: Obama wird einen Richter nominieren, der bereits mit großer Mehrheit vom Senat bestätigt wurde. Und viel spricht dafür, dass die Strategen im Weißen Haus einen 81-Jährigen unter Druck setzen wollen, um die konservative Total-Blockade (die Republikaner stellen 54 der 100 Senatoren) zu durchbrechen.

Chuck Grassley heißt der Republikaner, der als Chef des Rechtsausschusses sehr mächtig ist. Bisher unterstützt er die Hardcore-Blockade, doch als Top-Kandidatin für die Scalia-Nachfolge gilt mit Jane Kelly eine Bundesrichterin, die aus Grassleys Heimat Iowa stammt und der er "hohe Integrität und einen ehrlichen Charakter" bescheinigt. 2013 wurde die 51-Jährige ohne eine Gegenstimme vom Senat bestätigt - an ihrer fachlichen Eignung besteht also kein Zweifel.

Wenn Obama Jane Kelly nominiert, so die Hoffnung im Weißen Haus, dann müsse Grassley zumindest eine Anhörung zulassen, um die Wähler in Iowa nicht zu verärgern. Und daran kann der 81-Jährige kein Interesse haben, denn er will im November zum siebten Mal gewählt werden.

Auch die drei anderen Kandidaten, die laut US-Medien vom FBI überprüft werden, wurden in der Vergangenheit mit überwältigender Mehrheit akzeptiert. Die 45 Jahre alte Ketanji Brown Jackson ist Afroamerikanerin und über zwei Ecken mit Paul Ryan, dem konservativen Speaker des Repräsentantenhauses verwandt. Weil der 49-jährige Sri Srinivasan in Indien geboren wurde, wäre er der erste Asian American, der am Obersten Gerichtshof miturteilt.

Und auch der mit 63 Jahren etwas ältere Chef des Berufungsgerichts in Washington, Merrick Garland, erhielt bei seiner Wahl 1997 viele Stimmen von konservativen Senatoren. Garland galt bereits 2010 als heißer Favorit für den Supreme Court; doch damals entschied sich Obama für Elena Kagan.

Die Washington Post spricht von sechs Kandidaten, die Obama in Erwägung zieht und nennt die Namen Paul J. Watford (Bundesrichter seit 2012) und Patricia Millet (Mitglied des Berufungsgerichts in Washington). Sich selbst aus dem Rennen genommen hat Loretta Lynch: Sie will sich auf ihr Amt als Justizministerin konzentrieren.

Es wäre Obamas dritter Verfassungsrichter

Die demokratischen Kongress-Abgeordneten setzen ebenso wie das Weiße Haus darauf, dass die Republikaner ihre Fundamentalopposition nicht zehn Monate lang durchhalten werden und einem eher moderaten Kandidaten zustimmen müssen (dazu sind mindestens 60 Ja-Stimmen nötig, um eine Filibuster-Blockade von Hardlinern wie Ted Cruz zu verhindern). Irgendwann, so die Hoffnung, werden die Republikaner erkennen, dass es ihnen bei den oft wahlentscheidenden Independents schaden dürfte, sich als kompromisslose Blockierer zu präsentieren.

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Doch momentan scheint die republikanische Führungsriege um McConnell noch nicht zu wackeln. Er geht vielmehr davon aus, dass die konservativen Amerikaner nicht nur von ihm erwarten, alles zu tun, um Obamas dritten Verfassungsrichter zu verhindern. McConnell setzt zudem darauf, dass der Streit um die Nachfolge des legendären Richters Antonin Scalia viele Republikaner-Sympathisanten am 8. November an die Urnen treibt, um eine demokratische Mehrheit im Senat zu verhindern - sogar wenn der Präsidentschaftskandidat der Grand Old Party Donald Trump heißen sollte.

Bislang gibt es keine Andeutungen, wann Barack Obama seine Entscheidung bekannt geben wird. Die Wochen nach Ostern - also von Ende März bis Mitte April - hätten den Vorteil, dass bis zum 19. April keine Vorwahlen (dann im Bundesstaat New York) stattfinden. Egal wann Obama den Namen bekannt gibt: Washington wird dann für einige Tage kaum ein anderes Thema mehr kennen.

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