Obama in Berlin:Zwei Farben Schwarz

Barack Obama spricht in Berlin - und Deutschland ist auf ihn angewiesen. Denn Obamas Rede wird die Vorstellung dessen, was wir mit Schwarz assoziieren, neu figurieren.

Ijoma Mangold

Schwarz ist nicht gleich Schwarz. Während man noch meint, über dieselbe Sache zu reden, hat diese sich unter der Hand längst verändert. Seit Barack Obama die Bühne des Präsidentschaftswahlkampfes betreten hat, hat Schwarz eine neue Bedeutung.

Barack Obama

Nach seiner Rede am Donnerstag in Berlin dürfte Barack Obama für Deutschland die Vorstellung dessen, was wir mit Schwarz assoziieren, neu figuriert haben.

(Foto: Foto: AP)

Wenn er an diesem Donnerstag in Berlin zu den begeisterten Deutschen gesprochen haben wird, dann dürfte er auch für Deutschland die Vorstellung dessen, was wir mit Schwarz assoziieren, neu figuriert haben.

Strenggenommen nämlich ist Barack Obama keineswegs die Antwort auf jene Frage, die man sich früher in den USA gestellt hat: "Kann ein Schwarzer Präsident werden?" Denn ein solcher Schwarzer, auf den diese Frage zu zielen pflegte, nämlich ein Abkömmling oder mindestens ein Repräsentant der afroamerikanischen Community, ist er bekanntlich nicht.

Und diese hat das ja auch schon, etwa durch den Mund des alten Bürgerrechtsbewegungs-Haudegens Jesse Jackson, wutschnaubend zum Ausdruck gebracht. Genau das aber macht Barack Obama zu einem universal funktionierenden Bedeutungsträger, der mehr symbolisiert als nur die Rassengeschichte der USA.

Milieulosigkeit als Hauptmerkmal

Sein Hauptmerkmal ist in gewisser Weise Milieulosigkeit - was nicht zufällig ein Lessing'scher Traum der Aufklärung ist: Obama hat einen Vater aus Kenia, aber weder hatte er in seiner Kindheit dieses Land je betreten, noch wuchs er mit seinem Vater zusammen auf.

Stattdessen lebte er, stark geprägt von seinen weißen Großeltern mütterlicherseits, als ein Farbiger (wie man seinerzeit noch sagte) in einem insgesamt sehr multikulturellen Hawaii, in dem es jedenfalls keine prägende afroamerikanische Gemeinde gab.

Dazwischen fielen noch die vier Jahre (von seinem sechsten bis zu seinem zehnten Lebensjahr) in Indonesien, wo Obama im Schulregister irrtümlicherweise mit dem Eintrag "Religion: Islam" geführt wurde. Dort lebte er das Leben eines Expats, allerdings an der Hand einer Mutter, einer Anthropologin, die sehr auf Integration in die Gastwelt achtete, und zusammen mit seinem indonesischen Stiefvater.

Anschluss gesucht zur afroamerikanischen Kultur

Barack Obama hat später, in seiner Studentenzeit, als er von seinem Rufnamen Barry zurückkehrte zu seinem afrikanischen Taufnamen Barack, seine afrikanischen Wurzeln stärker in den Blick genommen und bewusst auch Anschluss gesucht zur afroamerikanischen Kultur.

Das alles ist aber sehr stark selbst gewählt, ein sehr autonomer, in gewisser Weise auch ortloser Lebensentwurf. Seine vermutlich stärkste Verbindung zu dem spezifisch afroamerikanischen Milieu, die zu seinem Pastor Rev. Jeremiah Wright Jr., hat er in diesem Jahr wieder lösen müssen.

Der Wandel, unter dessen Parole Barack Obama seine Kandidatur gestellt hat, ist in Wahrheit auch ein Wandel dessen, was wir uns unter Schwarz vorstellen. Die Assoziation von inner cities, Übergewicht, Hip-Hop-Kultur und einem sehr eigentümlichen Idiom greift bei dem Harvard-Absolventen nicht mehr - auch wenn seine Basketball-Wurftechnik immer noch eindrucksvoll ist, und seine anmutigen, in sich ruhenden Tanzbewegungen ihm kein weißer Mitbewerber nachmachen wird...

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Eine Aufstiegsgeschichte des schwarzen Phänotyps.

Zwei Farben Schwarz

Die Frage der "Sortierung" des fremd Aussehenden wird von allzu Wohlmeinenden in Deutschland gerne als Ausdruck von Rassismus gesehen. Das ist Unsinn und selbstgerecht. Der Mensch ist stets bei allem Neuen und Unbekannten darauf verwiesen, Komplexität zu reduzieren. Also braucht er Schubladen, in die er das, was er nicht kennt, steckt - zumindest bis er sich eines Besseren belehren lässt.

Barack Obama

Barack Obama hat das Schwarz seiner Hautfarbe globalisiert.

(Foto: Foto: AP)

Ich könnte eine Stufengeschichte dieses "Besseren" erzählen: Als Kind, Jugendlicher und Erwachsener mit dunkler Hautfarbe bekam ich in Deutschland von Leuten, die das stets überschwänglich und ohne Arg meinten, gerne gesagt, welcher berühmten Person ich ähnlich sehe: Das war in den achtziger Jahren allen Ernstes Maradona!

In den Neunzigern wurde Ronaldo (mit den schiefen Zähnen!) daraus, was mit physiognomischer Ähnlichkeit nur so weit zu tun hat, als auch Peer Steinbrück mit seinen glatten Haaren und seinem weißen Teint, sagen wir: Franz Müntefering ähnlich sieht.

"Halt dieser Senator aus Illinois, der dir so ähnlich sieht."

Von Mitte der Neunziger an waren die Vergleichsfiguren dann gerne Schauspieler oder Menschen aus dem Showgeschäft - zuletzt (und nun fast ein wenig nachvollziehbar) der karibische (gut durchtrainierte) Kleinkriminelle Amaury Nolasco aus der US-TV-Serie "Prison Break".

Bis Barack Obama auftauchte - da hieß es plötzlich, als sich noch niemand seinen Namen merken konnte, weil man ihn ständig mit Osama bin Laden verwechselte: "Halt dieser Senator aus Illinois, der dir so ähnlich sieht."

Es ist also eine Geschichte vom Sport über die Unterhaltungsindustrie zur Politik - eindeutig eine Aufstiegsgeschichte des schwarzen Phänotyps.

Auf der nächsten Seite: Warum in der Figur Obamas ein Moment von Universalismus zu greifen ist.

Zwei Farben Schwarz

In Berlin, wie vor kurzem die Senatsverwaltung mitteilte, hat jedes vierte Kind einen Migrationshintergrund. Es ist nicht ganz unwesentlich, welche Assoziationen wir bei diesem bunten Anblick haben. Der beste Lackmustest, weil nicht manipulierbar, sind dabei die Reaktionen von Kindern.

Deswegen steht seine "schwarze" Hautfarbe nicht mehr für ein soziales Milieu, auch nicht für eine kulturelle Identität, nicht einmal mehr für eine ethnische Zugehörigkeit. Obama hat das Schwarz seiner Hautfarbe globalisiert. Es ist ein Esperanto-Phänotyp, der in der ganzen Welt zirkulieren kann - von Honolulu über Kenia und Kansas bis nach Indonesien.

In dieser Freiheit, für die Obamas Lebensentwurf einsteht, ist Schwarz dann nichts mehr, was einen auf eine Schicksalsgeschichte festnagelt, deren Mythologien, Vorurteile und Klischees allen angeheftet werden, die diesem Phänotyp entsprechen. Dieses Schwarz ist nur mehr eine im logischen Sinne Negativ-Farbe: Sie steht für das Ende der Homogenität.

Darin liegt die Ausstrahlung, die Obama in so vielen Teilen der Welt ausübt. Für die Identitätspolitik der afroamerikanischen Community konnte sich die Welt nicht wie für ihre eigene Sache interessieren. Aber in der Figur von Barack Obama ist plötzlich wieder ein Moment von Universalismus zu greifen.

Ein Phänotyp, den wir nicht mit der Idee "amerikanischer Präsident" verbinden

Deshalb trifft man in Deutschland so häufig euphorisierte Menschen, die einem erklären, wie genau man, wo man als Deutscher schon nicht für Obama stimmen, so doch wenigstens für seine Kampagne spenden kann.

Wenn der Präsidentschaftskandidat der Demokraten vor der Siegessäule in Berlin das Wort ergreifen wird, dann mag er die Wichtigkeit und Bedeutung der transatlantischen Allianz hervorheben. Im Zweifel wird das etwas sein, das man schon vorher wusste. Neu und in seinen Wirkungen nicht zu unterschätzen aber wird sein, dass diese Worte von einem Menschen kommen, dessen Phänotyp wir nicht mit der Idee "amerikanischer Präsident" verbinden.

Ja, der ganze Mitleids- und Solidaritätsblick der affirmative action will nicht mehr passen. Barack Obama löst damit das Schwarz auch von seiner sozialen Konnotation. Die Pigmentierung ist gesellschaftlich vieldeutiger geworden.

Man könnte sagen: In der Wolle gefärbt ist nichts bei Barack Obama. Er kennt keinen Stallgeruch. Das aber strahlt den Hauch der Freiheit aus - der Freiheit von einengenden, fixierenden Herkunftsverhältnissen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Obama für Deutschland so wichtig ist.

Zwei Farben Schwarz

Deutschland ist immer noch ein ethnisch sehr homogenes Land. Wenn man Besucher aus anderen Ländern, aus Frankreich, England oder den Niederlande, durch Deutschland führt, sind diese darüber stets überrascht. Aber das Straßenbild hat sich natürlich trotzdem in den vergangenen zwanzig Jahren auffallend verändert.

Unsere gesellschaftliche Imagination kommt diesem Wandel nur langsam hinterher. Der Ruf der NPD jedenfalls nach einer echten deutschen Nationalmannschaft wäre vor zehn Jahren noch völlig überflüssig gewesen.

Das physiognomisch Fremde muss dabei, solange es einem nur allgemein entgegentritt, eingeordnet werden. Welche Muster und Schubladen die gesellschaftliche Phantasie für diese sortierende Ordnungsleistung dabei zur Verfügung stellt, ist nicht unbedeutend.

"Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" funktioniert nicht mehr

In den Zeiten der alten Bundesrepublik (West) wurde ich als Kind mit dunkler Hautfarbe herzlich, aber bestimmt gefragt: "Ist dein Vater GI?" - was immer etwas sozial Demütigendes hatte. (So wie in der DDR jeder Schwarze halt ein Arbeiter aus den sozialistischen Bruderländern Kuba, Angola oder Mosambik war.)

Um noch einmal aus persönlicher Erfahrung zu sprechen: Noch bis in die frühen neunziger Jahre schauten Kleinkinder staunend aus ihrem Kinderwagen heraus, wenn ich durch ihr Blickfeld ging: Da war offensichtlich etwas überraschend anders. In den vergangenen fünfzehn Jahren ist das komplett anders geworden. Aus deutschen Kinderwägen kommen keine Zeichen des Erstaunens mehr. Das Kinderlied "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" funktioniert nicht mehr...

In Deutschland wäre vorerst natürlich ein anders als "kaukasisch" aussehender Bundeskanzler oder Bundespräsident nicht vorstellbar. Das ist auch völlig normal, schließlich hat das Land eine ganz andere Einwanderungsgeschichte als die USA.

Es an der Zeit ist, sich ein paar neue Schubladen zuzulegen.

Umso mehr bleibt Deutschland angewiesen auf dieses Gesicht von Barack Obama, das davon erzählt, dass es an der Zeit ist, sich ein paar neue Schubladen zuzulegen. Wenn er in Berlin auftritt, wird er auch diese Bedeutungsverschiebung des Schwarzen stellvertretend symbolisieren.

Denn das ist ja Barack Obamas größtes Talent: Dass er seine eigene Person zu einer großen Geschichte verallgemeinern kann, in die sich viele gerne einklinken. Das Besondere und das Allgemeine, ohne auch nur im Entferntesten identisch zu sein, gehen bei ihm eine stark ausstrahlende Wechselwirkung ein.

Seine Biographie, die individueller kaum sein könnte, wird zu einer großen Erzählung, unter deren Dach viele Platz finden, ohne auf eine allzu einengende Identität festgelegt zu werden. Er ist eine universale Ikone. Und das, nachdem der Universalismus in den letzten Jahren sehr abgewirtschaftet hatte. Nun tritt der ganze Glanz und Erlösungsschimmer des Universalismus noch einmal wie neu in Erscheinung. Auch in Berlin.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: