NSU-Prozess:Dem Auftrag des NSU "unbedingt verpflichtet"

Lawyers Continue To Enter Their Pleas In NSU Murder Trial

Dem NSU-Trio "verpflichtet": Der Angeklagte Ralf Wohlleben im Juli im Münchner Gerichtssaal

(Foto: Getty Images)
  • Die Anklage sieht im NSU-Prozess die Vorwürfe gegen Ralf Wohlleben und Carsten S. bestätigt.
  • Die Angeklagten sollen die Tatwaffe, eine Česká, besorgt und an den NSU weitergegeben haben.
  • Wohlleben wirft die Bundesanwaltschaft zudem vor, das Terrortrio über Jahre hinweg maßgeblich unterstützt zu haben.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Das Fazit ist von großer Klarheit: Wie schon die Anklagevorwürfe gegen Beate Zschäpe sieht die Bundesanwaltschaft auch die Vorwürfe gegen die beiden Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. durch die Hauptverhandlung im NSU-Prozess "in vollem Umfang bestätigt".

Den beiden 42 und 37 Jahre alten Angeklagten wird Beihilfe zum Mord an neun Männern mit ausländischen Wurzeln vorgeworfen: Denn sie sollen die Tatwaffe besorgt und an den NSU übergeben haben. Mit dieser Česká hatte der NSU seinen Mordzug durch Deutschland angetreten und vor allem Türken regelrecht hingerichtet.

Doch was sich im Ergebnis so klar und einfach anhört, ist das Ergebnis einer akribischen, einer geradezu detailversessenen Argumentationskette. Es geht um den Weg der Česká - und den Nachweis dafür, dass wirklich diese Tatwaffe von Wohlleben und Carsten S. an den NSU übergeben worden ist. Und nicht etwa eine andere Waffe, mit der der NSU nicht gemordet hat. Und es geht auch darum, ob hier die Richtigen auf der Anklagebank sitzen und nicht, wie das die Verteidigung von Ralf Wohlleben immer wieder glaubhaft zu machen versucht, andere Leute die Pistole übergeben haben.

All diesen Überlegungen muss Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten nun entgegentreten. Es ist ein mühseliges Unterfangen. Am vierten Tag des Plädoyers der Bundesanwaltschaft sind nun die Angeklagten neben Beate Zschäpe dran. Und Weingarten verspricht: "Die Angeklagten standen mehr oder weniger im Schatten der Angeklagten Zschäpe, die Bundesanwaltschaft ist aber durch den öffentlichen Schattenwurf nicht beeinträchtigt."

Es wird sehr kleinteilig. Weingarten sagt, Wohlleben und Carsten S. hätten die "naheliegende Möglichkeit" erkannt, dass die Pistole benutzt werden würde, um damit Menschen nichtdeutscher Herkunft zu erschießen. Und dennoch hätten die beiden Angeklagten die Waffe im Jahr 2000 beschafft, weil sie sich dem Auftrag der drei Untergetauchten, die unbedingt eine Waffe wollten, "unbedingt verpflichtet" fühlten.

Es war eine Waffe mit Schalldämpfer und Carsten S., der längst aus der Szene ausgestiegen war, hatte nach dem Auffliegen des NSU bei der Polizei zugegeben, eine solche Waffe im Auftrag von Wohlleben an die drei Untergetauchten überbracht zu haben. Er hatte auch die Waffe wiedererkannt. Und er hatte Wohlleben als Auftraggeber schwer belastet.

Doch Wohlleben streitet ab, jemals den Auftrag für die Pistole gegeben zu haben. So muss Weingarten nun Schritt für Schritt nachweisen, wie die Česká von einer Waffenfirma in der Schweiz bis in einen rechten Szeneladen namens "Madleys" in Jena kam und von dort in die Hände des NSU.

Wohlleben soll NSU-Trio maßgeblich unterstützt haben

Er muss nachweisen, dass Wohlleben die Spinne im Netz der NSU-Unterstützer war, dass er den geheimen Kontakt mit den drei abgetauchten Neonazis im Untergrund organisierte und den damals erst 20 Jahre alten Gefolgsmann Carsten S. für die Betreuung der drei abstellte.

Der hatte damals stolz zugesagt, sich aber kurz darauf von der rechten Szene abgewandt. Weil er sich als homosexuell geoutet hatte, kam er bei den Neonazis nicht mehr an. Es ist ein Anklagepunkt, der vor allem Wohlleben belastet - und deshalb richtet sich Weingarten auch immer wieder an die Verteidiger des ehemaligen NPD-Funktionärs, der sich selbst als friedliebenden Patrioten zeichnet.

Weingarten sagt, Wohlleben habe Zschäpe und ihre Gefährten seit dem Tag ihres Untertauchens bis ins Frühjahr 2000 hinein bei der Verwirklichung ihrer terroristischen Ziele unterstützt. Und zwar maßgeblich.

Und er sagt, die Angeklagten könnten sicher sein, dass ihnen die gleiche Aufmerksamkeit zukommen werde - egal, wie viel sie sich im Prozess eingebracht haben. Weingarten spielt darauf an, dass der Angeklagte André E. als Einziger überhaupt nichts gesagt hat. Der allerdings kommt erst nach der Sommerpause dran. Zwei Tage geht es nun nur um Wohlleben und Carsten S. In jedem einzelnen Detail. So wie Weingarten versprochen hatte.

Dann wendet er sich dem Angeklagten Carsten S. zu. Er ist der Aussteiger aus der rechten Szene, der nichts mehr mit seinem alten Leben zu tun haben will. Er ist auch derjenige, der sich über Tage mit den Aussagen gequält und sich selbst schwer belastet hat. Der Staatsanwalt hält Carsten S. für besonders glaubwürdig. Vieles von dem, was er berichtet habe, habe sich als wahr herausgestellt. Aber dennoch stellt ihm Weingarten in Aussicht, dass er am Ende des Plädoyers nicht einen Freispruch, sondern eine Freiheitsstrafe für ihn fordern wird. Obwohl er bei den Ermittlungen geholfen hat. Obwohl er selbst eine Tat ans Tageslicht gebracht hat, die die Ankläger noch gar nicht auf dem Schirm hatten: einen Sprengstoffanschlag mit einer Taschenlampe in Nürnberg.

Abe die Schuld von Carsten S. wiegt auch schwer: Er hat die Waffe überbracht, mit der der NSU neun Menschen getötet hat. Und er hat gesagt, er habe sich nicht vorstellen können, dass die Untergetauchten damit etwas Schlimmes anstellen könnten. Das aber glaubt die Bundesanwaltsschaft ihm nicht. Weingarten sagt, so gut sich Carsten S. an äußere Umstände erinnere, so inkompetent sei er bei seiner subjektiven Erinnerung an seine eigene Verantwortung. Er habe sich nicht ausdrücklich dazu bekennen wollen, dass auch er aggressiv ausländerfeindlich gewesen sei. Und dass er sich auch heute noch nicht dazu durchringen könne zu sagen: Ich habe den tödlichen Einsatz der gelieferten Pistole zumindest als naheliegend vorhergesehen.

So etwas nennt man Gehilfenvorsatz zum Tatzeitpunkt. Und die Bundesanwaltschaft hält es zumindest für möglich, dass Carsten S. damals die Tötung von Ausländern hingenommen hat. Auch wenn er jetzt alles tue, um seine Schuld - so weit es geht - wieder gut zumachen.

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