NSU:Sie spricht

Die Angeklagte Beate Zschäpe beteuert, dass sie sich vom Nazi-Gedankengut losgesagt habe. Es ist wohl auch der Versuch, den zu Ende gehenden Prozess noch einmal zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Von Annette Ramelsberger

Noch bevor sie spricht, erfährt man Dinge, die man nicht für möglich gehalten hätte. Dass Beate Zschäpe gerne Harry Potter liest - ausgerechnet Harry Potter, der gegen Lord Voldemort kämpft, jenen bösen Zauberer, der Menschen, die ihm im Weg stehen, mit einem Schwung seines Zauberstabs tötet. Eiskalt. Mitleidlos. So wie Beate Zschäpes Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Menschen getötet haben, die ihnen nicht lebenswert erschienen. In ihrem Fall waren es neun Ausländer und eine Polizistin. Man würde Beate Zschäpe gern fragen, ob sie zu Harry Potter oder zu Lord Voldemort gehalten hat.

An diesem Donnerstagmorgen antworten wie immer Zschäpes Anwälte auf die Fragen des Gerichts, das hatte nach der Lieblingslektüre der Angeklagten gefragt. Zschäpe sitzt daneben und schweigt. Seit dreieinhalb Jahren. Noch nie hat jemand ihre Stimme gehört.

Was wurde über ihre Stimme gerätselt. Ob sie piepsig sei oder rauchig-tief, ob der Thüringer Dialekt hervorsticht, ob sie gepresst ist oder verhaucht. Ob sie zittert. Ist es die Stimme eines abhängigen Mädchens, als das sie sich stilisiert? Eine Frau, so schwach, dass sie sich nicht von ihren mörderischen Freunden trennen konnte?

Es ist kurz nach zehn Uhr. Zschäpe wirkt nicht nervös. Sie lächelt ihre Anwälte an, wie so oft. Sie schüttelt ihre langen Haare, wie so oft. Dann lehnt sie sich nach vorn. Sie ist nicht heiser. Sie räuspert sich nicht. Sie, von der ihre Anwälte so oft gesagt haben, sie sei nicht fähig, in diesem großen Prozesssaal zu sprechen, sie spricht nun. Zum ersten Mal.

Früher sei sie Nationalistin gewesen. "Heute hege ich keine Sympathien mehr dafür."

NSU-Prozess: Zschäpe meldet sich zum ersten Mal zu Wort

Sie beurteile die Menschen heute nicht mehr nach Herkunft, sagt Zschäpe am Donnerstag.

(Foto: Matthias Schrader/dpa)

Die Stimme ist klar, tief, mit einem leichten Thüringer Akzent. Und sie zittert nicht. Doch es ist nicht nur die Stimme selbst. Wichtiger ist das, was Zschäpe sagt. "Es ist mir ein Anliegen, Folgendes mitzuteilen", beginnt sie und liest von einem Blatt ihre Erklärung ab. Sie räumt ein, früher nationalistisch eingestellt gewesen zu sein. "Heute hege ich keine Sympathien mehr dafür", sagt sie. Zschäpe distanziert sich damit von der rechten Szene, vom rechten Gedankengut. Es ist das erste Mal, dass sie das tut. Nach all den Jahren. Sie, von der Zeugen berichteten, sie sei sehr beschlagen "in Germanentum" gewesen. Und dann sagt Zschäpe: "Heute beurteile ich Menschen nicht nach Herkunft oder politischer Einstellung, sondern nach ihrem Benehmen." Aus Beate Zschäpe, dem rechtsradikalen Bürgerschreck, der Gefährtin von zwei Mördern, scheint Beate Zschäpe, die Bürgerliche, geworden zu sein. Die Frau, der Benehmen wichtig ist.

Und dann betont sie noch einmal, was sie schon im Dezember 2015 gesagt hat - dass sie die Morde ihrer Männer verurteilt. Nur diesmal sagt sie es mit ihren eigenen Worten, mit ihrer eigenen Stimme. "Ich verurteile das, was Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Opfern angetan haben und bedauere mein eigenes Fehlverhalten." Weil sie nicht die Kraft gehabt habe, sich von ihren Männern zu lösen.

Die persönliche Erklärung ist wohl auch der Versuch, den zu Ende gehenden Prozess noch einmal zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Denn die letzten Verhandlungstage hat eine Debatte darüber bestimmt, ob das Gericht einen Brief von Zschäpe an ihren Brieffreund heranziehen darf, damit die Richter ihre Persönlichkeit besser beurteilen können. Der Brieffreund ist rechtsradikal und saß wegen eines bewaffneten Überfalls auf einen Ausländer in Haft. Jeder kann sich seine Brieffreunde selber aussuchen, doch die Wahl verrät viel über einen selbst. Und leicht dahingeschriebene Sätze sagen oft mehr als mit Anwälten ausgetüftelte Erklärungen. Ihrem Brieffreund hat Zschäpe geschrieben, dass er in ihr seine "Meisterin" gefunden haben dürfte und dass sie keine "dumme Gans" sei. Der ganze Brief strotzt vor Selbstbewusstsein. Das widerspricht dem Bild, das ihre Anwälte von ihr zu zeichnen versuchen: das der Frau, die nichts wusste von den geplanten Morden, die immer erst im Nachhinein davon erfuhr. Sie selbst hat am Donnerstag ebenfalls zugegeben, dass das schwer zu glauben ist. Sie ließ ihren Anwalt erklären, dass sie darüber nachgedacht habe, ob ihr beim Auffliegen des NSU nicht eine Mittäterschaft vorgeworfen werden könnte. Sie habe ja mit den beiden Männern in engsten Verhältnissen gelebt.

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