NSU-Prozess:Pralinen für Zschäpe

NSU-Prozess: Joachim Bauer

Der Freiburger Psychiater Joachim Bauer im Gerichtssaal in München.

(Foto: dpa)
  • Psychiater Joachim Bauer besuchte Beate Zschäpe am Tag nach seinem ersten Auftritt im NSU-Prozess in der Justizvollzugsanstalt (JVA) München-Stadelheim.
  • Bauer muss einräumen, dass er die Mindestanforderungen an Prognose-, Schuldfähigkeits- und Glaubhaftigkeitsgutachten nicht kennt.
  • Bauer hat insgesamt 16 Stunden lang mit Zschäpe geredet und von ihren Verteidigern Grasel und Borchert eine handvoll Zeugenaussagen bekommen.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Er wollte ihr Pralinen mitbringen. Psychiater Joachim Bauer besuchte Beate Zschäpe am Tag nach seinem ersten Auftritt im NSU-Prozess in der Justizvollzugsanstalt (JVA) München-Stadelheim. Eine Justizbeamtin bemerkte die Schachtel Pralinen bei der Einlasskontrolle unter Dokumenten in Bauers Händen. Sie wies den Psychiater daraufhin, dass es verboten sei, Gefangenen irgendetwas zu übergeben. Bauer habe dafür Verständnis gezeigt, notierte die JVA-Mitarbeiterin in ihrem Vermerk.

Dass und warum Bauer die mutmaßliche NSU-Terroristin am Tag nach seiner ersten Vernehmung im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München noch einmal sprechen wollte, erklärte er bei seinem zweiten Auftritt an diesem Donnerstag erst auf Nachfrage des Richters.

Schon nach Bauers erstem Auftritt vor Gericht kamen Fragen auf. Offenbar auch bei Bauer selbst. Zschäpe hatte dem Psychiater von jahrelangen schweren Misshandlungen durch Uwe Böhnhardt berichtet. Sie hatte aber auch berichtet, dass Böhnhardt sie nicht geschlagen habe, wenn sie ihn und Uwe Mundlos angeblich aus Entsetzen über die Morde regelmäßig angeschrien haben will. Wie passt das zusammen? Bauer besuchte Zschäpe also noch einmal im Gefängnis und fragte nach. Ihre Antwort: "Vielleicht wussten die, dass ich recht hatte."

Bauer ist an diesem 364. Verhandlungstag sehr bemüht, das Gericht und alle anderen von sich, seiner Professionalität und Zschäpes Unschuld zu überzeugen. Sein Gutachten sei "ein sehr gutes", sagt Bauer zur Sicherheit aber doch noch mal ausdrücklich. Das hätten ihm auch zwei Kollegen bestätigt. Später sagt er noch: "Ich bin ein, wie ich mir einbilde, sehr, sehr guter Psychiater und breit aufgestellter Psychosomatiker." Ein forensischer Psychiater ist er allerdings nicht.

Bauer muss einräumen, dass er die Mindestanforderungen an Prognose-, Schuldfähigkeits- und Glaubhaftigkeitsgutachten nicht kennt. In seinem Gutachten äußert er sich dennoch zu Zschäpes Schuldfähigkeit, zu ihrer "Glaubwürdigkeit" und dazu, dass sie nicht mehr gefährlich sei und es seiner Ansicht nach auch nie war.

Bauer wolle keineswegs "Hahnenkämpfe" mit Saß ausführen

Verteidiger Wolfgang Stahl schlägt immer wieder die Hände vors Gesicht. Einzelne Nebenklagevertreter verlassen vorzeitig den Saal, kopfschüttelnd. Oberstaatsanwältin Anette Greger erhebt ihre Stimme, wie sie es selten zuvor in diesem Verfahren getan hat.

Bauers Gutachten steht in vielerlei Hinsicht im Kontrast zum Gutachten von Gerichtspsychiater Henning Saß, ein Experte der forensischen Psychiatrie. Saß hält Zschäpe für psychisch gesund, voll schuldfähig und gefährlich. Mit Zschäpe hat er nicht gesprochen. Aber Saß hat den Prozess vier Jahre erlebt, Hunderte Zeugen gehört und Zehntausende Aktenseiten studiert.

Bauer hat insgesamt 16 Stunden lang mit Zschäpe geredet und von ihren Verteidigern Mathias Grasel und Hermann Borchert eine handvoll Zeugenaussagen bekommen, die seine Diagnose stützen. Mit dem Ergebnis, dass er sie für psychisch schwer gestört hält. Sie leide seiner Ansicht nach an einer sogenannten abhängigen Persönlichkeitsstörung und sei im Zeitraum der zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle vermindert schuldfähig gewesen. Bauer legt sich fest: "Diese Morddelikte sind gegen ihren Willen passiert."

Er wolle keineswegs "Hahnenkämpfe" mit Saß ausführen, sagt Bauer gleich zu Beginn seiner Vernehmung. Er schätze den Kollegen wirklich. "Herr Professor Saß hatte eben keine Möglichkeit, mit ihr zu sprechen. Die Schuld liegt nicht bei ihm."

Bauer glaubt Zschäpe in allem, was sie ihm erzählt hat. Frau Zschäpe habe sich im Gespräch mit ihm in keinem Moment strategisch verhalten, sagt er. "Sie hat auch nichts reingebracht, mich irgendwie zu beflirten oder zu bezirzen. Es war eine knochentrockene Gesprächsatmosphäre." Er hätte erkannt, "wenn sie mich manipuliert", sagt er. Bauer beruft sich auf seine jahrzehntelange Erfahrung als Arzt. "Es gehört zu den Qualitäten eines guten Psychiaters, die Zeichen zu erkennen, wenn Dinge verschwiegen oder weggelassen werden. Sie spüren einfach, ob etwas aus der Trickkiste geholt wird."

Im Prozess wird Bauer von einem Nebenklagevertreter schließlich auch nach den Pralinen gefragt. Die Antwort von Zschäpes Psychiater: "Eine völlig unschuldige Geste der Humanität, die ich Sie nicht zu interpretieren bitte."

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