NSU-Prozess in München:Carsten S. bricht sein Schweigen

Erstmals im NSU-Prozess können sich die Angeklagten zu den Vorwürfen äußern. Als erster bricht der Aussteiger Carsten S. sein Schweigen - und gibt den Waffenkauf für das Trio zu. Die Anwälte der Hautangeklagten Zschäpe hatten zuvor eine angebliche Vorverurteilung ihrer Mandantin kritisiert - und pochen auf die Einstellung des Verfahrens.

Der Prozess im Newsblog. Aus dem Gericht berichtet Anna Fischhaber

"Ich werde aussagen." Das hat Carsten S. bereits vor der Pfingstpause erklärt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 33-Jährigen Beihilfe zum Mord vor, weil er dem NSU eine Pistole samt Schalldämpfer besorgt haben soll, mit der neun Menschen erschossen wurden. Inzwischen ist er aus der Neonazi-Szene ausgestiegen. Nun geht der NSU-Prozess weiter - und Carsten S. äußert sich tatsächlich zu seiner Rolle.

  • Vor dem Oberlandesgericht München hat am Dienstagmorgen der fünfte Prozesstag begonnen. Hauptangeklagte ist die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe. Ihr wird die Mittäterschaft bei zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen vorgeworfen. Auch vier mutmaßliche Helfer des NSU müssen sich verantworten.
  • Die Verteidigung von Zschäpe forderte, das Verfahren gegen ihre Mandantin einzustellen: die Rede war von einer "beispiellosen Vorverurteilung" Zschäpes durch Politiker und Staatsanwaltschaft. Zuvor schon hatte das Gericht die Forderung der Wohlleben-Anwälte auf Einstellung des Verfahrens gegen ihren Mandanten abgelehnt.
  • Vor der Pfingstpause wurde nur der Anklagesatz verlesen - nun können sich die Angeklagten äußern. Zschäpe hat bereits mehrfach angekündigt: Sie will vor Gericht schweigen. Zwei der insgesamt fünf Angeklagten wollen allerdings aussagen: Carsten S. und Holger G. Die Aussage von Carsten S. hat inzwischen begonnen.
  • Immer neue Anträge, Streit und zähe Debatten prägten bislang die Verhandlung in München. Am Dienstag wies das Gericht erneut einige Anträge zurück.

+++ Was am Dienstag vor Gericht passiert +++

+++ Wer Aussteiger Carsten S. ist +++

Carsten S. arbeitete als Sozialpädagoge bei der Aids-Hilfe in Düsseldorf, als ihn seine Vergangenheit einholte. Mehr als zehn Jahre ist es her, dass er Karriere bei den Jungen Nationaldemokraten gemacht hat. Inzwischen hat sich der in Neu-Delhi geborene Mann zu seiner Homosexualität bekannt. Und er hat sich nach Eindruck der Ermittler glaubhaft von der rechtsextremen Szene gelöst. Bereits vor Prozessbeginn legte er ein umfangreiches Geständnis ab. Er hat die Waffe besorgt, die der NSU zum Töten nutze, beteuerte aber, nichts von den Morden gewusst zu haben. Zum Tatzeitpunkt, der ebenfalls Angeklagte Ralf Wohlleben soll ihn mit der Beschaffung der Ceska beauftragt haben, war der 33-Jährige erst 19 Jahre alt, ein Heranwachsender also. Die Geschichte vom verirrten, einsamen Junge, der nicht wusste, was er tat, nehmen ihm viele aber nicht ab.

Ein Porträt zu Carsten S. finden Sie hier.

Mehr zu den anderen Angeklagten und ihren Anwälten finden Sie hier.

+++ Was bisher im NSU-Prozess geschah +++

Die erste komplette Sitzungswoche im NSU-Prozess ist geschafft, die Zusammenfassung der insgesamt fast 500-seitigen Anklageschrift verlesen. Vor dem Gerichtsgebäude in München gab es zum Verhandlungsauftakt Tumulte und lange Schlagen, nun ist es dort ruhiger geworden. Im Verhandlungssaal trieben die Anwälte derweil ihre Machtspiele - dort wurde über ein Lachverbot gestritten, über Mikrophone und Befangenheitsanträge und über einen zweiten NSU-Prozess. Inzwischen hat der Vorsitzende Richter Götzl viele der Anträge zurückgewiesen. Zum Beispiel die Forderung, die Hauptverhandlung aufzuzeichnen. Und den Vorschlag, den Kölner Nagelbombenanschlag in einem zweiten NSU-Prozess abzutrennen.

Alle Augen waren zum Prozessstart auf die Hauptangeklagte Beate Zschäpe gerichtet. Sie präsentierte sich vor Gericht zunächst gelöst, aussagen will sie nicht. Neben ihr sitzt der mutmaßliche NSU-Helfer André E. auf der Anklagebank. Auch er zeigt sich nach wie vor gut gelaunt und begrüßt auf der Zuschauerempore immer wieder seinen Bruder, der ebenfalls der rechten Szene nahestehen soll. Für Aufsehen sorgten auch die Verteidiger von Ralf Wohlleben. Seine Anwältin war früher genau wie ihr Mandant NPD-Mitglied. Von den Angeklagten Carsten S. und Holger G. und ihren Anwälten hat man bislang wenig gehört. Das wird sich ändern, wenn die beiden Männer jetzt aussagen.

Was bisher im NSU-Prozess geschah: Eine Rekonstruktion per Storify - mit Tweets, Bildern und Videos finden Sie hier.

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