Verfassungsschutz-Chef vor NSU-Untersuchungsausschuss:Fromm gesteht schwere Fehler seiner Behörde ein

Lesezeit: 2 min

"Zehn Exekutionen über einen Zeitraum von sieben Jahren - das ist beispiellos": Der scheidende Verfassungsschutz-Chef Fromm spricht vor dem NSU-Untersuchungsausschuss von einer schweren Niederlage der Ermittler der Neonazi-Mordserie. Zuvor gewährt ein Referatsleiter Einblicke in die chaotischen Zustände beim Verfassungsschutz, schweigt aber an der entscheidenden Stelle.

Der scheidende Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm hat die Neonazi-Mordserie als "schwere Niederlage für die deutschen Sicherheitsbehörden" bezeichnet. "Zehn Exekutionen von ahnungs- und wehrlosen Menschen über einen Zeitraum von sieben Jahren - das ist beispiellos", sagte Fromm zu Beginn seiner Vernehmung vor dem Neonazi-Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz habe die rechtsextremistische Motivation bei der Mordserie lange Zeit verkannt und falsche Spuren verfolgt. "Diese analytische Engführung hat sich als Fehler erwiesen", sagte Fromm. Die Personen, die Verantwortung für diese Pannen übernehmen müssten, würden auch durch notwendige Aufklärungsarbeiten, Gesetzesänderungen oder personelle Konsequenzen nicht entlastet, sagte er weiter. Zu diesem Personenkreis zähle er sich auch selbst.

Die Mitglieder des Ausschusses erhoffen sich von Fromm Aufklärung darüber, warum ein Referatsleiter seiner Behörde kurz nach Bekanntwerden der Mordserie Akten zu V-Leuten in der rechtsextremen Szene Thüringens vernichten ließ. Fromm hatte wegen des Vorgangs um seine Versetzung in den Ruhestand gebeten und scheidet Ende Juli aus dem Amt.

Der Verfassungsschutz-Chef sieht seine Behörde durch die NSU-Akten-Affäre in ihren Grundpfeilern beschädigt. Das Schreddern der Dokumente habe zu einem "schwerwiegenden Verfall für das Ansehen des Bundesamts für Verfassungsschutz geführt, dessen Folgen für die Funktionsfähigkeit des Amtes nicht vorhersehbar sind", sagte Fromm. Das Handeln des verantwortlichen Beamten könne er nicht nachvollziehen: "Ich habe keine überzeugende Erklärung anzubieten."

Verabredet sei gewesen, alte Akten, die nicht mehr gebraucht werden, nach und nach zu vernichten. Bei dem verantwortlichen Beamten habe es so gewesen sein können: "Alte Dinger - Bezüge zum NSU? - Fehlanzeige! Also weg", vermutete Fromm. Die Tatsache, dass in den Akten zu den V-Leuten des Amts in der Thüringer Neonazi-Szene keine direkte Verbindung zur Terrorgruppe dokumentiert sei, sei eine mögliche Erklärung. Die Befragung dauert zurzeit noch an.

Akten nach dem Lotterie-Prinzip gelöscht

Am Vormittag hatte der Untersuchungsausschuss bereits den zuständigen Referatsleiter vernommen, der die umstrittene Aktenvernichtung angeordnet hatte. Die Befragung selbst fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Verfassungsschutzmitarbeiter soll die Fragen der Abgeordneten nach Auskunft aus Parlamentskreisen recht ausführlich beantwortet haben.

Der konkrete Grund für die Löschung von sieben Akten zu V-Leuten in der Thüringer Neonazi-Szene blieb aber weiterhin unklar, wie die Obleute in Berlin mitteilten. Zu diesem Vorgang habe der Referatsleiter die Aussage verweigert.

Nach der Befragung stellte der Untersuchungsausschuss dem Bundesamt für Verfassungsschutz ein vernichtendes Zeugnis beim Umgang mit Akten aus. Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU) sagte, "dass die Art und Weise, wie Akten geführt, gespeichert oder gelöscht werden, eher an eine Lotterie als an ein seriöses Prinzip erinnert". Manche Akten seien gelöscht worden, andere 15 Jahre lang liegen geblieben.

Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) teilte mit, im Bundesamt habe es 2011 eine Aktion gegeben, 15 Jahre alte Akten zu löschen. Verwunderlich sei, dass Ende 2011 - kurz nach dem Auffliegen des NSU - jüngere Akten gelöscht worden seien. Deutlich sei geworden, "dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht als Hort des Datenschutzes betrachtet werden kann". Man sei dort normalerweise sehr zurückhaltend, sich von Akten zu trennen.

SPD-Obfrau Eva Högl sagte, der Verdacht, dass etwas vertuscht werden sollte, habe nicht ausgeräumt werden können.

© AFP/dapd/dpa/Reuters/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: