Obamas Auftritt beim Parteitag:Der Nummer-sicher-Präsident

Barack Obama beschwört in Charlotte das Gemeinschaftsgefühl von 2008, rechtfertigt seine Regierungsbilanz und bittet um Geduld. Die Chance, die ihm die grandiosen Auftritte von Bill Clinton und Gattin Michelle boten, hat er allerdings nicht genutzt. Das Duell mit dem Republikaner Mitt Romney bleibt eng, weil der US-Präsident den Wählern keine Vision liefert.

Matthias Kolb, Charlotte

Eines hat Barack Obama den Amerikanern immer wieder gesagt. Schon 2008 rief der Perfektionist den Bügern zu, er werde kein "perfekter Präsident" sein. Obamas nur durchschnittlicher Auftritt zum Ende des Parteitags in Charlotte hat das bewiesen.

Gewiss, Obama hat die Delegierten der Demokraten mehr begeistert als Mitt Romney die Republikaner. Das überrascht allerdings niemanden. Und ja, er hat leidenschaftlich für ein gerechteres Amerika geworben, seine Gesundheitsreform und Investitionen in Bildung und Infrastruktur verteidigt. Gnadenlos hat der Commander-in-Chief Romneys Fehler, in Tampa die US-Soldaten mit keinem Wort zu würdigen, ausgenutzt und die eigene Stärke in der Außenpolitik ausgespielt.

Im Vergleich mit den Auftritten von Ehefrau Michelle und Ex-Präsident Bill Clinton hat er allerdings die schwächste Rede gehalten - und damit eine große Chance verpasst.

Kein Blick nach vorn

Die First Lady hatte aus ihren beiden Biografien eine Geschichte destilliert, die aufs Neue erklärte, was den 44. US-Präsidenten antreibt. Bill Clinton hatte anschaulich dargelegt, vor welchen Herausforderungen sein Nachnachfolger 2009 stand - und warum es noch dauern werde, bis die US-Wirtschaft wieder brummt. Quasi im Vorbeigehen hatte er zudem viele Argumente der Gegenseite demontiert. Beide hatten zurückgeblickt, eingeordnet und so Obama die Gelegenheit gegeben, nach vorne zu schauen.

Doch in dieser Hinsicht war die 39-minütige Rede enttäuschend. Der 51-Jährige lieferte seinen Fans keinen neuen Slogan à la "Yes we can" und er erläuterte den Amerikanern nicht, mit welcher Vision er in eine zweite Amtszeit gehen will.

"Ihr seid der Wandel"

Ihm fehlte auch der Mut, darüber zu sprechen, welche Lehren er aus den vergangenen vier Jahren zieht, welche Fehler er gemacht hat. Nur kurz sein Bekenntnis, viele Hoffnungen nicht erfüllt zu haben - wenig bescheiden verknüpft mit einem Zitat Abraham Lincolns.

Stattdessen rief er die Abstimmung am 6. November zum wiederholten Mal zur "wichtigsten Wahl seit Generationen" aus und arbeitete in aller Klarheit die Unterschiede zwischen ihm und den Republikanern heraus. Das ist legitim und hält die Basis bei Laune, doch inmitten dieses langen und schmutzigen Wahlkampfs sehnen sich gerade die Independents nach einer positiven Botschaft. Der Appell an den Bürgersinn, gebündelt in "Hier geht es nicht um mich, ihr seid der Wandel" ist hier wohl zu wenig.

Doch Obama und seine Berater fühlen sich offenbar so sicher, dass sie glauben, auf allzu viel pathetische Rhetorik verzichten zu können. Tatsächlich hat der Republikaner-Parteitag in Tampa Romneys Popularität kaum befördert und die Umfragen in den wahlentscheidenden swing states sprechen allesamt für den Amtsinhaber. Und angesichts der heutigen Veröffentlichung neuer Arbeitslosenzahlen und der fragilen US-Wirtschaft war der Visionär Obama, der leicht abgehoben hätte wirken können, in Charlotte nicht gefragt.

Es ist ziemlich genau acht Jahre her, dass Barack Obama beim Parteitag 2004 eine vielbeachtete Rede halten durfte und so über Nacht ins Rampenlicht katapultiert wurde. Der Auftritt, bei dem er für Überparteilichkeit warb (Video bei C-Span), wirkt auch im Rückblick nahezu perfekt und wird lange unvergessen bleiben.

An seine Rede beim Nominierungsparteitag in Denver vor vier Jahren erinnert sich kaum jemand mehr. Von der Versammlung in Charlotte wird vor allem die Show von Bill Clinton im Gedächtnis bleiben. Obama setzt darauf, dass ihm die heutige solide Rede dem Weißen Haus nähergebracht hat - und ihm die Amerikaner vier Jahre Gelegenheit geben, der Perfektion näherzukommen.

Linktipp: Passend zum letzten Tag des Nominierungsparteitag der Demokraten hat die New York Times ein langes Porträt über US-Präsident Barack Obama veröffentlicht. Der Titel des Artikels: "Gezeichnet, aber noch immer zuversichtlich".

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