NSU-Prozess:Es kommt auf jeden Halbsatz an

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  • Das Urteil gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten ist gesprochen, doch es gilt als sicher, dass zumindest einige Anwälte in Revision gehen.
  • Dadurch würde ein komplizierter Mechanismus in Gang gesetzt werden.
  • Ob das Urteil standhält, wird man endgültig wohl erst in einigen Jahren wissen.

Von Annette Ramelsberger, München

Das Urteil im NSU-Prozess ist gesprochen, da wird schon gefragt, wann dieser Prozess wieder von vorne beginnen wird. Denn allen Prozessbeteiligten ist klar, dass zumindest einige der Verteidiger an diesem Mittwoch ankündigen werden, in Revision zu gehen. Sie wollen den Urteilsspruch von Richter Manfred Götzl und seiner Kollegen höchstrichterlich vom Bundesgerichtshof (BGH) überprüfen lassen.

Doch auch wenn die Verteidiger sofort "Hier" schreien, sie müssen sich danach sehr lange gedulden. Denn sie können erst loslegen, wenn das schriftliche Urteil vorliegt und das ist nicht nächste Woche. Auch nicht nächsten Monat. Und auch nicht mehr in diesem Jahr.

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Im Prozess um die rechtsterroristische Vereinigung ist die Hauptangeklagte Zschäpe wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Der Mitangeklagte Wohlleben wurde wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Das Gericht kann sich dafür sehr viel Zeit nehmen. Das ergibt sich aus Paragraf 275 der Strafprozessordnung, die genau festlegt, wie lange sich ein Gericht mit der Niederschrift des Urteils Zeit lassen darf. Spätestens nach fünf Wochen muss ein Urteil schriftlich vorliegen - eigentlich. Doch wenn eine Hauptverhandlung länger als drei Tage dauert, dann dürfen sich die Richter schon zwei Wochen mehr Zeit nehmen.

Es kommt auf jeden Halbsatz an

Und wenn sie länger als zehn Tage gedauert hat, so wie beim NSU-Prozess mit seinen 437 Tagen, dann greift noch eine andere Regel: Richter bekommen für je zehn Tage zwei weitere Wochen Zeit hinzu. Das alles hat man am Oberlandesgericht München mal ausgerechnet und kam auf 91 Wochen. Mehr als eineinhalb Jahre.

Natürlich muss das Gericht diesen Zeitraum nicht ausreizen. Es sitzt schon jetzt sicher nicht vor blanken Seiten. Während des Prozesses hat Richter Götzl immer wieder ganze Verhandlungstage ausfallen lassen, ohne dass man zwingend verstand, warum. Die Prozessbeteiligten raunten sich dann zu, das Gericht feile schon an Bausteinen seines Urteils.

Man darf auf jeden Fall sicher sein, dass dieses Urteil über Beate Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten lang wird. Schon die Anklageschrift umfasste 488 Seiten. Aber auch zu lang darf das Urteil nicht geraten, denn der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, wo die Revision landet, hat sich erst kürzlich davor verwahrt, Tausende Seiten Urteil überprüfen zu müssen.

Im schriftlichen Urteil kommt es dann auf jeden Halbsatz an - vor allem was die Hauptangeklagte Zschäpe betrifft. Sollte das Münchner Gericht sie als Mittäterin sehen und wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilen, dann muss es ganz genau argumentieren, denn der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs behandelt die Mittäterschaft sehr restriktiv. Und Götzl will eines garantiert nicht: dass die höhere Instanz ihm irgendeinen auch nur klitzekleinen Fehler nachweist.

Der BGH kann aber auch dann noch nicht loslegen. Erst haben die Verteidiger vier Wochen Zeit, um ihre Argumente für die Revision niederzuschreiben. Dann geht das alles an die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die ihre Stellungnahme dazu abgibt. Auch sie kann sich dafür mehrere Monate Zeit nehmen. Erst dann ist der BGH dran.

Reizen Richter Götzl und seine Kollegen die volle Zeitspanne von 91 Wochen aus, dann könnte die Revision vielleicht im Frühjahr 2021 beim BGH landen. Und dann hätte man vielleicht 2022 Gewissheit, ob dieses Urteil hält - weniger als ein Jahr Prüfungszeit ist beim BGH eher ungewöhnlich.

Es gibt nur eine Hoffnung, dass es schneller geht. Götzl geht im Juni 2019 in den Ruhestand. Und es widerspricht seinem altfränkisch anmutenden Pflichtgefühl, wenn er bis dahin die Urteilsbegründung nicht fertig hätte. Denn wenn jemand fünf Jahre seines Lebens in diesen Prozess steckt, dann möchte er auch seinen Namen unter das Urteil setzen. Der Mann, der wie kein anderer für diesen Prozess steht, kann nicht wirklich seinem Nachfolger überlassen, dieses historische Urteil zu unterschreiben.

© SZ vom 11.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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