Obama patzt im US-Wahlkampf:"Schrecklich, entsetzlich, nicht gut, sehr schlecht"

Das wird er noch bitter bereuen. "Der Privatwirtschaft geht es gut", sagte Barack Obama bei einer Pressekonferenz. Ein Missgeschick, das die Republikaner mit Verweis auf die hohen Arbeitslosenzahlen weidlich ausschlachten. Dass Herausforderer Romney in seiner Reaktion selbst patzt, hilft Obama nicht - für ihn ist der Juni 2012 ein miserabler Monat.

Matthias Kolb, Washington

Barack Obama befeuert die Romney-Kampagne mit einem Patzer

US-Präsident Barack Obama bei einer Pressekonferenz: "Der Privatwirtschaft geht es gut."

(Foto: REUTERS)

Am Anfang steht eine ganz normale Pressekonferenz, wie sie Barack Obama unzählige Male absolviert hat. Vor einigen Tagen sprach er über Amerikas Wirtschaft und lobte die Erfolge der Unternehmen. Während Bund, Bundesstaaten und Kommunen Angestellte entlassen mussten, hätten Firmen in den zurückliegenden 27 Monaten 4,3 Millionen Jobs geschaffen. Dann folgt der Satz, den der Demokrat noch lange bereuen wird: "The private sector is doing fine."

Wer Obamas Argumentation nachliest (etwa im Protokoll des Weißen Hauses), der findet wenig Skandalöses an der Einschätzung, dass es der Privatwirtschaft ziemlich gut gehe und zu wenig Impulse aus dem Staatssektor kommen. Doch angesichts von 8,2 Prozent Arbeitslosigkeit und einer schwächelnden US-Wirtschaft ist der Satz ein Geschenk für die Republikaner - vergleichbar mit Mitt Romneys Spruch: "Um die Armen mache ich mir keine Sorgen".

Innerhalb von zwei Stunden setzt sich die Maschinerie in Gang, die so typisch ist für diesen Medien-Wahlkampf und diesen Fall so aufschlussreich macht: Konservative Spitzenpolitiker wie Eric Cantor geißeln den Präsidenten als unfähig und Romney selbst legt bei einer Wahlkampf-Veranstaltung in Iowa nach: "Der Präsident setzt neue Maßstäbe, was es heißt, abgehoben zu sein. Er hat den Bezug zu den Bürgern verloren." Obamas Versuch, die Aussage vier Stunden nach seiner Rede zu präzisieren, geht ins Leere.

Schnell macht #doingfine auf Twitter die Runde und am Wochenende stellt das Romney-Lager ein Video ins Internet, in dem Obamas Bemerkung den Berichten von einigen der 12,7 Millionen arbeitslosen Amerikaner gegenüber gestellt wird. Beim konservativen Kabelsender Fox News geht es Dutzende Male um Obamas Aussage (die NGO Media Matters hat die Berichterstattung analysiert) und das Thema beherrscht auch die Talkshows am Sonntagvormittag.

Es folgt das nächste Video ("Jolt") der Romney-Kampagne: Eine knappe Minute werden TV-Berichte über die schlechten Nachrichten vom US-Arbeitsmarkt gezeigt, rote Pfeile deuten ebenso bedrohlich nach unten wie die Kurven einiger Diagramme. Die Botschaft ist gleich: Obama kennt die Sorgen der amerikanischen Arbeiter und Mittelklasse nicht.

Ein ganz schlimmer Monat für Obama

Für den Republikaner Mitt Romney, dessen Vermögen auf etwa 250 Millionen Dollar geschätzt wird, sind die sechs Worte aus Obamas Mund viel wert, denn üblicherweise ist es der früheren Finanzinvestor, dem vorgehalten wird, die Probleme der Durchschnittsamerikaner nicht zu verstehen. Romney, der diesen Eindruck etwa durch Sprüche wie "Meine Frau fährt ein paar Cadillacs" verstärkt hat, ist davon überzeugt, dass seine Business-Kompetenz die Wähler überzeugen wird, ihn am 6. November zum 45. Präsidenten zu wählen und deswegen redet der frühere Gouverneur am liebsten nur über Wirtschaft, Zahlen und Fakten.

Dass sich der 65-Jährige auch einen Patzer leistete, kümmerte die US-Medien weniger. Romney hatte erklärt, Obama liege falsch, wenn er "mehr Feuerwehrleute, mehr Polizisten und mehr Lehrer" einstellen wolle - eine Aussage, die angesichts des mittelmäßigen US-Bildungssystems nicht nur Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman ärgert.

Dass die anschließenden Video-Attacken des Obama-Lagers wenig Wirkung zeigten, passt zu Obamas miserablen Juni. Die Washington Post sprach jüngst angesichts der Wiederwahl des umstrittenen Gouverneurs Scott Walker in Wisconsin, den mickrigen 69.000 neuen Jobs im Mai und der Tatsache, dass Romney im April mehr Spendengelder eingesammelt hat, von einer "schrecklichen, entsetzlichen, gar nicht guten, sehr schlechten Woche" und wenn der Oberste Gerichtshof Ende Juni die Gesundheitsreform für verfassungswidrig erklärt, dann könnte der ganze Monat als "terrible, horrible, no-good, very bad" charakterisiert werden.

Momentan setzt Barack Obama weniger auf hope und change, sondern darauf, ein möglichst negatives Bild von seinem Herausforderer zu zeichnen und die Wahl im November zu einer Grundsatzentscheidung über Amerikas wirtschaftliche Zukunft zu erklären. Wie zwei Schattenboxer traten beide am Donnerstag im besonders umkämpften Bundesstaat Ohio auf und erklärten ihre Sicht der Dinge: Während der US-Präsident davor warnt, die Rezepte des Republikaners glichen jenen von George W. Bush, die die Welt in die Finanzkrise geführt hätten, möchte Romney Ausgaben kürzen, Steuern senken und den Einfluss der Regierung auf die Wirtschaft mindern (hier gibt es eine Zusammenfassung bei Politico).

Nebenbei bessert Romney die wirtschaftliche Lage seiner Kampagne auf: Mittlerweile können seine Sympathisanten für 30 Dollar im Online-Shop ein T-Shirt mit der Aufschrift: "We'll be #doingfine again when Mitt's in office" erwerben.

Am Donnerstag stellte das Wahlkampfteam des Mormonen ein neues Video ("Doing Fine?") ins Netz, das Barack Obama und dessen Berater enorm geärgert haben dürften. Vier Mal ist der folgenschwere Satz des Präsidenten zu höen, bevor am Ende eine Frage auf dem Bildschirm zu lesen steht: "Wie soll Präsident Obama unsere Wirtschaft reparieren, wenn er nicht versteht, dass sie kaputt ist?"

Die Romney-Strategen haben schlicht einen Spot aus dem Jahr 2008 kopiert. Damals hatte republikanische Kandidat John McCain nach dem Kollaps von Lehman Brothers zu Protokoll gegeben: "Die Basis der US-Wirtschaft ist gesund." Kurz darauf luden die Demokraten einen Clip bei Youtube hoch ("Fundamentals"), der mit den Worten endete: "Wie soll John McCain unsere Wirtschaft reparieren, wenn er nicht versteht, dass sie kaputt ist?" Der Ausgang der Wahl ist bekannt.

Linktipp: Der TV-Satiriker Jon Stewart zeichnet in seiner "Daily Show" am Beispiel von "doing fine" ebenso bissig wie brillant nach, wie schnell ein Patzer im Jahr 2012 zu einem Medienereignis werden kann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: