NSU-Prozess:"Sie haben mein aufrichtiges Mitgefühl"

Am 437. Prozesstag ergreift Zschäpe selbst das letzte Wort, bevor am 11. Juli ein Urteil fällt. Ihr Schlusswort wirkt zwischendurch, als wolle sie die Hinterbliebenen belehren. Die reagieren fassungslos auf Zschäpes Rechtfertigungsversuche.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Beate Zschäpe spricht. Sie spricht tatsächlich, wie angekündigt, fünf Minuten lang. Derart lange war ihre Stimme in den mehr als fünf Jahren im Saal A101 noch nie zu hören. Am 437. Tag des NSU-Prozesses vor dem Oberlandesgericht München ergreift sie selbst das Wort, das letzte Wort, bevor am 11. Juli in diesem Jahrhundertprozess das Urteil über Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten fällt.

Zschäpe sagt, die grausame Realität der Taten sei ihr erst nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, erst im Gerichtsverfahren klar geworden. Sie sagt: Erst durch die Betrachtung der Tatortfotos im Gerichtssaal habe sie "Stück für Stück das ganze Ausmaß der schrecklichen Taten von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos" erfasst. Dass ihr die Männer nach ihren eigenen, früheren Angaben doch aber schon in all den Jahren des Mordens immer von den einzelnen Taten berichtet hatten und sie jedes Mal mit Entsetzen reagiert haben will, lässt sie an diesem Tag unerwähnt.

Zschäpes Stimme klingt fremd, höher als vermutet, mit leichtem Thüringer Dialekt. Sie liest ihre Worte vom Blatt ab. Dass sie minutenlang spricht, ist neu. Was sie sagt, ist nicht neu. Zschäpe bleibt dabei, dass sie keine Terroristin sei. Dass allein Mundlos und Böhnhardt verantwortlich seien für die zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle. Dass sie die Taten nicht gewollt habe und nur aus emotionaler Verbundenheit fast 14 Jahre lang mit zwei Serienmördern zusammengeblieben sei.

"Ich bin ein Mensch, der gravierende Fehler gemacht hat", sagt sie. Das hätte sie "eingesehen". Sie sei "ein mitfühlender Mensch". Das Leid der Opfer belaste sie bis heute. Sie nennt es "Schwäche", dass sie sich insbesondere nicht von Böhnhardt habe trennen können. Dies bereue sie "zutiefst", trägt sie vor.

Zschäpe sagt, dass es ihr erst nach dem Tod ihrer Lebensgefährten am 4. November 2011 "nicht mehr möglich" gewesen sei, die "Realität zu verkennen". Sie habe sich vier Tage später bewusst der Polizei gestellt und tatsächlich aussagen wollen, beteuert sie. Der Tag, an dem sie sich der Polizei stellte, sei für sie eine "Art Befreiung" gewesen.

Weil ihren Worten ohnehin nicht geglaubt würde, habe sie im Prozess nicht persönlich Rede und Antwort gestanden. Mittlerweile fehle es ihr dafür an "körperlicher und seelischer Kraft". Sie sagt auch, dass sie glaube, zu Beginn des Prozesses wohl noch dazu in der Lage gewesen zu sein. Das lässt sich als Seitenhieb auf ihre Altverteidiger verstehen, auf deren Rat hin sie im Prozess zweieinhalb Jahre lang geschwiegen hat.

Zschäpe spricht auch zu den Familien der zehn Ermordeten. Sie sagt: "Ich bedaure, dass die Angehörigen der Mordopfer einen geliebten Menschen verloren haben. Sie haben mein aufrichtiges Mitgefühl. Leider gibt es nicht mehr als diese Worte des aufrichtigen Bedauerns. Ich kann den Hinterbliebenen ihre Angehörigen nicht mehr zurückgeben." Die Bitte, das Flehen der Opferfamilien, ihr Wissen über die Taten, vor allem über die Auswahl der Opfer mitzuteilen, könne sie nicht erfüllen, sagt sie. "Ich hatte und ich habe keinerlei Kenntnisse darüber, warum gerade diese Menschen an gerade diesen Orten von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ausgewählt wurden. Hätte ich weitere Kenntnisse, würde ich sie spätestens jetzt hier preisgeben, weil es für mich keinerlei Grund mehr gibt, irgendetwas zu verschweigen." Und dann kommt ein Satz, der wie eine Belehrung klingt: "Vermutungen und daraus resultierende Spekulationen helfen hier niemandem weiter."

Zschäpe distanziert sich an diesem Tag von der rechten Szene. Sie habe "mit diesem Kapitel unwiderruflich abgeschlossen". Sie endet mit einer Bitte an die Richter: "Bitte verurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt noch getan habe."

Vor dem Gerichtsgebäude stehen die Eltern von Halit Yozgat, dem neunten Mordopfer des NSU. İsmail und Ayşe Yozgat haben Zschäpes Worte nicht überzeugt. "Sie hat ganz genau gewusst, was geschehen ist. Und jetzt versucht sie, sich rauszureden", sagt die Mutter von Halit. Daneben steht Halits Vater. Er weint.

Zschäpe hatte das letzte Wort. Das allerletzte wird Richter Manfred Götzl haben. Am Mittwoch, dem 11. Juli, wird er das Urteil sprechen.

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