Obama in Vietnam:Als Obama nach Saigon kommt, ist Captain America schon da

Barack Obama in Vietnam

In Ho-Chi-Minh-Stadt - dem früheren Saigon - winkt ein Kind in Verkleidung Barack Obama zu.

(Foto: REUTERS)
  • Debatten um die Freiheit waren bei Obamas Besuch in Vietnam nicht wirklich dominierend.
  • Der Kitt, der Vietnam und die Vereinigten Staaten neuerdings zusammenhält, gründet in der gemeinsamen Sorge über Chinas Macht.
  • Über Politik trauen sich viele Vietnamesen aber nicht zu sprechen.

Von Arne Perras

US-Präsident Barack Obama beschwor einen "neuen Moment", als er Anfang der Woche in Vietnam landete. Das Erbe des Krieges, der 1975 endete, blitzte beim dreitägigen Besuch des Amerikaners nur selten auf. Stattdessen war immer und überall von einer gemeinsamen, besseren Zukunft die Rede. Obama ist inzwischen nach Japan weitergereist und lässt in Südostasien ein Land zurück, dessen Bevölkerung nun darüber nachdenkt, was die Partnerschaft mit Washington für sie bedeutet.

Wer als westlicher Journalist diese Stimmungen im vietnamesischen Volk erkunden möchte, stößt an Grenzen. Reporter haben für solche Recherchen kaum die nötigen Freiheiten im Land. Viele junge Vietnamesen, die man schon im Vorfeld des Obama-Besuchs zu Hoffnungen und Ängsten befragen wollte, schienen an die allgegenwärtige Staatsmacht zu denken, als sie freundlich abwinkten und sagten, sie wollten lieber nicht über Politik reden.

Manche Vietnamesen taten es dennoch, jüngere und ältere. Zum Beispiel Kriegsveteran Dang Van Lam, Jahrgang 1952. Vergangene Woche traf man ihn in einer Klinik in Hanoi, er wartete auf seine Untersuchungen. Lam klagt über viele Leiden, vor allem verspürt er schlimme Atemnot. Er hat keinen Zweifel an den Einschätzungen seiner Ärzte, dass seine Krankheiten mit Agent Orange zusammenhängen, dem dioxinhaltigen Entlaubungsmittel, das die Amerikaner einst im Krieg versprühten, um dem Gegner die Deckung zu nehmen.

Das ist nun schon fünfzig Jahre her. Und der frühere Kämpfer Lam sagt. "Damals waren wir Feinde, nun sind wir Freunde. So ist das Leben. Ich hoffe nur, Obama kann uns irgendwie helfen." Ist die Kraft zur Versöhnung bei diesen Menschen wirklich so groß? Oder halten sie sich mit ihren Worten mehr oder weniger an die Linie der Kommunistischen Partei, um sich keinen Ärger einzuhandeln? In Vietnam weiß man das nie genau. Sicher ist, dass der fein verästelte Staats- und Parteiapparat immer und überall ein waches Auge auf sein Volk wirft. Eine der größten Sorgen der Kader lautet: Kontrollverlust.

Streit über Demokratie und Menschenrechte stört beide Seiten nur

Debatten um die Freiheit waren denn auch keineswegs dominierend beim Besuch Obamas. Der Kitt, der Vietnam und die Vereinigten Staaten neuerdings zusammenhält, ist das sicherheitspolitische Interesse, das aus der gemeinsamen Sorge über Chinas Macht erwächst. Hanoi hat Angst vor einer maritimen Expansion des großen Nachbarn, die USA fürchten um die pazifische Ordnung, an der Peking mit seinen Ambitionen auf dem Meer kräftig rüttelt. Diese Sorge macht den harten Kern der Partnerschaft aus. Und keine der beiden Seiten wünscht sich, dass der strategische Pakt durch Streitigkeiten über Demokratie oder Menschenrechte aufgeweicht werden könnte.

Dennoch: Obama konnte und wollte Differenzen nicht völlig ausblenden. Wie groß sie zuweilen sind, hat er am zweiten Tag seiner Reise erlebt. Er traf sich mit Vertretern der Zivilgesellschaft. Doch längst nicht alle, die er sehen wollte, sind erschienen. "Aus verschiedenen Gründen" seien manche der eingeladenen Aktivisten nicht erschienen, gab Obama nach dem Treffen bekannt und umschrieb damit eher höflich, was Menschenrechtler als Unterdrückung von Dissidenten anprangern.

"Große Nationen sollten nicht die Kleineren schikanieren"

Immerhin aber konnte er mit manchen doch reden, etwa mit Mai Khoi, einer Popsängerin, die für die Nationalversammlung kandidieren wollte, aber als Unabhängige doch nicht zugelassen wurde. Sie erklärte nach dem Gespräch mit Obama, dass dieses Treffen "als offizielle Anerkennung einer unabhängigen Zivilgesellschaft in Vietnam" zu werten sei. Nicht alle glauben, dass der Staat das auch so sieht.

Als Obama in Hanoi eine längere Rede an das vietnamesische Volk hielt, wiederholte er, was er schon tags zuvor betont hatte: "Die Vereinigten Staaten wollen Vietnam nicht ihre Form der Regierung aufzwingen." Zugleich bezeichnete er Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit als "universelle Werte", die im Übrigen auch in der vietnamesischen Verfassung verankert seien. Für sie hat er dann kräftig geworben, indem er eine Brücke schlug zwischen solchen Freiheiten und dem ökonomischen Erfolg einer Gesellschaft. Wo freies Denken möglich sei, gebe es Innovation, was dem Wohlstand nutze.

Außerdem sagte er, dass ein fairer Wahlkampf und freie Wahlen Länder stabiler machten. Das waren doch indirekte Hinweise auf die Defizite eines Ein-Parteien-Systems, wie es die Kommunisten Vietnams immer noch aufrechterhalten. Um nicht allzu belehrend zu klingen, schob Obama aber noch nach: "Vietnam wird es anders machen als die Vereinigten Staaten."

Viel Gewicht legte der US-Präsident auf die Jugend und das neue Unternehmertum, mit dessen Vertretern er in Ho-Chi-Minh-Stadt zusammentraf, dem früheren Saigon. Während des Krieges herrschte hier das durch die USA gestützte Regime Südvietnams, bis 1975 nordvietnamesische Panzer in die Stadt rollten und die Amerikaner aus dem Land jagten. Viele Vietnamesen säumten die Straßen, um 41 Jahre später die erneute Ankunft eines Amerikaners zu erleben, sie feierten Obama in Saigon und versuchten, mit ihren Smartphones den "neuen Moment" einzufangen. Und hinter einem der grün gekleideten Polizisten blitzte plötzlich der Schild eines Jungen auf, der im Kostüm von "Captain America" dem Staatsgast aus Washington zuwinkte. Superheros in Saigon. Einen stärkeren Moment der Ironie hätte es kaum geben können.

Immer wieder ist es China, das in Vietnam Emotionen schürt

Das pazifische Freihandelsabkommen TPP könne Arbeiterrechte und auch höhere Löhne in Vietnam befördern, versprach Obama in seiner Rede. Dass seine möglichen Nachfolger im Weißen Haus von dem TPP-Abkommen alle nicht begeistert sind, ließ er unerwähnt. Einen höheren Lohn? Den ersehnt auch der junge Vietnamese Ngo Duc Den, der für ein Transportunternehmen arbeitet. Er kennt den Krieg nur aus Erzählungen seines Vaters. So ergeht es vielen jungen Vietnamesen, die mit Amerika weniger das Leid des Krieges verbinden als doch große ökonomische Hoffnungen. "Ich würde liebend gerne in den USA arbeiten, wenn ich die Chance bekäme", sagt Den. Aber wenn die USA jetzt mehr in Vietnam investieren, wie alle behaupten, dann kann er vielleicht auch hier einen besseren Job finden.

Auf den Nachbarn China ist er nicht besonders gut zu sprechen, mit Peking gäbe es zu viel Ärger, vor allem auf dem Meer. Hanoi und Peking streiten um Inseln und Riffe. Und nichts deutet darauf hin, dass sich der Konflikt bald lösen könnte. Viele Vietnamesen haben Sorge, dass sie der Wucht des Nachbarn nicht genug entgegenzusetzen haben.

Dieses Gefühl griff Obama wohl kaum zufällig auf, als er einmal sagte: "Große Nationen sollten nicht die Kleineren schikanieren." Für keinen anderen Satz erntete er in Vietnam mehr Applaus. Immer wieder ist es China, das hier Emotionen schürt. Dass Hanoi vor einem halben Jahrhundert noch einer anderen großen Nation trotzte, die von der anderen Seite des Pazifiks kam - es schien in diesen Tagen manchmal schon vergessen.

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