NSU-Prozess:Wo Krimi und Realität verschwimmen

Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe

Seit Jahren versuchen Opferanwälte und Abgeordnete zu klären, ob der Verfassungsschutz von der Existenz des NSU wusste und ob er die Morde hätte verhindern können.

(Foto: dpa)

Fünf Jahre nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt gibt es Bücher und Filme über den NSU. Trotzdem ist unklar, wer wo seine Finger im Spiel hatte. Auch deshalb klingen Verschwörungstheorien so gut.

Kommentar von Annette Ramelsberger

Am 4. November vor fünf Jahren erschossen sich die beiden mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in ihrem Wohnmobil, als sie von Polizei umstellt waren. Bereits hier setzen die Verschwörungstheorien ein. Haben sich die beiden Männer gar nicht selbst getötet? Wurden sie im Auftrag dunkler Mächte gemeuchelt? Vielleicht deshalb, um die Verwicklung des Verfassungsschutzes in die rechtsradikale Mordserie zu vertuschen, die zehn Menschen das Leben kostete und so viele an Körper und Seele verletzt zurückließ?

Es gibt mittlerweile drei Bücher und ganze Fernsehfilme, in denen gute bis weniger gute Autoren die Lücken im Fall NSU mit ihrer Fantasie füllen. Das liest sich anregender als trockene Zeugenaussagen und Tatortbeschreibungen, wie sie im NSU-Prozess zu hören sind. Diese Krimis haben auch einen Entlastungseffekt: Endlich weiß man, wie es war. Auf dem Bösewicht vom Geheimdienst kann man dann alle Schuld abladen. Der Leser vergisst schnell, dass es nur (gut) erfundene Geschichten darüber sind, wie alles zusammenhängen könnte.

Das wahre Leben ist weniger einfach. Selbst nach fünf Jahren Ermittlungen, einem halben Dutzend Untersuchungsausschüssen und mehr als 300 Verhandlungstagen ist eben nicht klar, wer wo genau die Finger mit im Spiel hatte. Da sind 1998 drei Rechtsradikale untergetaucht und haben die Strukturen genutzt, die sich im Chaos der Wiedervereinigung entwickelt hatten. Sie fanden Schutz in der Szene und bei Nachbarn, die nichts dabei fanden, unterm Hitlerbild zusammenzusitzen. Hilfe bekamen sie auch von Tino Brandt, einem V-Mann des Verfassungsschutzes. Der telefonierte oft mit den Untergetauchten. Der Geheimdienst observierte die Telefonzellen, machte sogar ein Bild von Uwe Böhnhardt - das Foto landete beim Chef des Thüringer Verfassungsschutzes. Er selbst sagt, er habe es nie gesehen. Aussage steht gegen Aussage. Nur eines ist klar: Der Thüringer Verfassungsschutz war eine Behörde, der man alles zutraut. Sie mauert bis heute. Aber ob sie mit den Tätern unter einer Decke steckte?

Die Geheimdienste glänzten durch Naivität

Seit Jahren versuchen Opferanwälte und Abgeordnete akribisch zu klären, ob der Verfassungsschutz von der Existenz des NSU wusste und ob er die Morde hätte verhindern können. Bis jetzt sieht es so aus: Die Geheimdienste glänzten durch Naivität, Dienst nach Vorschrift und Unfähigkeit, die Polizei durch konsequenten Blick in die falsche Richtung. Die V-Leute waren nahe dran am NSU, so nah, dass immer wieder der Verdacht aufkommt, dass es Kumpanei gegeben haben muss. Und es wäre auch eingängiger, wenn da Leute mit Vorsatz gehandelt hätten und nicht nur aus Schlamperei. Aber bis jetzt fehlt der Beweis, dass es die "schützende Hand" gab, wie der Krimiautor Wolfgang Schorlau schreibt.

Beweise aber interessieren viele in der postfaktischen Gesellschaft gar nicht mehr. Die bessere, die spannendere Erzählung gewinnt. Es verschwimmen Krimi und Realität. Und die Wirklichkeit ist ja auch viel anstrengender als ein rasanter Roman, sie zwingt zum Nachdenken, sogar über sich selbst. Denn wenn es die ganz große Staatsverschwörung vielleicht doch nicht gab, dann ist da auch keiner, auf den man alle Schuld laden kann.

Wer beim NSU nur auf Polizei und Dienste zeigt, auf den deuten vier Finger zurück. Der Prozess hat aufgedeckt, wie in Deutschland über Jahre ein Geflecht an missgünstigen Kleinbürgern, Antidemokraten und aggressiven Rechtsradikalen entstanden ist, deren Wut sich nun in Dresden, Heidenau und Freital entlädt und die den NSU nur für eine leichte Übertreibung dessen halten, was sie für richtig finden. Die Atmosphäre muss passen, damit Taten entstehen. Das ist heute nicht anders als zu Beginn der NSU-Mordtaten. Es braucht keine dunkle Macht da oben, die alles einfädelt, es reicht die Feigheit von vielen da unten, damit sich Terror einnisten kann. Dazu gehört heute auch: weghören, wenn gegen Ausländer gehetzt wird; oder der AfD nach dem Mund reden. Eigene Fehler einzugestehen ist viel schwerer, als alle Verantwortung irgendwo im Dunklen zu verorten.

Deswegen wirken auch die Angebote für Verschwörungstheorien so gut: Nach der letzten Polizeipanne haben viele gerne geglaubt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Fall Peggy und dem NSU gibt. Diese Pannen sind fatal - sie treiben die Fantasien immer weiter an, sodass am Ende nichts mehr sicher ist und alles möglich. Wahrscheinlich wird bald ein Film gedreht, über Beate Zschäpe und Peggy. Weil sie ja zusammenhängen könnten, irgendwie, auch wenn man nichts weiß. Sicher wäre der Film sehr erfolgreich. Nur der Erkenntnisgewinn wäre null. Aber wen stört das noch?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: