NSU-Prozess:Plädoyer des ungeliebten Verteidigers macht Eindruck auf Zschäpe

Fortsetzung NSU-Prozess

Wolfgang Heer (Mitte) hält ein engagiertes Plädoyer für Zschäpes Freilassung - obwohl diese sich schon seit 2015 eigentlich nicht mehr von ihm und seinen beiden Kollegen Anja Sturm (links) und Wolfgang Stahl (rechts) verteidigen lassen will.

(Foto: dpa)
  • Im NSU-Prozess hat Beate Zschäpes Altverteidiger sein Plädoyer fortgesetzt.
  • Verteidiger Wolfgang Heer begründet detailliert, warum die 43-Jährige freizulassen sei.
  • Beate Zschäpe wirkt angetan - statt ihren Anwalt wie üblich zu ignorieren, ist sie ganz zugewandt.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Richter Manfred Götzl schreibt eifrig mit. Oberstaatsanwältin Anette Greger tippt in ihren Laptop. Auch Beate Zschäpe ist an diesem Tag ganz zugewandt, hin und wieder nickt sie heftig. Verteidiger Wolfgang Heer hat am Mittwoch sein Plädoyer im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München fortgesetzt.

Es geht um die Ereignisse am 4. November 2011 in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau. Dort war das letzte Versteck der mutmaßlichen NSU-Terroristen. Nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt steckte Zschäpe die Wohnung in Brand. Es ist die einzige angeklagte Tat, die Zschäpe eigenhändig begangen und auch gestanden hat.

Heer trägt vor, warum Zschäpe nur wegen einfacher Brandstiftung zu verurteilen sei - und nicht, wie es die Bundesanwaltschaft sieht, wegen besonders schwerer Brandstiftung. Er trägt vor, warum die 43-jährige Angeklagte sich auch nicht des versuchten Mordes an ihrer alten Nachbarin schuldig gemacht habe, auch nicht an zwei Handwerkern.

Heer tut, was Zschäpes neue Verteidiger nicht tun konnten

Zschäpes Verteidiger schöpft aus dem Vollen der Hauptverhandlung, eine Fleißarbeit. Er zitiert zahlreiche Zeugen, zitiert ihre Aussagen vor Gericht und im Ermittlungsverfahren, er führt die Angaben von Gutachtern an, zeigt Widersprüche zwischen einzelnen Sachverständigen auf.

Er tut, was Zschäpes Vertrauensanwälte Hermann Borchert und Mathias Grasel in ihrem Plädoyer nicht tun konnten. Borchert und Grasel haben zwei Jahre Prozess und damit wesentliche Zeugenaussagen verpasst. Heer würdigt die Ergebnisse der Beweisaufnahme in allen Details, um seine Mandantin zu entlasten. Hat es Zschäpe am Vortag noch angestrengt vermieden, ihren sogenannten Altverteidiger überhaupt nur anzugucken, ignoriert sie ihn an diesem Tag nicht mehr.

Zschäpe spricht seit Sommer 2015 kein Wort mehr mit Heer. Sie wollte ihn, ebenso wie seine Kollegen Wolfgang Stahl und Anja Sturm, als Pflichtverteidiger loswerden. Die drei verteidigen sie seither gegen ihren Willen. So ganz gegen ihren Willen wirkt es an diesem Tag allerdings nicht mehr.

Auf ungeklärte Weise hatte Zschäpe an jenem 4. November 2011 in der Frühlingsstraße erfahren, dass sich Mundlos und Böhnhardt nach einem gescheiterten Banküberfall in Eisenach das Leben genommen hatten. Nach Zschäpes eigenen Angaben habe sie dann das Versprechen eingelöst, das sie den beiden für diesen Fall gegeben haben will. Zschäpe verschüttete Benzin in der Wohnung und zündete es an. Die Absicht sei gewesen, Beweise für die Straftaten von Mundlos und Böhnhardt zu vernichten. "Die Vernichtung sie selbst betreffender Beweismittel war ihr gleichgültig", so Heer.

An manchen Stellen in der Wohnung hatten sich explosive Dämpfe gebildet. Die Wohnung wurde zerstört, das Haus war einsturzgefährdet. Zwei Handwerker, die an diesem Tag auf dem Dachboden gearbeitet hatten, machten gerade Kaffeepause beim Bäcker gegenüber. Zschäpes damals 89 Jahre alte Nachbarin, die unter der Hausnummer 26a Wand an Wand mit den dreien lebte, war zu Hause.

Die Bundesanwaltschaft wertet dies als besonders schwere Brandstiftung, versuchten Mord in drei Fällen und vorsätzlicher Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion. Verteidiger Heer widerspricht in allen Punkten. Zeuge für Zeuge, Gutachter für Gutachter geht er durch. Heer versucht zu belegen, dass Zschäpe nicht beabsichtigt habe, Explosionen hervorzurufen - schon um sich selbst und ihre beiden Katzen nicht in Lebensgefahr zu bringen. Er sagt: Zschäpe habe keine Explosionen herbeiführen wollen. Dies belegten Zeugen, die Zschäpe hinterher auf der Straßen begegneten. Einige hatten angegeben, Zschäpe habe erschrocken, ja entsetzt gewirkt, als sie das Ausmaß der Schäden durch die Explosionen gesehen habe.

Heer sagt auch, dass Zschäpe gewusst habe, dass die Handwerker nicht mehr im Haus waren, als sie das Benzin anzündete. Das Radio sei ausgestellt gewesen und die alte Holztreppe habe nach Angaben mehrerer Zeugen so laut geknarrt, dass es nicht zu überhören gewesen sei, wenn jemand hinunterlief. Von einem versuchten Mord an den Männern könne keine Rede sein.

Dann der Vorwurf des versuchten Mordes an Charlotte E., der alten Dame von nebenan. Heer sagt: "Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass Frau Zschäpe unmittelbar vor dem Entzünden des Benzins bei der Zeugin E. geklingelt hat." Zschäpe habe gewartet und, als niemand öffnete, sei sie davon ausgegangen, dass Charlotte E. nicht zu Hause sei. Das Klingeln spreche gegen einen Tötungsvorsatz. Zschäpe habe die Frau vielmehr vor dem Feuer warnen wollen.

Schließlich die besonders schwere Brandstiftung. Der Unterschied zwischen schwerer und einfacher Brandstiftung liegt im Detail. Es geht um Fragen wie: Ist das Doppelhaus, in dessen einer Hälfte Zschäpe Feuer legte, während sich in der anderen Hälfte ihre alte Nachbarin befand, juristisch als ein oder als zwei Gebäude zu betrachten? Heer trägt die Dicke von Wänden vor, spricht über Heizungsrohre, widmet sich ausführlich der Konstruktion des Dachstuhls. Er beantragt schließlich, einen Gutachter zu hören, der vor Gericht aussagen werde, dass sich das Feuer nicht über Dachbalken auf die Nachbarhälfte habe ausbreiten können.

Heer kämpft für die einfache Brandstiftung. Schafft er es, das Gericht davon zu überzeugen, dass sich die Wohnung der Nachbarin juristisch betrachtet nicht im selben Gebäude befand wie Zschäpes Wohnung, dann war es keine schwere Brandstiftung. Denn in Zschäpes Haushälfte war keine weitere Wohnung bewohnt. Ohne weitere bewohnte Wohnungen im selben Haus gibt es keine schwere Brandstiftung. Und ohne schwere Brandstiftung gibt es auch keine besonders schwere Brandstiftung. Übrig bliebe eine einfache Brandstiftung.

Die Bundesanwaltschaft hat es anders bewertet. Oberstaatsanwältin Greger hört aufmerksam zu, macht sich Notizen. Zschäpe schaut zu Heer. Am Tag zuvor hatte er ihre sofortige Freilassung aus der Untersuchungshaft gefordert. Ihre Vertrauensanwälte Borchert und Grasel hingegen hatten auf maximal zehn Jahre Haft unter anderem wegen schwerer Brandstiftung plädiert. Am Donnerstag wird Heer seine Ausführungen fortsetzen.

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