NSU-Prozess:Ralf Wohlleben, Mastermind der NSU-Helfer

  • Nach mehr als 370 Verhandlungstagen sieht es die Staatsanwaltschaft als erwiesen an, dass Ralf Wohlleben der zentrale Helfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gewesen ist.
  • Unter anderem soll er der Terrorzelle die Ceska-Pistole besorgt haben, mit der Böhnhardt und Mundlos neun Menschen töteten.
  • Nach der Sommerpause wird der NSU-Prozess fortgesetzt, die Plädoyers dauern noch an.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Ralf Wohlleben vergeht das Lachen mehr und mehr, je länger der Vertreter der Bundesanwaltschaft spricht. Stunde um Stunde legt Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten am Dienstag im NSU-Prozess dar, dass es nach Überzeugung der Anklagebehörde der Angeklagte Wohlleben war, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Mordwaffe samt Schalldämpfer erhielten. Die mutmaßlichen NSU-Terroristen töteten mit der Waffe acht Männer türkischer und einen Mann griechischer Herkunft.

Es ist der fünfte Tag des Plädoyers der Bundesanwaltschaft vor dem Oberlandesgericht München. Mindestens zwei weitere Tage werden nach der Sommerpause - Ende August, Anfang September - noch folgen. Es ist ein Blick zurück auf mehr als vier Jahre Beweisaufnahme. Die Vertreter der Anklagebehörde tragen Indiz für Indiz, Zeugenaussage für Zeugenaussage aus mehr als 370 Verhandlungstagen zusammen.

An diesem 379. Verhandlungstag steht der 42-jährige frühere NPD-Funktionär Wohlleben im Fokus. Für die Bundesanwaltschaft gilt als erwiesen, dass er "Chefunterstützer" seiner untergetauchten Freunde Beate Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt war. Wohlleben sei es gewesen, "der sämtliche Fäden in der Hand hielt". Er habe von Böhnhardt und Mundlos telefonisch Aufträge erhalten und dafür gesorgt, dass sie erfüllt wurden. Weingarten nennt mehrere Männer, die Wohlleben als Helfer eingesetzt habe.

Der Staatsanwalt nennt Wohllebens Aussage "abwegig"

Nur Wohlleben habe den Überblick gehabt, nur er habe gewusst, "wer aus seinem Einflussbereich in welcher Weise in Unterstützungsleistungen verstrickt war", sagt der Oberstaatsanwalt. Wohlleben sei "Mastermind", steuernde Zentralfigur unter den Unterstützern gewesen, habe Entscheidungen getroffen, über "Sonderwissen" verfügt, habe Boten und Handlanger eingesetzt. Weingarten nennt Wohlleben einen "Schulmeister der konspirativen Abschottung".

Wohlleben sei es auch gewesen, der den Mitangeklagten Carsten S. im Frühjahr 2000 beauftragte, die Pistole Ceska mit Schalldämpfer und Munition zu besorgen. Carsten S. habe von Wohlleben das Geld für die Waffe bekommen und sie dann zu den dreien nach Chemnitz gebracht. Carsten S. hat die Waffenlieferung weitgehend gestanden. Nur einen Schalldämpfer will S. nicht bestellt, sondern überraschend zusammen mit der Ceska und der Munition erhalten haben. Weingarten hält dies für eine Ausrede.

Wohlleben soll Carsten S. die 2500 D-Mark für die Ceska gegeben haben. Das Geld soll von den mutmaßlichen NSU-Mitgliedern selbst stammen. 10.000 D-Mark soll der NSU bei Wohlleben deponiert haben. Wohllebens eigene Angaben hält Weingarten für unzutreffend. Wohlleben hatte gesagt, er selbst hätte gar keine 2500 D-Mark gehabt. Das Geld für die Ceska stamme vielmehr von Tino Brandt, einst führender Neonazi in Jena und zugleich V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes. Die Bundesanwaltschaft hält dies für ein Märchen. Die Geschichte solle bloß dazu dienen, "dem Verfassungsschutz die Beschaffung der Waffe in die Schuhe zu schieben", so der Oberstaatsanwalt.

"Abwegig", "unzutreffend", ja "Unsinn" sei Wohllebens Behauptung, er sei davon ausgegangen, Böhnhardt hätte eine Waffe wenn überhaupt nur gegen sich selbst richten wollen. Wohlleben gab vor Gericht an, Böhnhardt habe ihn um eine Waffe gebeten, um sich im Fall seiner Festnahme das Leben zu nehmen. Eine Schutzbehauptung, sagt Weingarten. Denn: Wie passt zu einer angeblichen Selbsttötungsabsicht, dass es ausdrücklich kein Revolver, sondern eine Pistole, möglichst noch eines deutschen Herstellers sein sollte - "Neonazi hin oder her", fragt Weingarten. Auch ein Schalldämpfer bräuchte es für eine Selbsttötung sicher nicht. Und wofür gleich 50 Schuss Munition?

Die entscheidende Frage: Was wusste Wohlleben?

Das Waffendelikt sei verjährt, die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung auch, fasst Oberstaatsanwalt Weingarten zusammen. Bleibt die Beihilfe zum Mord an neun Menschen. Die entscheidende Frage lautet: Wusste Wohlleben, was Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt mit der Ceska wollten? Erkannte er das Risiko? Hat er die Ermordung von Menschen in Kauf genommen? Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft lautet die Antwort auf alle drei Fragen: Ja.

"Es war der Angeklagte Wohlleben, der auch bei der Mordhilfe die Fäden in der Hand hielt, andere skrupellos ausnutzte und einsetzte", sagt Weingarten. Es sei Wohllebens Entscheidung gewesen, den "brandgefährlichen drei Untergetauchten" die Ceska zu liefern - "über deren Absichten niemand mehr wusste als er". Weingarten ist davon überzeugt: Wohlleben wusste um die rassistische und antisemitische Einstellung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Er wusste von dem Sprengstoff in ihrer Garage. Er wusste, dass sie sich für den bewaffneten Kampf ausgesprochen hatten. Und er hat es mindestens für möglich gehalten, dass die mutmaßlichen NSU-Terroristen mit der Ceska Menschen töten werden.

Wohllebens Frau sitzt als Beistand auf der Anklagebank

Wohlleben habe den Untergetauchten mutmaßlich noch zwei weitere Waffen über Mittelsmänner zukommen lassen. 2001 hat Holger G. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt eine Waffe nach Zwickau gebracht. Holger G. hat die Waffenlieferung gestanden. Die Bundesanwaltschaft hält seine Angaben für glaubhaft. Eine mögliche weitere Waffenlieferung über eine bislang unbekannte Person konnte nicht aufgeklärt werden.

Oberstaatsanwalt Weingarten formuliert es so: "Der Angeklagte Wohlleben ist der Strippenzieher, der seine Helfershelfer nach einem Drehbuch auf die Bühne schickt, das neben Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nur er selber kennt."

Seiner Frau, die an diesem Tag als Beistand neben Wohlleben auf der Anklagebank sitzt, schenkt er immer weniger Aufmerksamkeit. Wohlleben scheint sich mit jedem Wort Weingartens bewusster zu werden, dass zu seinen fünf Jahren und acht Monaten in der Untersuchungshaft wohl noch eine ganze Menge Jahre hinter Gittern hinzukommen werden.

Der NSU-Prozess wird nach einer Sommerpause am 31. August mit dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft fortgesetzt.

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