Oberster Gerichtshof:Amerikas Kampf um die Homo-Ehe geht zu Ende

Oberster Gerichtshof: Hochzeit zweier Frauen in Utah: dank Supreme Court weiterhin legal.

Hochzeit zweier Frauen in Utah: dank Supreme Court weiterhin legal.

(Foto: AP)

Weil der Supreme Court nicht über umstrittene Gesetze aus fünf Bundesstaaten beraten will, bleibt die Homo-Ehe dort erlaubt. Die Richter akzeptieren: Die US-Gesellschaft hat kein Problem mehr damit, wenn Schwule und Lesben heiraten.

Von Matthias Kolb, Washington

Völlig überraschend hat es der Supreme Court abgelehnt, über die Rechtmäßigkeit von gleichgeschlechtlichen Ehen in fünf US-Bundesstaaten zu entscheiden. Weil die Richter ihr Grundsatzurteil weiter aufschieben, bleiben die Gesetze dort in Kraft. Alle Umfragen zeigen, dass dies für die Mehrheit der Amerikaner völlig in Ordnung ist.

In den vergangenen Wochen hatten Rechtsexperten und Journalisten darüber gerätselt, welchen der fünf möglichen Fälle die neun obersten Richter genauer unter die Lupe nehmen würden. Zuletzt hatten Bundesgerichte Gesetze, die die Homo-Ehe in den US-Staaten Indiana, Utah, Virginia, Wisconsin und Oklahoma explizit verboten, für rechtswidrig erklärt und die Fälle an den Supreme Court verwiesen. Weil sich dieser nun aber zurückhält, bleiben die Urteile der Bundesgerichte gültig, weshalb Schwule und Lesben in diesen fünf Bundesstaaten nun heiraten dürfen. Dieser "freudige Tag für Tausende Paare überall in Amerika", wie ihn die Menschenrechtsorganisation Human Rights Campaign feierte, hat weitreichende Auswirkungen:

  • Mit Indiana, Utah, Virginia, Wisconsin und Oklahoma ist die Homo-Ehe in 24 der 50 US-Bundesstaaten sowie in der Hauptstadt Washington erlaubt. Allerdings steigt die Zahl bald auf 30: In West Virginia, North Carolina, South Carolina, Kansas, Colorado und Wyoming sind gleichgeschlechtliche Ehen derzeit untersagt. Weil für diese sechs Staaten genau jene Bundesgerichte zuständig sind, über deren Klagen der Supreme Court nicht urteilen wollte, können Schwule und Lesben auch dort bald heiraten.
  • Damit lebt erstmals die Mehrheit der Amerikaner in Bundesstaaten, in denen gleichgeschlechtliche Partner eine Ehe eingehen können.

Es liegt genau an diesen Daten, weshalb mutige Beobachter wie Chris Cillizza von der Washington Post nun verkünden, der politische Kampf um die gay marriage in der amerikanischen Politik sei nun vorbei. Cilliza verweist darauf, dass sich auch unter den konservativen Amerikanern die Stimmung ändert. Bereits heute unterstützen 61 Prozent der Anhänger der Republikaner, die 29 Jahre oder jünger sind, gleichgeschlechtliche Partnerschaften.

Bei jungen Amerikanern ist der Meinungsumschwung besonders stark, doch insgesamt wächst die Zustimmung in allen Altersgruppen. Diese Tatsache kennen auch die meisten republikanischen Strategen und Politiker, weshalb neben religiösen Gruppen "nur eine Handvoll republikanischen Abgeordneter" die Richter kritisierte.

Bereits im vergangenen Jahr hatten republikanische Spitzenpolitiker empörte Kommentare vermieden, als das Oberste Gericht den Defense of Marriage Act (DOMA) kippte, wonach eine Ehe per Definition nur von einem Mann und einer Frau geschlossen werden könne. Seitdem können auch homosexuelle Paare die gleichen Vorteile bei Steuern, Erbschaften oder Besuche im Krankenhaus geltend machen, wenn ihre Partnerschaft in ihrem Bundesstaat erlaubt ist.

Welches Kalkül hinter der Nicht-Entscheidung der Richter stecken könnte

Dass dieser Kampf politisch nicht mehr zu gewinnen ist und vor allem das schlechte, rückständige Image der konservativen Partei verstärkt, hatte die Jugendorganisation College Republicans schon 2012 in einem schonungslosen Bericht beschrieben: "Solange sich an unserer Diskussion über die Homo-Ehe nichts ändert, werden wir niemals als eine weltoffene Partei angesehen werden."

Wieso sich die neun Richter in diesem Herbst nicht zu einer Grundsatzentscheidung durchringen konnten, ist unklar. Der Supreme Court ist nicht verpflichtet zu erklären, wieso er manche Fälle nicht annimmt. Jeffrey Toobin, der für CNN und den New Yorker das Oberste Gericht beobachtet, bietet diese "informierte Spekulation" an: Jeweils vier der neun Richter lassen sich genau in das Lager der "Konservativen" und der "Liberalen" einordnen. Meist ist es Anthony Kennedy, der die entscheidende Stimme hat - so war es auch beim letzten Urteil zum DOMA-Gesetz.

Toobin mutmaßt nun, dass beide Lager nicht überzeugt waren, dass Kennedy in ihrem Sinne abstimmt und so spielen sie auf Zeit. Da die Richter aufs Lebenszeit gewählt sind, ist nicht absehbar, wann sich die Zusammensetzung des Supreme Court ändern wird. Die älteste Richterin, Ruth Bader Ginsburg, ist 81 Jahre alt - und so ist es wahrscheinlich, dass der nächste US-Präsident ihren Nachfolger oder ihre Nachfolgerin benennen wird. Womöglich, so Toobin, hoffen die konservativen Richter, dass von 2017 an wieder ein Republikaner ins Weiße Haus einzieht.

US-Präsident Barack Obama und die meisten seiner Demokraten freuen sich jedoch über das Nichtstun des Supreme Courts. Zwar bleibt der "Flickenteppich" aus unterschiedlichen Gesetzen bestehen (in Staaten wie Texas, Nebraska und Tennessee können Schwule und Lesben weiterhin nicht heiraten), doch am 6. Oktober 2014 sind die USA ein wenig gerechter geworden. Das wurde nicht nur in den sozialen Netzwerken gefeiert.

Linktipps:

  • Das Meinungsforschungsinstitut Pew hat auf dieser Website viele Informationen über die Einstellung der Amerikaner zur Homo-Ehe zusammengestellt.
  • Wieso viele Republikaner lieber auf das Thema Abtreibung setzen, anstatt sich als Gegner der Homo-Ehe zu inszenieren, wird in diesem US-Blog-Beitrag beschrieben.
  • Vox.com fasst hier zusammen, wie die Rechtslage in allen 50-Bundesstaaten aussieht.
  • Das letzte Grundsatzurteil des Supreme Court vom Juni 2013, als das Bundesgesetz mit der Formel "Ehe = Mann + Frau" gekippt, wird in diesem Text analysiert.
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