Obama in Deutschland:Auf den Spuren der Befreier

US-Präsident Obama will bei seiner Stippvisite in Deutschland das ehemalige KZ Buchenwald besuchen - dieser Wunsch dürfte auch mit seiner Familiengeschichte zu tun haben.

Christiane Kohl, Dresden

Ein schmaler, grauer Sendemast ragt hinter dem Gebäude mit dem bröckeligen, schmutzig gelben Putz hervor. Einstmals war hier die Lagerkommandantur der SS untergebracht, jetzt steht die hypermodern wirkende Satellitenantenne wie aufgespießt auf einem nagelneuen Lkw daneben - sie ist der bislang einzige Hinweis auf jenes mediale Großereignis, das der Gedenkstätte Buchenwald in der kommenden Woche bevorsteht.

Obama in Deutschland: Durch den Zaun ist das Krematorium des früheren Konzentrationslager Buchenwald zu sehen

Durch den Zaun ist das Krematorium des früheren Konzentrationslager Buchenwald zu sehen

(Foto: Foto: ddp)

US-Präsident Barack Obama will das ehemalige NS-Konzentrationslager im Norden von Weimar besuchen. Und was das für die wenigen noch lebenden einstigen Insassen des Lagers bedeutet, in dem zwischen 1937 und 1945 Tausende Menschen gefoltert, ermordet oder durch Krankheiten und Hungersnöte getötet worden waren, fasst der Direktor der Gedenkstätten-Stiftung in einem Satz zusammen: "Da kommt ein Stellvertreter der Lebensretter", sagt Volkhard Knigge, "der Repräsentant ihrer Befreier".

Es ist der erste Besuch eines amerikanischen Präsidenten, seit im April 1945 der damalige US-General Dwight Eisenhower, der später zum Präsidenten aufstieg, kurz nach der Befreiung des Lagers durch US-Truppen erschüttert vor den Leichenbergen stand. Ob freilich auch ein Vertreter der Überlebenden am nächsten Freitag Obama die Hand schütteln darf, ist ungewiss: "Wir hoffen sehr, dass noch eine Form gefunden wird, um wenigstens einem Repräsentanten der Überlebenden-Organisationen eine Stimme zu geben", betont Knigge.

Anfang Mai war der Wunsch des US-Präsidenten, das Lager zu besuchen, an die deutsche Regierung herangetragen worden. Von anderen Besuchsorten wie Dresden oder auch Weimar war nicht die Rede: Obama wollte ausschließlich nach Buchenwald, wie in Berlin bestätigt wird, und er wünschte sich offenbar eine eher private Visite, keinen offiziellen Staatsbesuch.

Der Wunsch des US-Präsidenten dürfte mit familiären Bindungen zusammenhängen: Sein Großonkel Charles Payne hatte als 19-Jähriger im Krieg zu jener US-Einheit gehört, die am 5. April 1945 das Zwangsarbeiterlager Ohrdruf bei Gotha befreite, eine Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald.

Es war das erste KZ, in das Amerikaner einmarschierten, und die Befreier reagierten schockiert: Gleich am Eingang lag eine Leiche, der Appellhofplatz war ebenfalls mit Toten übersäht, aus einer Holzhütte drang Verwesungsgeruch - noch kurz vor der Räumung hatte die SS ein Massaker angerichtet. "Ich sah tote Körper, die man übereinandergestapelt hatte", berichtete Payne kürzlich in einem Interview.

Viele Jahre hatte er die Schreckensbilder verdrängt, bis sein Großneffe ihn eines Tages anrief - Obama hatte über Familienerzählungen von Charles Paynes Erlebnissen gehört. Nun will sich der Großneffe offenbar selbst ein Bild des Schreckensortes machen.

Bundesregierung will "mehr von Deutschland" zeigen

In einem Stollen bei Ohrdruf hatten völlig entkräftete KZ-Häftlinge in den letzten Kriegsjahren ein unterirdisches Führerhauptquartier bauen sollen. Zu diesem Zweck wurden Tausende Buchenwald-Gefangene zur Arbeit in dem "Außenlager S III" gezwungen. Im März 1945 hatte das Lager etwa 20.000 Häftlinge.

Heute ist auf dem einstigen Stollengelände ein Truppenübungsplatz der Bundeswehr, von der alten Anlage ist fast nichts mehr zu sehen. Unterdessen sind im einstigen Hauptlager Buchenwald alte Fotos, Dokumente und Erzählungen aus der Außenstelle Ohrdruf sorgfältig dokumentiert. Ob der Präsident sie zu sehen bekommt?

Klar ist bislang nur, dass Barack Obama mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor laufenden Fernsehkameras über den riesigen Appellhofplatz schreiten wird, der das Zentrum des einstigen Konzentrationslagers bildet. Ansonsten sind die Unterhändler der Bundesregierung eher bemüht, die Zeit in Buchenwald kurz zu halten.

So schlugen die Berliner schon früh dem US-Präsidenten vor, außer nach Buchenwald auch nach Dresden zu gehen - mit seinen wiederaufgebauten Prachtbauten immerhin ein etwas schönerer Ort. Neuerdings ist auch noch ein Besuch zu einer der Klassikerstätten in Weimar im Gespräch. "Es geht darum, dem Präsidenten etwas mehr von Deutschland zu präsentieren", sagt eine Sprecherin im Kanzleramt.

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