NSU-Prozess:Donnerhall und Tränen

Richter Götzl beendet nach 437 Verhandlungstagen den Prozess in München. Das Schlusswort der Hauptangeklagten Zschäpe zerschlägt allerdings die letzte Hoffnung der Opferfamilien.

Von Annette Ramelsberger

NSU Trial Reaches Final Phase

Reue ohne Schuldeingeständnis: Beate Zschäpe (hinten rechts der Mitangeklagte Ralf Wohlleben) bat am letzten Verhandlungstag des NSU-Prozesses in München um ein gerechtes Urteil.

(Foto: Getty Images)

Sie ist nervös. Sie hält den Laptop fest, ihr Bollwerk gegen diesen Saal, in dem sie fünf Jahre verbracht hat. Sie hält ihn fest, mit beiden Händen. Sie hat das Blatt darunter versteckt, von dem sie gleich ablesen wird. Einmal noch lächelt sie ihrem Anwalt zu, dann fragt der Richter in die Runde: "Gibt es noch Anträge oder Erklärungen? Keine? Keine. Dann wird die Verhandlung geschlossen." Ein Wort so beiläufig gesprochen und doch hat es eine Wirkung wie Donnerhall. Nach mehr als fünf Jahren, nach insgesamt 437 Verhandlungstagen, geht der Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zu Ende.

Richter Manfred Götzl wendet sich nun an Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte. Der Richter nickt ihr zu. "Wollen Sie? Bitteschön." Sie nickt, sie will. Es sind ihre letzten Worte. Schon nächste Woche, am 11. Juli 2018, soll das Urteil gesprochen werden. Und dann wird man sie lange nicht mehr hören. Beate Zschäpe spricht. Und sie spricht nun erstmals mit ihren eigenen Worten. Einmal schon hatte sie eine Erklärung in diesem Saal verlesen, vor drei Jahren, doch das waren Sätze, die eher zu ihrem Anwalt passten. Sätze wie der, dass ihr nicht die Herkunft und politische Orientierung von Menschen wichtig seien, sondern "ihr Benehmen".

Sie ruckelt an ihrem Mikro. Dann hört man sie: eine helle Stimme, Thüringer Akzent. Sie hastet los. "Hoher Senat, sehr geehrte Anwesende", beginnt sie und beklagt gleich zu Anfang, dass keiner sie verstehe. "Ich habe das Gefühl, dass jedes Wort - und sei es von mir noch so ernst und ehrlich gemeint - falsch und mir nachteilig ausgelegt wird."

Sie sagt, sie habe sich schon immer schwer getan, bei offiziellen Gelegenheiten frei zu sprechen. Deshalb habe sie ihre Anwälte sprechen lassen. Sie sei eben nicht so selbstbewusst, wie immer in sie hineininterpretiert werde. Und sie sagt, der Tag, an dem sie sich der Polizei gestellt habe, sei eine Art Befreiung für sie gewesen.

Die Eltern eines der Mordopfer sitzen bei Zschäpes Schlusswort wie versteinert im Gerichtssaal

Hinten im Saal sitzen die Eltern des neunten Mordopfers, des erst 20 Jahre alten Halit Yozgat aus Kassel. Sie sitzen da wie versteinert. Vorne sagt Zschäpe, sie entschuldige sich für das Leid, das sie verursacht habe. "Ich bedaure, dass die Angehörigen der Mordopfer einen geliebten Menschen verloren haben. Sie haben mein aufrichtiges Mitgefühl."

Später stehen die Eltern auf dem Vorplatz des Gerichts. Der Vater ist aufgewühlt, er hat seinen sterbenden Sohn im Arm gehalten, er kann nicht verstehen, dass das Gericht nicht zu ihm nach Kassel reiste, um den Mord nachzustellen. "Ich hätte dabei sein müssen. Das ist mein Recht als Vater. Ich war der erste Zeuge." Seine Stimme überschlägt sich. Neben ihm seine Frau, eine kleine, ernste Dame mit Mantel und Kopftuch. Sie hatte Beate Zschäpe im Gerichtssaal vor Jahren direkt gefragt, ob sie eigentlich noch schlafen könne angesichts ihrer Schuld. Und dass sie selbst, die Mutter, seit dem Mord nicht mehr schlafe, keine einzige Nacht.

Ihr antwortet Zschäpe nun, ihr als Einziger. "Ich bin ein mitfühlender Mensch und habe sehr wohl den Schmerz , die Verzweiflung und die Wut der Angehörigen sehen und spüren können. All das hat mich selbstverständlich betroffen gemacht und belastet mich bis heute sehr", sagt Zschäpe in Richtung von Mutter Yozgat. Aber sie sei dazu erzogen worden, ihre Gefühle nicht zu zeigen, das heiße aber nicht, dass sie nicht erschüttert und entsetzt sei.

In den Eltern von Halit Yozgat brennt noch immer die Frage, wer ihren Sohn ausgewählt, wer ihr Internetcafé ausspioniert hat. Die meisten Angehörigen wollen nicht so sehr Strafe, sondern Erkenntnis. Aber Zschäpe sagt ihnen auch in ihrem letzten Wort, sie wisse nichts. Wüsste sie etwas, sie würde es sagen. Dann sagt sie noch, dass sie sich von der rechten Szene distanziere, aber die rechtsextreme Haltung ihrer Mitangeklagten schon akzeptiere. Die Nebenkläger halten das für windelweich.

Draußen in der Sonne steht Vater Yozgat, er weint. Seine Frau hat sehr genau gehört, was Zschäpe zu ihr gesprochen hat. Sie sagt: "Ich habe mir das angehört. Ich bin sehr enttäuscht. Sie hat ganz genau gewusst, was geschehen ist und jetzt versucht sie sich rauszuziehen."

Drinnen hat Zschäpe das Gericht gerade noch gebeten, sie nicht für etwas zu verurteilen, was sie nicht gewollt und nicht getan habe.

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