NSU-Prozess:Ein Horrorfilm, der Wirklichkeit wird

NSU-Mordserie

Das Wohnmobil mit den Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos: In ihm wurden auch zwei Fahrräder entdeckt.

(Foto: Carolin Lemuth/dpa)

Ein Täter trug eine Sturmhaube mit Vampir-Gesicht: Im NSU-Prozess berichten zwei Zeugen von einem Banküberfall. Nach Ansicht der Anklage waren die mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Täter. Diese Annahme stützt auch ein Detail, das zunächst lächerlich wirkt.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Gruselige Szenen spielten sich in der Sparkasse in Eisenach ab. Es war der 4. November 2011, der Tag, an dem der rechtsterroristische Nationalsozialistische Untergrund (NSU) seinen letzten Banküberfall beging. Zwei maskierte Männer stürmten kurz nach neun Uhr morgens in die Filiale, einer von ihnen trug eine Sturmhaube mit einem Vampir-Gesicht. "Wie in den Scream-Filmen", sagt der damalige Filialleiter Stefan C. im NSU-Prozess. Ein Horrorfilm, der Wirklichkeit wird.

Der 32-Jährige berichtet, wie er an dem Tag mit einer Kollegin in seinem Büro saß, als er plötzlich Schreie aus dem Schalterraum hörte. Einer der maskierten Männer "machte ein kleines Laufspiel; er versuchte, eine Kollegin zu schnappen". Der Zeuge spricht in lockerem Ton, wirkt cool, als könne er den Schock dadurch besser abschütteln. Zwei Kunden lagen auf dem Boden. Einer der Männer habe dann auf Stefan C. gezeigt und dem anderen Maskierten zugerufen: "Schnapp du ihn dir!" Dann hielt einer der Räuber dem Filialleiter eine Waffe an den Kopf.

Eine Bankangestellte hatte sich in einen kleinen Raum geflüchtet, in der die sogenannte Notkasse untergebracht ist, und sich dort eingeschlossen. Der Räuber verlangte, die Tür aufzusperren. Ihm wurde Geld ausgehändigt, das reichte ihm aber nicht. "Ich hab ihm gesagt, dass wir oben nicht mehr Geld haben. Er hat gesagt, dass es eine Lüge ist. Er war nicht ganz begeistert und hat gemeint, zuschlagen zu müssen", erzählt Stefan C.

Die Waffe war echt

Der Filialleiter ging kurz zu Boden, verlor aber, wie er sagt, nicht das Bewusstsein und stand rasch wieder auf. Der Zeuge ist groß und sportlich. Der Richter bittet ihn, zu beschreiben, wie stark der Schlag gewesen ist. Stefan C. sagt: "Ich habe 15 Jahre Kampfsport gemacht, der Schlag war nicht besonders doll. Ich hätte mich da gerne gewehrt, ich habe den Schlag auch kommen sehen." Dennoch blutete er stark. Der Räuber hatte mit dem Knauf oder dem Lauf eines Revolvers zugeschlagen, das Opfer hatte eine Platzwunde am Kopf. Stefan C. dachte zunächst, es sei nur eine Spielzeugwaffe gewesen. Später erfuhr er, dass sie echt war.

Der Bankkaufmann ist in Jeans ins Gericht gekommen, in der Bank trug er einen Anzug. Belustigt erzählt er nun, sein erster Gedanke bei dem Überfall sei gewesen: "Mein Sakko darf nicht dreckig werden."

Die Täter verlangten mehr Geld, einer ging schließlich mit den Angestellten in den Keller zum Tresor. Insgesamt erbeuteten die Räuber fast 72 000 Euro. Stefan C. blieb verletzt im Erdgeschoss, bewacht von einem der Männer.

Täterbeschreibung passt zu Mundlos und Böhnhardt

Die Anklage geht davon aus, dass die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Räuber waren. Die Beute wurde später in dem Wohnmobil gefunden, in dem sich die beiden Neonazis erschossen, nachdem die Polizei sie entdeckt hatte. Wegen der Masken konnten die Bankangestellten keine Gesichter erkennen. Beide Täter seien relativ groß, schlank und sportlich gewesen, sagt Stefan C. Die Beschreibung passt zu Mundlos und Böhnhardt.

Stefan C. arbeitet immer noch in einer Bank, aber in einer anderen Filiale. Wie es ihm gehe, fragt der Richter. "Alles in Ordnung", sagt der Zeuge betont gelassen. Und wie ging es ihm in der Situation des Überfalls? "Ganz angenehm war es natürlich nicht. Ich hab schon gedacht, ich bin im falschen Film."

Dann tritt Nadine W. als Zeugin auf, die ebenfalls in der Sparkasse gearbeitet hat. Sie hat den Überfall nicht so gut weggesteckt. Mit ihren Händen hält sich die 35-Jährige am Zeugenstuhl fest und sagt, der Überfall habe nur ein paar Minuten gedauert, "aber gefühlt viel länger - wie eine Stunde". Nachdem sie den Tresor geöffnet hatte, blieb Nadine W. verängstigt im Keller, bis alles vorbei war.

Eingesteckte Strümpfe

Zum Aussehen der Täter kann sie noch berichten, dass einer seltsam gekleidet war: "Die Hose sah unmöglich aus - so in die Strümpfe reingesteckt! Das hätte ich ihm auch am liebsten gesagt." Im Gerichtssaal lachen einige. Die Zeugin kämpft gegen ihr Trauma an.

Eine Erklärung für die eingesteckten Strümpfe könnte darin liegen, dass die Terroristen mit Fahrrädern zum Tatort gefahren sind. Die Polizei fand im Wohnmobil zwei Räder. Die Kombination von Rädern und Wohnmobilen war eine Masche des NSU.

Der Richter fragt Nadine W. nach den psychischen Folgen. Sie sagt: "Es war sehr schwierig, auch im Nachhinein noch." Sie habe nicht mehr in der Bank arbeiten können, habe sich eine neue Arbeit gesucht, habe ihren Beruf aufgegeben. Nun muss der Richter kurz unterbrechen. Die Zeugin kann nicht mehr. Sie muss hinaus, mit einem Taschentuch.

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