Obama gegen Romney:Was für Amerika auf dem Spiel steht

Verliert Barack Obama die Wahl, er wäre ein tragischer Held. Aber es geht um mehr als das Los des ersten schwarzen Präsidenten. Mitt Romney würde nach einem Sieg so gut wie alles rückgängig machen, was sein Vorgänger erreicht hat. Amerika hat die Wahl zwischen zwei Staatsmodellen.

Nicolas Richter, Washington

U.S. President Obama participates in a campaign rally in Hilliard

Barack Obama im Wahlkampft: Seine Präsidentschaft erschließt sich nicht ohne die Euphorie zu ihrem Beginn. Nun könnte Amerika ihn wieder abwählen.

(Foto: REUTERS)

Barack Obamas Präsidentschaft hat wie ein religiöses Erlebnis begonnen. Am Tag bevor er als erstes schwarzes Staatsoberhaupt der USA vereidigt wurde, sammelten sich 400.000 Menschen vor dem Lincoln-Denkmal in Washington, um ihn zu feiern, und Bruce Springsteen sang mit einem Gospelchor "The Rising". Das Lied ist nach dem Terror am 11. September 2001 entstanden, nunmehr war es eine Hymne über die Auferstehung aus politischer Finsternis.

Obamas Präsidentschaft - und ihre ungewisse Zukunft - erschließen sich nicht ohne die damalige Euphorie: Fremde Menschen tanzten und weinten miteinander, ergriffen von dem Wunder, das ihr Land ermöglicht hatte. Viele fühlten sich erlöst: Von der Kriegertruppe George W. Bushs, vom Trauma der Kennedy-Morde, von der alten Schande der Sklaverei und des Rassismus.

Nächste Woche könnte Amerika Barack Obama wieder abwählen. Es wäre keine Katastrophe, auf jeden Fall aber eine Niederlage im Kampf für ein tolerantes, faires und mitfühlendes Amerika. Der neue Präsident Mitt Romney würde so gut wie alles rückgängig machen, was sein Vorgänger erreicht hat und sich etliches vorknöpfen, was die Linke seit Franklin D. Roosevelt erkämpft hat. Obama bliebe ein Präsident ohne Erbe, er hätte nichts hinterlassen außer vergilbten Postern und Erinnerungen an einen kollektiven Rausch. Nebenbei ginge in Barack Obama eines der größten politischen Talente dieser Zeit verloren. Er wäre der tragische Held nicht nur einer Generation.

Das Zeitalter, in dem Rasse nichts mehr bedeutet, hat seine Präsidentschaft ebenfalls nicht eingeläutet. Obamas Feinde haben ihren Rassismus oft kaum verhüllt. Geradezu traumatisch wäre eine Wahlniederlage Obamas denn auch für Amerikas Schwarze. Anders als die große Mehrheit der Weißen werden sie Obama nahezu geschlossen wählen.

Selbst wenn Obama am 6. November gewinnt, wird beinahe die Hälfte der Wählerschaft gegen ihn gestimmt haben. Dabei hätte er es nicht nur verdient, wiedergewählt zu werden, sein Sieg wäre sogar grundlegend für all jene, die sich ein modernes Amerika wünschen. Obama hat trotz größter Anfechtungen immer Maß und Würde behalten, er verkörpert Fairness und Integrität, er hat viele Versprechen gehalten. Er hat längst wieder stetiges - wenn auch bescheidenes - Wachstum ermöglicht, nachdem das Land im Jahr vor seinem Amtsantritt 2,6 Millionen Jobs verloren hatte. Er hat Gesundheitsschutz für alle geschaffen, mehr Rechte für Homosexuelle, er hat Osama bin Laden töten lassen. An alledem sind etliche seiner Vorgänger gescheitert.

Seine Schwierigkeiten im Wahlkampf wirken erstaunlich, wenn man seinen Rivalen Romney betrachtet: ein Mann, der stets seine Meinung ändert, selbst bei Themen wie der Abtreibung, die mit tieferen Überzeugungen zu tun haben. Manches erklärt sich damit, dass er eigentlich unideologisch ist, aber einer Partei angehört, deren Wortführer an Fanatiker erinnern. Sie scheinen den Staat zu hassen, die Schwulen, die Schwachen - nicht einmal Vergewaltigungsopfer sind sicher vor ätzendem Moralismus. Das ist die Partei, mit der Romney regieren müsste. Und würde.

Romney verstört nicht, weil er reich ist. Auch Roosevelt war reich, aber der maßregelte die Spekulanten und half den Schwachen. In Romneys Karriere hingegen zählte nur Profit und Effizienz. Er sieht die Gesellschaft zu 47 Prozent von Sozialschmarotzern bevölkert, und er hat sich das rechte Dogma angeeignet, wonach Steuern nie steigen dürfen, auch nicht für die Reichsten. Hier sollte man Romney - ausnahmsweise - beim Wort nehmen: Wer sogar Katastrophenhilfe für einen Luxus hält, der dürfte das Gemeinwohl privatisieren, wo es geht.

Sich selbst der größte Feind

Wenn Obama nun in Bedrängnis gerät, offenbart dies auch dessen eigene Schwächen. Wie viele seiner Vorgänger war er sich manchmal selbst der größte Feind. Lyndon B. Johnson focht einst die Bürgerrechte für Schwarze durch, zerstörte seinen Ruf aber in Vietnam. Bill Clinton widerlegte den Vorwurf, dass Demokraten nicht haushalten können, dafür reichte die Disziplin nicht mehr fürs Privatleben.

Wie viele Demokraten hat auch Obama mehr versprochen, als er halten konnte. Seine Idee einer Versöhnungsepoche in Washington war naiv. Auch erkannte Obama lange nicht, dass er sein erschöpftes Land mit seinem Reformeifer überforderte. Die Amerikaner wünschen mehrheitlich keine Abenteuer oder Experimente mehr, sie möchten nach einem Jahrzehnt der Kriege und Krisen arbeiten gehen und ihre Ruhe haben. Romney verspricht, wonach sich viele sehnen: Normalität. Und er bietet, anders als der professorale Obama, einfache Erklärungen: Amerika ist gut und bleibt schon deshalb groß.

Amerikas Linke hat es oft zugelassen, von ihren Gegnern definiert zu werden. Der Begriff "liberal" ist von der Rechten so nachhaltig mit Schwäche, Sozialismus, Naivität verknüpft worden, dass sich Linke heute lieber Moderate nennen als Liberale. Auch Obama blieb oft passiv, als ihn die Republikaner zur Rechenschaft zogen für das Chaos, das sie verursacht und ihm hinterlassen hatten. Im Wahlkampf griff der Präsident Romney zwar zeitweise scharf an, im Herbst aber fiel er wieder in die alte Unlust am Nahkampf zurück.

Nie war dies so sichtbar wie im ersten von drei Fernsehduellen. Während Romney plötzlich den mitfühlenden Moderaten spielte, fehlten Obama die Worte. Dieser Moment der Schwäche könnte Obama am Ende das Amt kosten. Es mag ihn ehren, dass er sich Zwischentöne, Zweifel und Bescheidenheit leistet. Mit dieser Demut aber ist in Washington nicht viel zu gewinnen, erst recht nicht gegen Republikaner, die sich auf Gott berufen, statt die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Der Klimaschutz, der auch nach Sandy keine Rolle spielt im Wahlkampf, ist dafür das beste Beispiel: Während Obama an Lösungen arbeitet, leugnen seine Gegner, dass es Klimawandel überhaupt gibt.

Am Dienstag wählen die Amerikaner zwischen zwei Staatsmodellen. Romneys setzt voraus, dass jeder Mensch es schafft, wenn er nur will. Obamas geht davon aus, dass jeder Mensch es schafft, wenn er eine Chance bekommt. Viele Menschen sind auf solche Chancen angewiesen, sie werden aber ausbleiben, sollte Romney gewinnen. Es steht also viel mehr auf dem Spiel als nur das Los des ersten schwarzen Präsidenten.

Beim Konzert im Januar 2009 wirkte Obama so verhalten, als laste die immense Erwartung bereits auf ihm. Auch die Musik schien ihn zu warnen. Springsteen, dessen Werk von der Kluft zwischen dem amerikanischen Traum und der Wirklichkeit erzählt, sang mit dem Chor: "Himmel der Liebe, Himmel der Tränen."

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