Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart:Grünes Revolutiönle

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"Was koscht's und isch's was Rechts?", das sind die Richtschnüre, mit denen die Schwaben die Welt vermessen. Sie gelten als fleißig und konservativ - und genau deshalb wählen die Stuttgarter wahrscheinlich an diesem Sonntag einen Grünen zum OB.

Roman Deininger, Stuttgart

Eines Mittags in diesem Stuttgarter Wahlkampfherbst ging der Grüne zu den Rotariern. "Wegen Ihnen müssen wir die Leute stapeln", sagte der Chef-Rotarier; gestapelt wird üblicherweise nicht im Restaurant des Hotels Le Méridien. Der Grüne schaute für seine Verhältnisse geradezu vergnügt in die Runde, er nahm den Klöppel und schlug die Glocke, so wie man das eben macht bei den Rotariern, wenn man was sagen will. Dann erzählte Fritz Kuhn von den "grünen Ideen", mit denen er "schwarze Zahlen" zu schreiben gedenke, und bei den schwarzen Zahlen brummten die Rotarier beifällig in ihren Kabeljau.

Einer der Rotarier warf dann ein, dass er wegen der Staus durch die Anti-Stuttgart-21-Demos öfter zu spät zu Klubsitzungen komme, und ob man da nicht mal das Demonstrationsrecht einschränken könnte. "Das Demonstrationsrecht gilt", sagte Kuhn, die Rotarier blickten auf vom Fisch zum Grünen. "Aber die S21-Gegner wären weiter gekommen, wenn sie damit sensibler umgegangen wären." Ein wohliges Brummen erfüllte den ganzen Raum.

Nun wird man die Grünen-Wähler unter den Rotariern auch weiterhin selbst in einer Telefonzelle nicht stapeln müssen. Aber die unheimlich freundliche Begegnung der dritten Art im Hotel Le Méridien erklärt doch ein wenig den gesellschaftlichen Boden, auf dem - glaubt man den Umfragen - dieser Fritz Kuhn am Sonntag zum Oberbürgermeister gewählt werden könnte. Stuttgart wäre die erste deutsche Landeshauptstadt, die von einem Grünen regiert wird. Und das wäre kein Zufall.

Ein Grüner, der selbst den Rotarier-Klub begeistert: Fritz Kuhn hat gute Chancen Oberbürgermeister im Stuttgarter Rathaus zu werden. (Foto: dpa)

Die Frage, was denn bloß, himmelherrgottsack, in die Schwaben gefahren ist, beschäftigt seit zwei Jahren die ganze Republik. Bis dahin galten die Schwaben als Stamm, der für seine Bravheit, seinen Fleiß und seinen Glauben mit Wohlstand belohnt wurde. Man traute ihnen vieles zu, vor allem das sachgerechte Zusammenschrauben von Kraftfahrzeugen. Aber einen Volksaufstand? Gegen einen Bahnhof? Die Deutschen musste etwas lernen über die Schwaben, und die Schwaben auch über sich selbst. Der ehemalige Porsche-Sprecher und passionierte Stammeskundler Anton Hunger hat mal gesagt, so ein Revolutiönle komme eben heraus, "wenn der teuerste Bahnhof Deutschlands auf das geizigste Volk der Welt trifft". So ähnlich, erläuterte Hunger, sei das auch vor mehr als 500 Jahren schon gewesen, als die Württemberger gegen die Prasssucht ihres Herzogs Ulrich aufbegehrten.

Es ist also nicht so, dass die Schwaben von heute auf einmal nicht mehr bürgerlich wären. Viele von ihnen fanden offenbar nur, dass ihre Obrigkeit das Bürgerliche nicht mehr ordentlich vertrat. Deshalb klopften Studiendirektoren und Notare im Sommer 2010 bei den Bahnhofsdemos auf Kochtöpfen herum, deshalb wählten sie im März 2011 die Schwarzen nach fast sechzig Jahren aus der Landesregierung. Um zu verstehen, warum die Schwarzen jetzt auch aus dem Stuttgarter Rathaus fliegen könnten, lohnt ein Anruf in Berlin, beim Vorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft: einem Schwaben.

"Der schwäbelt, geht in die Kirche und in den Schützenverein"

Thomas Eigenthaler sagt, es gebe zwei Richtschnüre, mit denen seine Landsleute die Welt vermessen: "Was koscht's? Und: Isch was Rechts?" Bei Stefan Mappus, dem abgewählten Ministerpräsidenten, war der Bahnhof zu teuer und vielleicht auch die EnBW. Und etwas Anständiges, das ist der ruppige, kühle Machtmensch Mappus halt auch nicht wirklich gewesen. Sein grüner Nachfolger Winfried Kretschmann, sagt Eigenthaler, dagegen schon: "Der spricht langsam und schwäbelt, der geht in die Kirche und in den Schützenverein. Bei dem fühlt sich der Schwabe daheim."

Sesbastian Turner, parteilos, ehemaliger Chef einer Werbeagentur und Favorit der CDU: Wirklich warm ist er mit dem bürgerlichen Klientel in Stuttgart bisher nicht geworden. (Foto: dpa)

In der Woche vor der Stichwahl ums Rathaus reiste Erwin Teufel nach Stuttgart. 14 Jahre lang war er der Landesvater, der aus Mappus nie wurde. Teufel redete damals wie Kretschmann heute, so besonnen und manchmal so behäbig, als ließen sich schwere Gedanken nun mal nicht leicht bewegen. Beide verkörpern ein Baden-Württemberg, das sich auch im rasantesten Fortschritt den Sinn für Langsamkeit bewahrt hat. Und in der größten Stadt die Sehnsucht nach Provinz. Deshalb war Teufel nun in Stuttgart: Mit seiner Beliebtheit sollte er die Wähler für Sebastian Turner erwärmen, den klugen und beredten OB-Kandidaten des bürgerlichen Lagers, der aber dummerweise selbst viele Bürgerliche bisher eher kalt gelassen hat.

Die CDU setzt auf Turners Wirtschaftskompetenz, er hat eine Werbeagentur geleitet. Thomas Eigenthaler sagt, dass die Schwarzen da einen Trumpf spielen, der nicht stechen wird: "Der Schwabe versteht unter einem Unternehmer etwas Traditionelles: jemanden, der hart schafft, der etwas herstellt, der nicht protzt. Ein Werbeprofi ist etwas Modernes, dass passt für den Schwaben da nicht dazu."

Die Schwarzen könnten sich verrechnet haben. Für die Grünen könnte eine Rechnung aufgehen, die sie vor drei Jahrzehnten angestellt haben. Die Ur-Realos Kretschmann und Kuhn wollten die Bürger nie erschrecken, wie das andere Grüne gerne taten. Sie wollten sie überzeugen: von einem grünen Heimatbegriff, den selbst der konservativste Schwabe bei genauerem Hinsehen für nicht ganz unrecht halten muss. So ist der Südwesten zum grünen Labor geworden, so haben die Grünen erst ein paar Uni-Städte erobert und mit Rezzo Schlauch schon 1996 um ein Haar Stuttgart. Inzwischen sind sie die zahlenmäßig stärkste Kraft im Gemeinderat - und vor allem die kulturell stärkste Kraft in einem Bürgertum, in dem sich selbst die Rotarier um einen Grünen drängen.

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Nach der Landtagswahl, Akt eins des Revolutiönles, sagten die Schwarzen: Wenn die Grünen erst mal regieren, haben die guten Schwaben schnell genug. Jetzt, kurz bevor am Sonntag der zweite Vorhang fällt, dämmert auch ihnen: Die guten Schwaben könnten allen Ernstes noch mehr wollen.

© SZ vom 20.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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