Obama und die Folgen der US-Spionage:Verbündete vergrault, Vertrauen verspielt

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Wird die deutsche Kanzlerin Angela Merkel US-Präsident Barack Obama jemals wieder vertrauen können? (Foto: REUTERS)

Aus Angst vor seiner Ehefrau Michelle raucht er nicht mehr. Der mögliche Zorn von Merkel hat Obama aber nicht abgehalten, ihr Handy überwachen zu lassen. Diese Dummheit ist typisch für den US-Präsidenten: Immer mehr befreundete Staaten fühlen sich von den USA düpiert oder verraten. Dabei sollte jemand, der eine Weltmacht führen will, sich auch mit der Welt einlassen.

Ein Kommentar von Hubert Wetzel

Ist Barack Obama verrückt geworden? Der Mann, der - wie er jüngst selbst zugab - seit Jahren keine Zigarette mehr geraucht hat, weil er den Zorn seiner Ehefrau fürchtet, lässt die deutsche Kanzlerin abhören? Ein Geheimdienst, der Amerika vor Terroristen schützen soll, belauscht die Regierungschefin eines verbündeten Landes? Was ist eigentlich los in Washington?

Der Lauschangriff auf Angela Merkels Telefon ist - um einen französischen Minister der Revolutionszeit zu paraphrasieren - mehr als möglicherweise eine Straftat. Er ist eine Dummheit. Noch gibt es viele Fragen zu der Abhörerei, darunter: War Obama selbst eingeweiht? Wenn nicht, warum? Läuft sein Geheimdienst Amok, oder weiß der US-Präsident absichtlich nichts, um im Ernstfall glaubhaft den Unschuldigen spielen zu können?

Aber eine Prognose kann man wagen: Der Wert der Erkenntnisse, welche die US-Regierung durch die Bespitzelung der Kanzlerin gewonnen haben mag, dürfte in keinerlei Verhältnis zu dem politischen Schaden stehen, den das Auffliegen der Lauschattacke anrichtet. Deutschland und Amerika könnten in die tiefste Beziehungskrise seit dem Zerwürfnis wegen des Irak-Kriegs rutschen. Die USA sind dieses Risiko eingegangen - wofür?

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Die Affäre ist deshalb so schädlich, weil sie das wichtigste Bindemittel zwischen befreundeten Regierungen zerstört: Vertrauen. Wenn Amerika chinesische oder russische Funktionäre abhört, wundert das niemanden. China und Russland sind keine engen Freunde des Westens; sie sind mehr oder weniger schwierige Partner, mit denen man je nach Interessen, immer aber misstrauisch zusammenarbeitet. Wenn die US-Regierung aber die Kanzlerin der Bundesrepublik zur Bespitzelung freigibt, dann ist die Botschaft verheerend, und kein diplomatisches Wortgeklingel hilft, sie schönzureden: Wir vertrauen Angela Merkel nicht, wir vertrauen Deutschland nicht. Das rüttelt am Fundament, das in 60 Jahren Westbindung, Nato-Mitgliedschaft und deutsch-amerikanischer Freundschaft gelegt wurde.

Der nachlässige, gelegentlich fahrlässige Umgang mit Verbündeten - genauer: mit dem Vertrauen der Verbündeten - ist zu einem unerfreulichen Markenzeichen von Barack Obamas Außenpolitik geworden. Die Liste der befreundeten Regierungen, die sich von ihm im Stich gelassen, missachtet, düpiert oder gar verraten fühlen, ist inzwischen lang.

Sie beginnt mit Polen und Tschechien, die den USA trotz Moskauer Wutgebrülls erlaubten, Teile einer Raketenabwehr auf ihrem Gebiet zu stationieren. Obama, kaum im Amt, stornierte das Bauvorhaben und ließ Warschau und Prag im Regen stehen. Die Regierungen Brasiliens und Mexikos mussten verbittert zur Kenntnis nehmen, dass sie Spionageziele des US-Geheimdienstes NSA waren. Auch die asiatischen Verbündeten, die auf Obamas Versprechen zählen, Amerika werde im Pazifik ein Gegengewicht zur Hegemonialmacht China sein, vergrätzte der Präsident jüngst. Wegen des Haushaltsstreits in Washington sagte er seine Teilnahme an einem Gipfeltreffen ab und überließ Peking die Bühne.

Im Nahen Osten ist der Vertrauensverlust besonders offensichtlich. Jahrzehntealte Partnerschaften Amerikas - mit Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, den Arabischen Emiraten, sogar mit Israel - zerbröseln, weil Obamas Politik in der Region, vor allem in Syrien und gegenüber Iran, zwischen Raushalten und Draufhauen irrlichtert. Amerikas Ruf als glaubwürdige Schutz- und Ordnungsmacht bröckelt. Und nun auch noch Europa: Den französischen Präsidenten François Hollande, der bei einem US-Militäreinsatz in Syrien mitmachen wollte, ließ Obama hängen, nachdem er sich mit Moskau geeinigt hatte, ohne Paris auch nur zu fragen. Ob die Kanzlerin dem Amerikaner je wieder vertrauen wird, weiß niemand.

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Die US-Geheimdienste machen auch vor Regierungen nicht halt, das ist eigentlich schon seit Juni klar. Die Affäre um das Kanzler-Handy ist nur logische Konsequenz. Wieso geht Amerika mit engen Verbündeten so rücksichtslos um? Das fragen sich inzwischen selbst US-Politiker.

Von Oliver Klasen

Diese Erosion von Bündnissen ist nicht nur, aber auch Obamas Schuld. Der US-Präsident ist ein ungeduldiger Mensch, einen Weg, den er als den richtigen erkannt hat, geht er ohne Rücksicht auf Nachzügler. Bestenfalls hält er eine Rede, um alles zu erklären. Im Weißen Haus gilt die Überzeugungsarbeit damit als geleistet, wer noch zweifelt, ist dumm oder reaktionär.

Aber so lustlos funktioniert Außenpolitik nicht, schon gar nicht im Umgang mit Bündnispartnern. Ganz abgesehen davon, dass man die Telefone von Freundinnen nicht anzapft - oder sich zumindest nicht erwischen lässt, god dammit! -, muss man sich um Partnerschaften kümmern. Diplomatie ist manchmal Trickserei; gelegentlich muss man Arme umdrehen, öfter aber Seelen massieren. Manchmal muss man einfach erklären, was man warum tut, und mögliche Einwände befreundeter Regierungen ernst nehmen.

Der kühl analysierende, nicht selten arrogante Pragmatiker Barack Obama ist so ziemlich das Gegenteil eines Diplomaten. Doch wer eine Weltmacht führen will, muss sich mit der Welt einlassen.

© SZ vom 25.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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