NSU-Prozess:Eine Kaskade von Fragen prasselt auf Zschäpe herab

NSU-Prozess

Die Angeklagte Beate Zschäpe und ihre Anwälte Wolfgang Stahl, Hermann Borchert und Mathias Grasel im Gerichtssaal.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Einen schriftlichen Fragenkatalog hätte die Angeklagte gerne gehabt. Richter Götzl macht da nicht mit.

Von Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz, München

Das hatte sich Beate Zschäpe vermutlich anders vorgestellt. 53 Seiten hatte ihr Anwalt Mathias Grasel vergangene Woche verlesen, die Erklärung ihres Lebens, die Rechtfertigung für 13 Jahre im Untergrund und für ihr Zusammenleben mit zwei Männern, die - so sagt sie selbst - zehn Menschen ermordet haben. Jeder Satz in dieser Erklärung war ziseliert, jede Wendung juristisch überprüft. Man konnte beobachten, wie zufrieden Beate Zschäpe war, als ihr Anwalt diese Erklärung verlas.

Doch nun sitzt da der Vorsitzende Richter und kündigt an, er habe einige Fragen. Direkt wendet er sich an die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, sie sitzt ganz nah vor ihm, keine zwei, drei Meter entfernt, und sieht ihn unverwandt an. "Frau Zschäpe, Sie haben angekündigt, dass Sie Fragen des Gerichts grundsätzlich beantworten werden", sagt Richter Manfred Götzl und er legt gleich los.

"Mir geht es um Fragen zu Ihren persönlichen Verhältnissen. Es sind nur einige. Dann geht es auch zur Einlassung selbst", sagt Götzl und ist schon mittendrin. "Auf Seite 32 Ihrer Erklärung haben Sie auf Ihren Alkoholkonsum abgestellt", sagt Götzl. Zschäpe hatte angegeben, dass sie immer mehr Sekt getrunken habe und auch bei der Flucht aus ihrem Haus - nach dem Tod ihrer beiden Freunde - zwei Flaschen Sekt in die Handtasche gestopft habe. "Haben Sie vor dem Jahr 2006 Alkohol konsumiert, wie häufig und in welchen Mengen und wie war die Wirkung auf Sie?"

Auf einen schriftlichen Fragenkatalog lässt sich der Richter nicht ein

Zschäpes Anwalt kommt kaum hinterher. Grasel meldet sich und versucht den Richter zu bremsen. "Meine Mandantin fühlt sich nicht in der Lage, die Fragen des Senats unmittelbar und persönlich zu beantworten. Sie hat Sorge, dass sie angesichts der Umstände die Worte nicht so wählen kann, dass es nicht zu Missverständnissen kommen kann. Sie will die Fragen mit mir erörtern und dann durch mich verlesen lassen." Er wisse, dass das nicht üblich sei, aber auch nicht grundsätzlich unmöglich. Zschäpe wolle die Hauptverhandlung nicht in die Länge ziehen.

Der Richter spielt das Spiel ein wenig mit, aber auf einen schriftlichen Fragenkatalog haben Zschäpe und ihr neuer Anwalt Grasel vergebens gewartet. Darauf lässt sich Richter Götzl nicht ein. Er fragt, mündlich, denn eine Verhandlung wird mündlich geführt. So will er es weiter halten. Und so muss Grasel nun also alles mitschreiben.

Es ist eine Kaskade von Fragen, die auf Zschäpe herabprasselt, mehr als 50 Fragen mit immer neuen Unterfragen. Nicht nur nach ihrem Alkoholkonsum, möglichen Krankheiten oder psychischen Problemen. Götzl geht ans Eingemachte: Er will, dass Zschäpe aus dem Inneren des NSU berichtet. Wie haben ihre Freunde Mundlos und Böhnhardt ihr von den Morden erzählt? Was sprachen die beiden über Köln, wo sie zwei Anschläge verübt haben? Welche politische Einstellung hatten die beiden? Wie standen sie zu Waffen? Was weiß sie über die Herkunft der Waffen in der Wohnung des NSU in der Frühlingsstraße? "Was wissen Sie über die Herstellung und den Vertrieb des Spiels Pogromly?", fragt Götzl. Jenes Spiel, das angelehnt an das Monopoly-Spiel eine "schöne judenfreie Stadt" erreichen wollte, mit KZs statt Bahnhöfen.

Zschäpe schaut nicht mehr so entspannt wie bei ihrer Erklärung

Zschäpe schaut schon seit geraumer Zeit nicht mehr so entspannt wie bei ihrer Erklärung vergangene Woche. Sie redet leise auf ihren Anwalt ein, aber der muss ja mitschreiben. Und es geht weiter. "Welche Informationen haben Sie zur Auswahl der beiden Polizeibeamten als Opfer in Heilbronn?", fragt Götzl. "Wie war das persönliche Verhältnis unter ihnen dreien?" Er will auch wissen, wie sie sich untereinander angesprochen haben. Und der Richter macht deutlich, dass er das Bild hinterfragen wird, das Zschäpe von sich zeichnete - das Bild einer Frau, die aus Liebe blieb und immer erst hinterher erfuhr, was ihre Freunde getan hatten.

Punkt für Punkt klopft Götzl dieses Bild ab. "Welche Umstände veranlassten Sie, bei Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nachzufragen, ob sie etwas mit dem Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse zu tun hätten?" Eine tückische Frage, denn wer fragt, muss vorher etwas geahnt haben. Und was bedeutet, die beiden seien "arbeitsteilig tätig" gewesen, während sie beim Joggen war. "Was bedeutet arbeitsteilig?" Wenn sie das wusste, dann wusste sie ja auch, an was sie arbeiteten.

Götzl arbeitet sich durch ihre Erklärung, auf fast jeder Seite hakt er ein. Und dann hat er noch ein paar grundsätzliche Fragen, auf die sie gar nicht eingegangen war. Und die haben es in sich. Nun geht es um Namen, um Personen, die sie bisher nicht nennen wollte. "Wurden Sie nach Ihrer Flucht noch von anderen Personen unterstützt? Wann? Von wem? Auf welche Art und Weise?" Auch um eine Frau geht es nun, Susann E., die Ehefrau des Mitangeklagten André E. "Hatten Sie Kontakt zu Susann E.? Ab wann? Wie häufig? Auf welche Art und Weise?" Man weiß, dass die Familie E. häufig bei Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zu Besuch war. Und auch Oberstaatsanwältin Anette Greger fragt nach Susann E.: "Wusste Susann E. von den Taten?" Von Zschäpes Antwort hängt ab, ob nun schnell noch jemand auf einer Anklagebank sitzen wird. "Wollen Sie darauf eingehen?", fragt Götzl.

Ja, sagt ihr Anwalt. Zschäpe werde die Fragen beantworten. Diese Woche werde sie das nicht mehr schaffen, aber er werde das über die Weihnachtsfeiertage ausarbeiten.

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