NSU-Prozess:NSU-Prozess: Der Richter, der nicht ausrastet

NSU Prozess

438 Sitzungstage, aber kein offizielles Protokoll: Der NSU-Prozess in München.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Nach drei Jahren NSU-Prozess liegen die Nerven blank. Nur einer zeigt keine Müdigkeit.

Von Annette Ramelsberger

Es sind nun alle sehr erschöpft nach diesem dritten langen Jahr im NSU-Prozess. Zermürbt von immer neuen, mühseligen Zeugenbefragungen, von der ständigen Spannung, dass jeden Moment etwas Unvorhergesehenes passieren kann, von den immer wieder aufflammenden Streitereien zwischen den Anwälten der Hauptangeklagten Beate Zschäpe.

Nur das Gericht um den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl zeigt keine Anzeichen von Ermüdung. Mit eherner Genauigkeit stellt Götzl Frage um Frage, mit der Unbeirrbarkeit eines Uhrwerks schreitet das Gericht voran. Allein am Donnerstag hat der Senat vier neue Zeugen befragt und wieder eine Nuance des braunen Alltags in Deutschland ausgeleuchtet: dass nämlich im Wohnzimmer des Angeklagten André E. bis zum heutigen Tag ein selbstgezeichnetes Bild der Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hängt, verziert mit einer germanischen Rune und dem Wort "Unvergessen" in Sütterlin. Ein rechtsradikaler Totenschrein, wo andere einen Herrgottswinkel haben. Das ist nichts, was einen in diesem Prozess noch irritieren könnte.

Richter Götzl wird nicht die Nerven verlieren

Wenn Richter Götzl sich außerhalb des Gerichtssaals zeigt, und das ist selten, dann kommt es vor, dass ihm Kollegen Mut zusprechen - wie am Montag in der Münchner Residenz, wo sich Bayerns oberste Juristen zu einer Feierstunde trafen. Man kann dann hören, wie Götzl Ratschläge erhält, ja nicht auf den letzten Metern die Geduld zu verlieren und etwas Unbedachtes zu tun.

Das kann man sich bei Götzl kaum vorstellen. Der Mann, der früher für seine emotionalen Ausbrüche berühmt war, hat sich in einer Weise im Griff, die kaum Raum für prozessuale Provokationen bietet. Nicht mal, dass Zschäpes fünfter Verteidiger Hermann Borchert das Gericht drei Wochen auf ihre Aussage warten ließ, nur weil er selbst erst noch in Urlaub fahren wollte, ließ Götzl ausrasten - andere schon. Für den Richter wäre es ein Albtraum, wenn er nach 250 Verhandlungstagen einen Fehler begehen würde, der dann in der Revision als so relevant betrachtet wird, dass der Prozess erneut aufgerollt werden müsste. Alles noch mal von vorn!

Alle Beteiligten sehnen das Ende des Prozesses herbei

Als Beate Zschäpe nach knapp zwei Jahren Prozess erfuhr, dass das Gericht noch ein Jahr dranhängt, da ist sie psychisch zusammengebrochen. Mittlerweile geht es fast allen Prozessbeteiligten so - sie sehnen ein Ende dieses größten Verfahrens der Nachwendezeit herbei. Vielleicht hat die schleichende Zermürbung dazu beigetragen, dass der Prozess im Dezember ein Finale furioso erlebt hat: Nach Jahren des Schweigens sprach erst Beate Zschäpe, und eine Woche später brach auch der Angeklagte Ralf Wohlleben sein Schweigen.

Das hat Auswirkungen auf das Verfahren: Bei Zschäpe ist es vor allem das mühselige Prozedere, das den Prozess verzögert. Denn sie will Fragen nur schriftlich beantworten, es könnte ein Pingpong-Spiel einsetzen zwischen Gericht und Verteidigung, wenn das Gericht Nachfragen hat. Und meist hat es viele Nachfragen. Inhaltlich aber zwingt Zschäpes Erklärung das Gericht nicht dazu, neue Zeugen zu laden oder neue Ermittlungen anzugehen. Die einzigen Zeugen, die Zschäpes Aussage bestätigen könnten, sind tot: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Nicht ausgeschlossen, dass auch Zschäpe noch reden wird

Ganz anders sieht es bei der Einlassung von Ralf Wohlleben aus. Er hat den Verdacht, die Mordwaffe des NSU in Auftrag gegeben zu haben, geschickt von sich abgelenkt - und einerseits den Angeklagten Carsten S. und auch den früheren Anführer des rechten Thüringer Heimatschutzes, Tino Brandt, belastet. Carsten S., der als Einziger vorbehaltlos auspackte, könnte sich dazu äußern. Brandt, der für den Verfassungsschutz spitzelte, wird sicher noch einmal gehört werden - er muss nur aus der Haft vorgeführt werden, er sitzt dort wegen Kindesmissbrauchs.

Auch der Angeklagte Holger G., der sich bisher zurückgehalten hat, könnte unter dem Druck von Wohllebens Aussage sprechen. Es wird ein Hauen und Stechen einsetzen, ein Kampf um die eigene Glaubwürdigkeit, vor den Augen des Gerichts. Und ausgeschlossen ist es nicht, dass dann auch noch Zschäpe redet, wenn sie merkt, dass plötzlich alle sprechen, nur sie nicht. Das Gericht kann warten, bis alle Nerven so blank liegen, bis niemand mehr an sich halten kann. Dann hört es in aller Ruhe zu.

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