Nukleare Terrorgefahr:Schäubles Bomben

Im Bundestag muss sich CDU-Innenminister Schäuble heftig für seine Terrorwarnungen kritisieren lassen. Er spricht von Diffamierung - und hat allen Grund gelassen zu bleiben.

Thorsten Denkler, Berlin

Wolfgang Schäuble wartet ab, bis der Applaus für den grünen Innenexperten Wolfgang Wieland abgeebbt ist. Dann rollt er zum Rednerpult. Gerade hat Wieland den Innenminister in der Aktuellen Stunde des Bundestages heftig attackiert - Schäuble führe einen "Krieg gegen den Rechtsstaat". Der Christdemokrat wolle eine andere Republik, er gehe mit dem "Vorschlaghammer" auf die deutsche Sicherheitsarchitektur los.

Wolfgang Schäuble

Warnt vor einer neuen Dimension des Terrorismus: Innenminister Wolfgang Schäuble.

(Foto: Foto: dpa)

Der Grund für diese Tirade: Schäuble hatte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vor einem Anschlag mit nuklearem Material gewarnt und empfohlen, bis es soweit ist, gelassen zu bleiben.

Der Innenminister kennt Kritik nach der Art von Wolfgang Wieland. Er ist ihr seit Monaten ausgeliefert. Aus Reihen der Opposition ebenso wie aus denen des Koalitionspartners. Klaus Uwe Benneter (SPD) ätzt im Parlament: Es sei nicht Aufgabe des Innenministers "seinen Wochenendfrust über uns ergehen zu lassen".

Gezielte Provokation

Schäuble pflegt solche Angriffe zunächst sehr leise zu kontern. Er zitiert Mohammed el-Baradei, den Chef der UN-Atom-Behörde, der schon vor Wochen vor der atomaren Bedrohung durch Terroristen gewarnt hatte. Dann rief er Al-Qaida-Chef Osama bin Laden in Erinnerung: Der habe schon 1998 gesagt, der Westen müsse mit A-, B- und C-Waffen bekämpft werden.

Weil er eben im Kern nichts Neues erklärt habe - und da wird Schäuble dann lauter -, halte er die Kritik an ihm für bloße Diffamierung: "Sie unterstellen entweder man wolle die Verfassung abschaffen oder man sei geisteskrank!"

Letzteres dürfte auszuschließen sein. Aber dass Schäuble mit solchen Attacken nicht gerechnet habe, das sollte nicht unterstellt werden. Das Interview war eine dieser gezielten, wohl kalkulierten Provokationen des Innenministers. Das tatsächlich Gesagte ist gar nicht so spektakulär.

Erst in der letzten Zeitungsantwort finden sich die entscheidenden Sätze. "Die größte Sorge aller Sicherheitskräfte ist, dass innerhalb des terroristischen Netzwerkes ein Anschlag mit nuklearem Material vorbereitet werden könnte", sagte er dort. Viele Fachleute seien inzwischen überzeugt, dass es nur noch darum gehe, wann solch ein Anschlag kommt, nicht mehr ob. "Aber ich rufe dennoch zur Gelassenheit auf. Es hat keinen Zweck, dass wir uns die verbleibende Zeit auch noch verderben, weil wir uns vorher schon in eine Weltuntergangsstimmung versetzen". Es war dieser Aufruf zur Gelassenheit, der viele an die Grenzen ihrer Geduld brachte.

Die Reaktion in den Medien war vorhersehbar. Plötzlich war von der nahen Gefahr eines atomaren Anschlages die Rede, von schmutzigen Bomben, mit denen Terroristen das Land bedrohten. Auf den Meinungsseiten und in den Feuilletons des Landes wird Schäuble nicht erst seit dem Interview als Brandstifter, als Grundgesetz-Verbieger, als schwarzer Sheriff bezeichnet.

Der Innenminister kennt die Mechanismen. Ihm zu unterstellen, er habe irgendetwas gesagt, ohne die medialen Folgen zu bedenken, würde seine Intelligenz beleidigen.

Schäubles Bomben

Wohlgemerkt: Es ist die veröffentlichte Meinung, die Schäuble in die Mangel nimmt. An den Stammtischen der Republik wird ihm für seine harte Hand gehuldigt. Hier sitzt Schäubles Klientel. Eine Klientel, die von der Familiendebatte in der CDU verunsichert ist. Der Parteienforscher Oskar Niedermayer hält Schäuble für einen Garanten dafür, dass "die konservativen Wähler sagen: Mit der Partei bin ich einig".

Sein Vorgänger Otto Schily (SPD) stand nicht minder in der Kritik. Die Wähler haben es gedankt. Wer Sicherheit verspricht, hat beim Wähler bessere Karten. Der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger bringt es im Bundestag auf den Punkt: "Die Mehrheit der Bürger will einen starken Staat."

Für die SPD ist das durchaus ein Problem. Sie ist noch auf der Suche nach einem neuen innenpolitischen Profil. Selbst Schäubles Vorgänger Schily zu loben, fällt den meisten noch schwer. Sich mit Schäuble einverstanden zu zeigen, will erst recht niemand. Zu groß das Misstrauen.

Nur ein Teil der Wahrheit

Das hat sich auch in der heutigen Debatte gezeigt. Die SPD-Parlamentarier applaudieren eifrig, wenn Redner der Grünen oder der FDP sprechen. Doch weder bei dem Auftritt von Schäuble noch bei Reden aus den Reihen der CDU/CSU, die ihren Innenminister tapfer verteidigten, regt sich etwas in der SPD-Fraktion. Als das nicht mehr zu verleugnen ist, fragt FDP-Chef Guido Westerwelle lauthals in Richtung SPD: "Wozu braucht ihr eigentlich noch eine Opposition?"

Diese rein partei- und wahltaktische Sicht ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Wer den tieferen Grund dafür finden will, warum Schäuble sich schärfer als Schily geriert, der muss ungefähr 17 Jahren zurückblicken.

Schäuble war damals schon einmal Innenminister unter Helmut Kohl. Auftrag: Vollendung der deutschen Einheit. Terrorbekämpfung stand, wenn überhaupt, nur ganz unten auf der Agenda. Es war der 12. Oktober 1990, als auf einer Parteiveranstaltung in einem Wirtshaus nahe seiner schwäbischen Heimat ein Irrer seine Pistole zückte. Drei Schüsse, seitdem ist Schäuble an den Rollstuhl gefesselt.

Im Fall der Fälle alles richtig gemacht

Er selbst bestreitet, dass das Ereignis je Einfluss auf seine Politik gehabt hätte. Die aber, die ihn gut kennen, berichten, er habe ein wenig das Grundvertrauen in die Menschen verloren. "Der Misstrauer" überschrieb kürzlich die Süddeutsche Zeitung einen Schäuble-Kommentar von Heribert Prantl. Von ganz ungefähr kommt das nicht. Schäubles Politik folgt dem Prinzip: Jeder könnte Opfer, jeder könnte Täter sein.

Der aktuelle Schäuble-Katalog spricht für sich: Rasterfahndung, digitaler Fingerabdruck im Reisepass, Lkw-Mautdaten für die Strafverfolgung, Online-Durchsuchungen, Telefonüberwachung, Weitergabe von Flugdaten, längere Speicherung von Telefon-, Handy- und E-Mail-Verbindungen, Einsatz der Bundeswehr im Innern, Abschuss entführter Flugzeuge.

Schäubles Trost: Je mehr Prügel er einstecken muss, desto enger ist die Bindung an seine Klientel. Und wenn tatsächlich irgendwann die Terroristen ihr Ziel treffen, dann hat zumindest er alles richtig gemacht.

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