Nukleare Abrüstung:"Wir sind keine Naivlinge"

Beatrice Fihn, Executive Director of the International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN), attends a news conference after ICAN won the Nobel Peace Prize 2017, in Geneva

Beatrice Fihn hat mit ihrer Organisation den Friedensnobelpreis gewonnen.

(Foto: REUTERS)

Nuklearwaffen werden unspektakulär verschwinden, sagt Beatrice Fihn voraus. Sie leitet die Organisation Ican, die gerade mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Ein Gespräch über moderne Kriegsführung, heuchelnde Regierungen und das Umarmen von Bäumen.

Interview von Tobias Matern

Ein paar Minuten, ehe es die ganze Welt erfährt, bekommt Beatrice Fihn von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) in Genf am Freitagvormittag den Anruf, auf den sie kaum zu hoffen gewagt hatte: Die Organisation erhält den Friedensnobelpreis. Ican ist ein Zusammenschluss von etwa 450 kleineren Bewegungen in mehr als 100 Ländern, die sich allesamt einem großen Ziel verschrieben haben: eine Welt ohne Nuklearwaffen auf den Weg zu bringen. Ican-Geschäftsführerin Fihn, 34, nennt den Preis eine "große Ehre" für ihre Organisation und ruft in einer ersten Stellungnahme zur nuklearen Abrüstung auf. Ein paar Tage vor der Bekanntgabe des Friedensnobelpreises hat sie der Süddeutschen Zeitung dieses Interview gegeben.

SZ: Gut 120 Staaten haben einen Verbotsvertrag für Atomwaffen ausgehandelt, Ican war an den Gesprächen beteiligt. Aber wie realistisch ist ein solcher Vertrag in einer Welt, in der die Atommächte gar nicht daran denken abzurüsten?

Beatrice Fihn: Zunächst einmal ist der Vertrag jetzt eine Realität. Aber unser Ziel, dass jeder Staat der Welt ihn unterschreibt, wird nicht so bald erreicht sein. Mir fällt auf, dass wir die Atomfrage häufig in einem Schwarz-Weiß-Muster behandeln. Dabei fragen wir uns doch auch nicht, ob es jemals wieder zu Menschenrechtsverletzungen kommen wird, obwohl es entsprechende Normen gibt, die das verhindern sollen.

Was für eine Bedeutung hat der Vertrag zum jetzigen Zeitpunkt?

Er ist ein normatives Instrument, er drückt das Bestreben nach einer besseren Welt aus. Der Vertrag wird klar zu erkennende Folgen haben, er ist nicht nur ein naiver Traum. Aber es geht hier nicht um alles oder nichts. Wir glauben, dass nukleare Abrüstung eines Tages vollzogen wird, aber nicht, indem auf einmal weiße Tauben aufsteigen und Frieden herrscht, sondern auf viel unspektakulärere Weise: Atomwaffen werden ihre Relevanz verlieren, die Budgets werden gekürzt, andere Prioritäten gesetzt. Wir beobachten bereits jetzt einen Trend zu voll autonomen Waffensystemen. Atomwaffen werden eines Tages ersetzt werden.

Wodurch?

Durch Waffen, die mehr die modernen militärischen Anforderungen erfüllen. Ein Land komplett zu zerstören, wie es Donald Trump Nordkorea angedroht hat - so sieht moderne Kriegsführung nicht mehr aus. So sah es vielleicht früher aus, aber wir haben bereits eine Reihe von Gesetzen und Normen geschaffen, die das verhindern. Ich will damit nicht sagen, dass Zivilisten in den heutigen Kriegen nicht mehr bedroht sind, aber in der modernen Kriegsführung ist ein Trend zu beobachten, wonach nicht derjenige gewinnt, der die meisten Zivilisten tötet. Es gibt präzisere Waffensysteme, es geht um ausgewählte Ziele und das Zerstören wichtiger Infrastruktur. Atomwaffen kosten hingegen eine Menge Geld und sind für das Militär ziemlich nutzlos. Ihre Auswirkungen lassen sich nicht eingrenzen. Falls man Nordkorea mit Atomwaffen zerstören wollte, würden dadurch auch Südkoreaner sterben.

Aber die Nato und Russland würden in mindestens einem Punkt widersprechen. Sie argumentieren: Nukleare Abschreckung funktioniert, das rechtfertige auch den Besitz einer Waffe, die seit Jahrzehnten nicht eingesetzt wurde.

Es könnte auch sein, dass sie nicht eingesetzt wurde, weil sie nicht den militärischen Anforderungen entspricht. Wenn ich mir Nordkorea, die USA und die stetige Eskalation anschaue und dann höre, Atomwaffen schaffen Frieden und Stabilität, kann ich nur erwidern: So fühlt sich das aber nicht an. Als der Atomwaffenverbotsvertrag unterschriftsreif auslag, gab die Nato eine Erklärung ab, in der sie sich über die Staaten beschwert hat, die das Verbot ausgehandelt haben. Staaten wie Deutschland wollen also nicht, dass andere Länder Atomwaffen verbieten. Aber was wollen sie dann? Sie legal lassen? Das wollen sie auch nicht.

"Können wir mit diesen Waffen leben oder nicht?"

Die Bundesregierung hält den Verbotsvertrag nicht für das richtige Mittel zur Abrüstung von Atomwaffen.

Vor allem Nato-Staaten stellen sich gerne so dar, als würden sie für nukleare Abrüstung einstehen, aber wenn es ernst wird, sind sie sehr glücklich, an ihren Nuklearwaffen festzuhalten. Dieser Verbotsvertrag deckt die Heuchelei auf, die dahintersteckt. Atomwaffen sind auf eine Bedeutungsebene gehoben worden, die durchschnittlichen Menschen das Gefühl nimmt, sie hätten noch irgendeinen Zugang zu diesem Thema. Es gibt ständig das Gerede über strategische Stabilität, viele Experten und Gruppen von hochrangigen Leuten, die in ganz wichtigen Zimmern sitzen und sich in Abkürzungen unterhalten, die man nicht versteht. Aber dabei ist es ganz einfach, das Atomthema lässt sich auf eine einzige Frage verdichten: Können wir mit diesen Waffen leben oder nicht?

Sie geben eine Antwort. Aber das tut doch auch die Bundesregierung, indem sie den Verbotsvertrag ablehnt ...

... Deutschland kann diese Frage nicht beantworten. Als internationale Gemeinschaft haben wir Nuklearwaffen zu mehr gemacht als Waffen, sie gelten als Symbol. Wenn wir nun also ihre Existenz anfechten, entsteht in der Nato das Gefühl, wir würden damit die Allianz herausfordern. Aber wir glauben nicht, dass diese Allianz auf Massenvernichtungswaffen setzen sollte, sondern auf eine konventionelle militärische Kooperation.

Höhlt der nun ausgehandelte Verbotsvertrag nicht den Atomwaffensperrvertrag aus, der ja eigentlich die Nicht-Verbreitung von Nuklearwaffen regeln soll?

Die dafür zuständige UN-Konferenz für Abrüstung trifft sich regelmäßig in Genf, das ist eine Farce. Sie haben eine Tagesordnung, aber können sich nicht darauf einigen, in welcher Reihenfolge sie diese diskutieren wollen. Und dann sagen die teilnehmenden Staaten immer, es sei wichtig, zusammenzusitzen und den Dialog offenzuhalten. Aber von einem gewissen Punkt an ist das nur eine Entschuldigung dafür, dass sie nichts zustande bringen. Was den Atomwaffensperrvertrag angeht, gab es nach der Rede von Barack Obama in Prag im Jahr 2009 die Hoffnung, dass nach langen Jahren des Stillstands endlich Bewegung in die Abrüstungsfrage kommt. Aber das ist nicht geschehen.

Sie haben mit dem nun ausgehandelten Deal ein langjähriges Ziel von Ican erreicht. Ist Ihre Arbeit nun erledigt?

Ganz und gar nicht. Sofort nachdem der Atomwaffenverbotsvertrag zur Unterzeichnung auslag, habe ich gemerkt: Jetzt kommt erst noch der schwierige Teil auf uns zu, nämlich dafür zu sorgen, dass dies etwas von Bedeutung in der internationalen Gemeinschaft wird und eine neue Norm entsteht. Wenn man sich andere Verträge wie zum Verbot von Chemiewaffen oder Landminen anschaut, wird deutlich, dass es Jahre bis zur Implementierung dauern kann. Wir sind keine Naivlinge, die einfach durch die Gegend rennen, Bäume umarmen und fernab der Realität von Frieden träumen. Wir müssen weiter für eine Welt ohne Nuklearwaffen kämpfen.

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