NSU-Prozess:Schweigen von rechts

Angeklagt für zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle: Bei ihrem ersten Auftritt vor Gericht wirkt Beate Zschäpe gelöst und locker. Die Attacken überlässt die einzige Überlebende des NSU ihren Verteidigern. Dass nur wenige Meter entfernt die Angehörigen der Opfer sitzen, scheint sie nicht zu stören.

Aus dem Gericht von Anna Fischhaber

Am Ende steht Enttäuschung in vielen Gesichtern. Knapp sieben Stunden nachdem in München mit drei Wochen Verzögerung einer der wichtigsten Prozesse in der jüngeren Geschichte Deutschlands begonnen hat, geben Anwälte vor dem Strafjustizzentrum wütende Interviews. Von einem "Schlag ins Gesicht der Nebenkläger", spricht Sebastian Scharmer, der Gamze Kubaşık vertritt, die Tochter des ermordeten Mehmet Kubaşık. Angelika Lex, die die Witwe des in München ermordeten Theodoros Boulgarides vertritt, sagt, ihre Mandantin sei fassungslos.

Minuten vorher hatte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl im Gerichtssaal A 101 nach zwei Befangenheitsanträgen der Verteidigung gegen ihn und zwei weitere Richter überraschend die Verhandlung bis nächsten Dienstag ausgesetzt. Ebenso überraschend wie er Mitte April nach Pannen bei der Vergabe der Presseplätze bereits den Prozessstart um drei Wochen verlegt hatte. Nun heißt es für die Nebenkläger noch einmal: warten. Und die Emotionen kochen hoch.

Dabei hatte der Tag ohne größere Zwischenfälle begonnen. Am Morgen heulen vor der Tiefgarage des Gerichtsgebäudes zweimal die Sirenen, Autos fahren vor, die hinteren Scheiben sind teils verdunkelt. Die Fahrer tragen Masken. Die Autos verschwinden im Untergeschoss. Kurz darauf sagt ein Polizeisprecher: "Die entscheidenden Personen sind drin." Knapp 13 Jahre nach dem ersten Mord der rechtsextremen Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) kann der Prozess gegen Beate Zschäpe, die einzige Überlebende der Terrorzelle, und vier mutmaßliche NSU-Helfer beginnen.

Drei Reihen Anklagebänke gibt es im Gerichtssaal. In der ersten Reihe, nur wenige Meter von der Richterbank entfernt, nimmt Zschäpe Platz. Sie trägt einen schwarzen Hosenanzug und eine helle Bluse. Ihr Aussehen sorgt für Aufsehen. "Mit Ohrringen und Stöckelschuhen ist sie gekommen", schreibt die türkische Zeitung Hürriyet. Dass nur wenige Meter entfernt die Angehörigen der Menschen sitzen, die der NSU ermordet hat, scheint Zschäpe nicht zu stören. Prozessbeobachter beschreiben sie als gelöst und locker.

Sie habe sich so selbstbewusst gezeigt, wie es ihrer Rolle im NSU entsprach, sagt Oberstaatsanwältin Anette Greger am Abend. Die Ankläger werfen Zschäpe zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle vor, obwohl sie nicht selbst an den Tatorten war. Sie gilt den Anklägern als Mittäterin, die wollte, was Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ausführten. Die Anklageschrift können sie an diesem Montag nicht verlesen. Auch von Zschäpe ist an diesem ersten Prozesstag nichts zu hören. Von ihren Verteidigern lässt die 38-Jährige dafür gleich zu Beginn erklären, sie lehne den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl ab.

Bereits am Morgen kommt es deshalb zu einem Wortgefecht. Der Nebenklage-Vertreter Eberhard Reinecke wirft Zschäpes Anwälten eine "Verschleppung" des Prozesses vor. Diese wollten die Qual der Opfer verlängern. Zschäpes Verteidiger weisen den Vorwurf zurück und mahnen zu Sachlichkeit. Am Nachmittag stellen dann auch die Anwälte des mutmaßlichen NSU-Helfers Ralf Wohlleben einen Befangenheitsantrag. Dieser richtet sich nicht nur gegen Götzl, sondern auch gegen zwei weitere Richter. Da sich die Anträge gegen mehrere Richter wenden, muss nun ein anderer Senat des Gerichts über sie entscheiden.

Die Verteidiger von Zschäpe argumentieren in ihrem Befangenheitsantrag, ihre Mandantin habe Anlass, an der Unparteilichkeit Götzls zu zweifeln. Grund hierfür ist die Anordnung, dass die Verteidiger vor Betreten des Sitzungssaals etwa auf Waffen durchsucht werden sollen, nicht aber die Vertreter der Bundesanwaltschaft sowie Polizeibeamte und Justizbedienstete. Damit würden die Verteidiger unter den Verdacht gestellt, sich an "verbotenen und letztlich kriminellen Handlungen zu beteiligen", heißt es. "Eine derart diskriminierende und desavouierende Haltung gegenüber den Verteidigern der Mandantin muss das Vertrauen in die Unvoreingenommenheit des abgelehnten Vorsitzenden zutiefst erschüttern und rechtfertigt daher dessen Ablehnung."

Wohllebens Anwälte fordern einen dritten Pflichtverteidiger für ihren Mandanten. Und sie kritisieren, dass das Gericht Briefe beanstandet habe, die ihr Mandant aus dem Gefängnis verschickte. Die Buchstaben F und G waren so gestaltet, dass sie die Behörden an ein Hakenkreuz erinnerten. Anders als Zschäpes Anwälte gelten Wohllebens Verteidiger als rechte Szene-Anwälte. Der Angeklagte begrüßte seine Verteidigerin am Morgen mit Küsschen auf die Backe.

Auf der Anklagebank sitzen außerdem Carsten S. und Holger G. Beide haben bereits gegen den NSU ausgesagt, beide verstecken ihre Gesichter, als sie in den Gerichtssaal kommen. In der ersten Reihe, nicht weit von Zschäpe entfernt, sitzt außerdem André E. Er gilt als überzeugter Nazi, auf seinem Bauch steht "Die Jew die". Im Publikum soll sich an diesem Montag auch sein Bruder befinden. Ein bekannter Neonazi aus Brandenburg. Aktivisten von NSU-Watch haben ihn erkannt. Er kommt gemeinsam mit Karl-Heinz S., der vor zehn Jahren zu der Neonazi-Gruppe gehörte, die den Anschlag auf die Grundsteinlegung der Münchner Synagoge plante.

Vor dem Gerichtsgebäude geht es an diesem Prozesstag ruhiger zu als erwartet. Der Massenansturm bleibt aus. Nur kurz bricht ein Tumult aus. Zwei junge Frauen waren wohl mit einem Transparent über die Straße gestürmt, hatten versucht, über ein Sperrgitter zu klettern, sie wollten in den Gerichtssaal. Wollten erleben, wenn Beate Zschäpe und den anderen der Prozess gemacht wird. Doch der Saal ist längst voll.

Die Münchner Polizei zeigt sich in einer ersten Bilanz trotz des Zwischenfalls - und im Gegensatz zu vielen Nebenklägern - "sehr zufrieden" damit, wie der Tag gelaufen ist. Für sie das Wichtigste: "Die Anfahrt der Angeklagten hat gut geklappt."

So lief der Prozessauftakt

Der erste Prozesstag zum Nachlesen im SZ-Newsblog.

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