NSU-Prozess in München:Ein seltsamer Zeuge

Ein ehemaliger V-Mann aus der Neonazi-Szene tritt im NSU-Prozess als Zeuge auf - und äußert sich ziemlich konfus. Vielleicht wird der Gebäudereiniger aber auch unterschätzt. Einige Nebenkläger wollen wissen, ob dessen Rechtsbeistand auch im Auftrag des Geheimdienstes arbeitet.

Aus dem Gericht berichtet Tanjev Schultz

Im NSU-Prozess hat es schon viele seltsame Zeugen gegeben. Am Mittwoch tritt ein ehemaliger V-Mann aus der Neonazi-Szene auf, und nun wird es ganz besonders krude. Zeuge ist der Ex-Spitzel deshalb, weil ihn einst der hessische Verfassungsschützer Andreas T. betreute. Und der hielt sich 2006 zur Tatzeit in einem Internetcafé in Kassel auf, als dort der 21-jährige Betreiber des Ladens, Halit Yozgat, vom NSU ermordet wurde.

Weil die Rolle von Andreas T. bis heute viele Fragen provoziert, muss jetzt auch sein V-Mann Benjamin G. aussagen. Doch der schlanke 33-Jährige redet ziemlich konfus. Mal kann er sich an etwas erinnern, dann wieder nicht. Er verwechselt Untersuchungshaft und Untersuchungsausschuss. Er bittet den "Herrn Vorsitzenden", wie er den Richter devot anspricht, ein paar Mal um Entschuldigung.

Benjamin G., den die Verfassungsschützer auch "Benni" nannten, tritt nicht triumphierend oder unverschämt auf. In seiner Naivität wirkt er, verglichen mit Zeugen aus der Szene, die vor Gericht auf stur schalten, durchaus authentisch. Vielleicht unterschätzt man den Gebäudereiniger aber auch.

Als er voriges Jahr von der Polizei vernommen wurde, konnte sich Benjamin G. dem Protokoll zufolge erstaunlich genau an sein letztes Treffen mit dem V-Mann-Führer Andreas T. erinnern. Er schilderte, wie der Beamte entgegen seiner Gewohnheit seine Jacke anbehielt. Sie hätten sich auch über den Mord in dem Internetcafé unterhalten, angeblich sprach Benjamin G. den Verfassungsschützer darauf an. Der soll dann nervös reagiert und gestottert haben.

Ein eher kleines Licht

Vor Gericht kann Benjamin G. jedoch zunächst nicht mal mehr sagen, ob er sich mit Andreas T. getroffen oder nur mit ihm telefoniert hatte. Er sagt beinahe philosophische Sätze wie: "So weit ich mich daran erinnern kann, weiß ich davon nix."

Viele Details sind Benjamin G. plötzlich nicht mehr präsent. Erst als Richter Manfred Götzl ihm aus dem Polizeiprotokoll vorliest, sagt er, dass es wohl so gewesen sei. Dabei wirkt er nicht wie ein Zeuge, der bewusst mauert. Eher wie einer, der mal dieses und mal jenes behauptet. Und so ist fraglich, was von den Erzählungen dieses Ex-Spitzels überhaupt stimmt.

Als V-Mann war Benjamin G. ein eher kleines Licht. Jeden Monat bekam er von der Behörde aber für seine Dienste immerhin 225 Euro, zeitweise sogar 275 Euro. Benjamin G. brauchte Geld. Die Informationen, die er über die rechte Szene in Kassel lieferte, waren allerdings nicht allzu wertvoll. Im Jahr 2007 beendete der Geheimdienst die Zusammenarbeit mit Benni.

Bereits 2006 ein Politikum

Vor Gericht kann er sich zunächst nicht mehr daran erinnern, dass ihn der Verfassungsschutz im Zuge der Mordermittlungen im Jahr 2006 auf das Internetcafé ansprach. Angeblich soll er damals gesagt haben, er kenne den Laden. Andreas T. soll ihm das Internetcafé empfohlen haben, er sei dann allerdings nie dorthin gegangen, unter anderem weil der Besitzer des Ladens ein Türke sei. Hat sich der Verfassungsschutz diese Aussagen von Benjamin G. bloß ausgedacht?

Nach einer Pause erinnert sich der Zeuge dann doch, dass es so Gespräche gab. Eine Frau und ein Mann des Verfassungsschutzes hätten die Befragung durchgeführt. Aber dass Andreas T. ihm das Internetcafé der Familie Yozgat empfohlen habe, stimme nicht. Ob er das denn trotzdem so dem Verfassungsschutz gesagt hat? - Ja, das könne sein, sagt der Zeuge.

"Dann wäre das nicht die Wahrheit gewesen", stellt der Nebenklage-Anwalt Thomas Bliwier fest. So verfestigt sich der Eindruck, dass man auf die Aussagen von Benjamin G. wenig geben darf. Allerdings dürfte ihn auch das Juristen-Deutsch verwirren. Dem Richter und den Anwälten fällt es schwer, sich auf diesen Zeugen und seine womöglich etwas begrenzte Auffassungsgabe einzustellen.

Arbeitet Benjamin G.'s Rechtsbeistand im Auftrag des Verfassungsschutz?

Als Nebenklage-Vertreter Bliwier weitere Details wissen will über das Gespräch mit dem Verfassungsschutz, interveniert der Rechtsbeistand des Zeugen. Antworten darauf seien nicht durch die Aussagegenehmigung gedeckt. Hintergrund ist, dass auch ehemalige V-Leute vom Verfassungsschutz verpflichtet werden, keine Geheimnisse über die Behörde zu verraten.

Vertreter der Nebenkläger stellen die Frage, ob der Rechtsbeistand nicht nur im Auftrag des Zeugen, sondern auch des Geheimdienstes arbeitet. Der bezahlt, wie aus den Akten hervorgeht, offenbar die Rechnung des Anwalts.

Die Befragung des V-Manns war bereits 2006 ein Politikum, weil eigentlich die Mordermittler der Polizei sie selbst durchführen und nicht dem Verfassungsschutz überlassen wollten. Das verwehrte ihnen der damalige hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU). Der Geheimdienst befürchtete, seine Quelle könnte enttarnt werden. Mittlerweile ist sie enttarnt. Zur Klärung des NSU-Falls tragen die Aussagen des ehemaligen V-Manns bisher wenig bei. Sie werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Die Zeugenbefragung soll am Donnerstag fortgesetzt werden.

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