NSU-Prozess:Wer ist eigentlich Beate Zschäpe?

NSU Prozess

Beate Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm (von links) unterhalten sich im Gerichtssaal.

(Foto: picture alliance / Peter Kneffel)
  • Anja Sturm beginnt als letzte von Zschäpes Verteidigern mit ihrem Schlussvortrag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München.
  • Zschäpe habe "niemals die Chance auf ein wirklich faires Verfahren" gehabt, sagt sie.
  • Weil Sturm krank ist, wird der Verhandlungstag am Donnerstag abgesagt. Ihr Plädoyer wird sie erst nächste Woche fortsetzen können.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Beate Zschäpe hört zu. Ihren Laptop hat sie zugeklappt. An diesem Tag lenkt sie sich nicht durch den Blick auf den Monitor vom Prozessgeschehen ab, wie sie es in den vergangenen Jahren so oft getan hat. Zschäpe hört zu. Sie hört zu, wie ihre Verteidigerin Anja Sturm sie gegen den Vorwurf verteidigt, eine rechtsextreme Terroristin gewesen und womöglich noch immer gefährlich zu sein.

Anja Sturm beginnt am Mittwoch als letzte von Zschäpes Verteidigern mit ihrem Schlussvortrag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Wie schon ihre Kollegen, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer, kritisiert auch sie eine Vorverurteilung ihrer Mandantin schon im Ermittlungsverfahren. Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seien Terroristen, ein "Terrortrio" - darauf hätten sich der damalige Präsident des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke und der damalige Generalbundesanwalt Harald Range festgelegt, kaum dass die Welt im November 2011 von der Existenz des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) erfahren hatte. Mit dem Effekt, dass der Begriff des "Terrortrios" nicht als erst noch zu überprüfende These in die Befragung von Zeugen eingeflossen sei, sondern als angebliche Tatsache, sagt Sturm und zitiert aus Vernehmungsprotokollen.

Zschäpe habe "niemals die Chance auf ein wirklich faires Verfahren" gehabt, sagt ihre Verteidigerin. Und sie appelliert an die Richter, "Gedanken zuzulassen, Gedanken, dass es auch anders gewesen sein könnte, als der Generalbundesanwalt meint, Gedanken, dass Frau Zschäpe nicht die Rolle innehatte, die Sie ihr möglicherweise doch schon seit Längerem zuschreiben".

Sturm kommt auch auf das Versagen des Staates zu sprechen. Darauf, dass Neonazis jahrelang mordend durch Deutschland ziehen konnten, ohne dass Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden ihnen auf die Spur kamen. Die Ermittler suchten die Täter nicht in der rechten Szene, sondern unter den migrantischen Opfern. Der rassistische Hintergrund offenbarte sich erst nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos.

Der Staat habe nach dieser Blamage vermutlich unter dem Druck gestanden, einen schnellen und großen Ermittlungserfolg zu präsentieren, sagt Sturm. Zwei Einzeltäter, die noch dazu tot sind und nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können, seien dafür, so sieht es die Verteidigerin, womöglich weniger geeignet gewesen als eine terroristische Vereinigung. Eine terroristische Vereinigung, die es nach Ansicht von Zschäpes Verteidigung jedoch nie gegeben hat.

Zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle

Juristisch ist eine terroristische Vereinigung als Zusammenschluss von mindestens drei Personen definiert. Laut Sturm hatte der NSU aber nur zwei Mitglieder. "Der NSU bestand allein aus den schwerstkriminellen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos", sagt sie. Zschäpe habe den NSU weder gegründet noch habe sie dazu gehört. Sturm sagt auch: "Frau Zschäpe hat nicht die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet." Die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung lägen nicht vor.

"Beate Zschäpe ist keine Terroristin. Sie ist keine Mörderin und keine Attentäterin", das hatte Verteidiger Heer schon vergangene Woche in seinem Plädoyer gesagt. "Wer ist Beate Zschäpe?", fragt nun Verteidigerin Sturm. Für die einen sei Zschäpe die eiskalte Mörderin, für die anderen die schwache Frau. Eine differenzierte Betrachtung von Zschäpes Persönlichkeit sei ausgeblieben, sagt sie, "das Bild, welches bisher gezeichnet wurde, ist schwarz-weiß".

Sturm gibt einen biografischen Abriss der 43-jährigen Angeklagten: geboren in der DDR, aufgewachsen in zerrütteten Verhältnissen, in Abwesenheit der Mutter, mit wechselnden Bezugspersonen. Zschäpe sei eine Jugendliche ohne großen Ehrgeiz gewesen, sie machte erst den Hauptschulabschluss, dann eine Gärtnerinnenlehre. Eine junge Frau mit Wortwitz und Humor. "Ein Mädchen, das lustig ist, man kann es sich vorstellen, freundlich, ich würde möglicherweise sagen: keck", sagt Sturm. Dann fiel die Mauer, Zschäpe war 15 Jahre alt. Über ihren Cousin habe sie Kontakt in die rechte Szene Jenas bekommen - und Mundlos kennengelernt. Sie wurden ein Paar. Bis Mundlos die Beziehung beendete, weil Zschäpe zu sehr geklammert habe. Zschäpe verliebte sich in Böhnhardt, bis auch er aus demselben Grund Schluss gemacht habe. Zschäpe blieb in der Clique von Böhnhardt und Mundlos, aus der erst die rechte "Kameradschaft Jena" entstand und die schließlich Teil des "Thüringer Heimatschutzes" wurde.

Zschäpe beteiligte sich an rechten Aktionen, verschickte auch Briefbombenattrappen. Und sie mietete die Garage an, in der Mundlos und Böhnhardt TNT und Schwarzpulver lagerten und Bomben bauten. "Dies befürwortete sie nicht, billigte es aber, um ihre Beziehung zu Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht zu gefährden", sagt Sturm: "Von der Lagerung von Sprengstoff erfuhr sie erst nach dem 26.01.1998." Es war der Tag, an dem die Polizei Zschäpes Garage durchsuchte und Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt untertauchten. "Keiner der drei beabsichtigte zu diesem Zeitpunkt, auf Dauer in der Anonymität zu leben", sagt Zschäpes Anwältin.

Fast 14 Jahre lebte Zschäpe unter falschem Namen mit Mundlos und Böhnhardt zusammen - zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle lang. Einen Weg zurück in die Legalität habe Zschäpe in jener Zeit nicht gefunden. "Sie blieb aufgrund der engen persönlichen Beziehung mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zusammen, beide waren über 13 Jahre ihre Hauptbezugspersonen", sagt Sturm.

Wer ist Beate Zschäpe? Auch Sturm gibt an diesem ersten Tag ihres Plädoyers keine abschließende Antwort. Die Verteidigerin ist krank. Gleich zu Beginn muss sie ihren Schlussvortrag für fünf Minuten unterbrechen. Am frühen Nachmittag bittet sie den Vorsitzenden Richter, ihr Plädoyer für diesen Tag abbrechen zu dürfen. Am Abend gibt das Gericht bekannt, dass der Verhandlungstag am Donnerstag abgesagt ist. Sturm wird ihr Plädoyer erst nächste Woche fortsetzen können.

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