NSU-Prozess:Reden macht Ärger

Beate Zschäpes Ankündigung, im NSU-Prozess auszusagen, erzürnt ihre Alt-Anwälte. Sie fordern vehement, ihr Mandat endlich niederlegen zu können.

Von Tanjev Schultz

Durch die Ankündigung, Beate Zschäpe wolle ihr Schweigen brechen, hat sich die Verteidigerkrise im NSU-Prozess verschärft. Zschäpes drei Alt-Anwälte dringen darauf, endlich von ihrem Mandat entbunden zu werden. Sie sind nicht einverstanden mit dem Ende der Schweigestrategie und sie machen dem Gericht schwere Vorwürfe. Richter Manfred Götzl soll sie nicht rechtzeitig über Zschäpes geplante Aussage informiert haben. Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben stellte vor diesem Hintergrund am Dienstag einen Befangenheitsantrag gegen fünf Richter - den gesamten Senat.

Wohllebens Anwälte zitierten langatmig frühere Anträge und Beschlüsse und erweckten den Eindruck, möglichst viel Zeit beanspruchen und so den Fortgang des Verfahrens verzögern zu wollen. So geht es wieder einmal nur schleppend voran im NSU-Prozess und an diesem Mittwoch kann es doch noch nicht zu einer Aussage Zschäpes kommen. Denn die Verhandlungstage am Mittwoch und Donnerstag entfallen; es geht erst am kommenden Dienstag weiter.

Zschäpes vierter Verteidiger, Mathias Grasel, hatte eine umfangreiche Einlassung seiner Mandantin angekündigt. Grasel will sie verlesen. Anschließend will die Angeklagte Fragen der Richter zulassen, nicht jedoch Fragen der Nebenkläger.

Es wäre eine Zäsur im Prozess. Dagegen rebellieren Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm, die stets eine andere Strategie verfolgt haben. "Frau Zschäpe ist jetzt nicht ordnungsgemäß verteidigt", sagte Heer. Götzl riskiere einen Revisionsgrund. Die Stimmung war gereizt nach Grasels aufregender Ankündigung.

Heer und seine beiden Kollegen forderten in einem eindringlichen Antrag, endlich von ihrem Mandat entbunden zu werden. Sie haben ein Reden ihrer Mandantin stets für das falsche Mittel gehalten - und sind nun von Zschäpes Kehrtwende überrascht worden. Die drei Anwälte werfen Götzl vor, in einer Art parallelem Geheimverfahren die Aussagebereitschaft Zschäpes sondiert zu haben. Dafür habe er Gespräche mit Grasel und dessen Kanzleikollegen Hermann Borchert geführt. Borchert hat der SZ bestätigt, dass er Zschäpe künftig vertrete - damit tritt ein fünfter Verteidiger auf den Plan.

Wenn das Gericht die Verteidiger von ihrem Mandat entbindet, könnte der Prozess platzen

Wie Götzl bekannt gab, hat Borchert bereits Ende August den Richter kontaktiert und mitgeteilt: Zschäpe erwäge, sich in der Hauptverhandlung schriftlich zu äußern. Im September soll Grasel dem Gericht angekündigt haben, im November könnte es so weit sein und Zschäpes Einlassung erfolgen. Es dauerte noch eine Weile, bis der 11. November als Termin festgelegt wurde. Heer, Stahl und Sturm waren offenbar in keines dieser Gespräche eingebunden.

NSU Prozess - Anwälte

Amtsverzicht: Zschäpes ursprüngliche Pflichtverteidiger Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl (von links) wollen nicht mehr weitermachen.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Zschäpes Alt-Verteidiger sehen nun endgültig keinen Platz mehr für sich in diesem Prozess. Als ihre Mandantin an diesem 243. Verhandlungstag in den Saal kommt, ignoriert sie die drei Anwälte routiniert. Zschäpe spricht nur noch mit Grasel, der jetzt ihr Vertrauen genießt. Die Kommunikation zwischen der Angeklagten und ihren drei ursprünglichen Anwälten ist schon seit Monaten gestört.

Längst geht es nicht mehr nur um Stimmungen und Gereiztheiten, es geht um die Grundrichtung der Verteidigung. Der Antrag, den Sturm, Stahl und Heer am Dienstag stellen, ist so kraftvoll formuliert, dass man spürt: Hier kämpfen drei Anwälte auch um ihre Selbstachtung und für ihr professionelles Selbstverständnis.

Wolfgang Heer trägt vor: "Unsere Verteidigerbestellungen sind nur noch Fassade und dienen erkennbar nur der Aufrechterhaltung des Scheins einer ordnungsgemäßen Verteidigung." Der mutmaßliche Wille Zschäpes, ihre Verteidigung künftig anders zu gestalten, sei zu respektieren. Allerdings dürfe die Angeklagte eine "den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren genügende Verteidigung erwarten". Und eben diese sei nicht mehr gewährleistet. Faktisch habe Richter Götzl die Verteidigung nur noch in die Hände eines Anwalts gelegt. Gemeint ist Grasel, der erst im Sommer in den Prozess eingestiegen ist, als dieser schon zwei Jahre lief.

"Eine Verteidigung im Sinne der Interessen unserer Mandantin wird uns künftig nicht mehr möglich sein", sagt Heer. Es sei zu befürchten, dass jegliche Aktivitäten - sei es die Befragung von Zeugen, die Abgabe von Erklärungen oder das Einbringen von Anträgen - "einem uns möglicherweise nicht bekannten Verteidigungskonzept zuwiderliefe". Für das Gericht ist das eine heikle Situation. Es kann die drei Anwälte nicht einfach von dem Mandat entbinden, ohne Gefahr zu laufen, dass der gesamte Prozess platzt. Mit Hermann Borchert steht neben Grasel zwar ein weiterer Anwalt bereit. Beide haben jedoch einen Großteil der Beweisaufnahme nicht miterlebt.

Bisher haben die Richter sämtliche Anträge Zschäpes, die drei Anwälte loszuwerden, zurückgewiesen - ebenso wie den Wunsch der Anwälte, von dem Mandat befreit zu werden. Auch diesmal könnte das so ausgehen. Doch diesmal ist der Konflikt besonders tief greifend.

Und so kommt der Prozess am Dienstag ins Stocken. Am Vormittag muss Götzl die Hauptverhandlung zweimal unterbrechen; später folgt die Ankündigung von Wohllebens Verteidigern, sie benötigten Zeit für das Ablehnungsgesuch. Es ist nicht das erste Mal, dass Zschäpes Mitangeklagter die Richter wegen angeblicher Befangenheit ablehnt. Wohllebens Anwälte versuchen, sich die Konflikte zwischen Zschäpe und ihren Verteidigern zunutze zu machen. Und Götzl muss versuchen, die Lage so zu beruhigen, dass Zschäpe bald aussagen kann.

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