NSU-Prozess:Ex-Verfassungsschützer verweigert Aussage zugunsten "anderer Behörden"

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  • Zwei ehemalige Verfassungsschutz-Beamte aus Hessen werden im NSU-Prozess befragt - zum früheren Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas T., der im Internetcafé in Kassel war, als Ladenbetreiber Halit Yozgat 2006 erschossen wurde.
  • Vor allem die Aussage eines Beamten trägt eher zu weiteren Spekulationen bei, als dass sie hilft, Licht in die Affäre zu bringen.
  • Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ignoriert weiterhin ihre Anwälte. Doch eine Lösung der Verteidigerkrise steht noch aus.

Aus dem Gerichtssaal von Tanjev Schultz

Beate Zschäpe scheint wild entschlossen zu sein, dieses Schauspiel weiter aufzuführen. Sie betritt den Gerichtssaal am Mittwoch, ohne ihre drei Anwälte zu grüßen. Sie schaut sie nicht an. Sie baut ihren Laptop auf, starrt anschließend stundenlang ins Nichts. Ihr Pflichtverteidiger Wolfgang Heer bemüht sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und lächelt anfangs ein wenig vor sich hin. Aber man sieht den Beteiligten an, wie unwohl sie sich fühlen.

Und eine Lösung in der Verteidigerkrise des NSU-Prozesses lässt weiter auf sich warten. Zschäpe hat noch einmal 24 Stunden mehr Zeit bekommen, ihren Antrag auf Entbindung ihrer Anwältin Anja Sturm zu ergänzen. Sie kann das neue Schreiben bis etwa Donnerstagmittag abgeben. Das Gericht dürfte sich anschließend auch selbst ausreichend Zeit nehmen, um einen Beschluss zu fassen.

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So geht es nun also erst einmal weiter im Programm, als wäre nichts gewesen. Manchmal an diesem 211. Verhandlungstag stützt Zschäpe den Kopf in die Hände, ihre Ellenbogen hat sie auf den Tisch abgestellt. Als Zeugen treten zwei ehemalige Verfassungsschutz-Beamte aus Hessen auf. Es geht mal wieder um den Mord in einem Internetcafe in Kassel am 6. April 2006.

Damals war der Verfassungsschutz-Mitarbeiter Andreas T. am Tatort gewesen, als der 21-jährige Ladenbetreiber Halit Yozgat erschossen wurde. Der Beamte hatte im Internet gesurft - auf den Seiten eines Flirtforums. Bei der Polizei hatte er sich nicht als Zeuge gemeldet, sie ermittelte ihn trotzdem, Andreas T. stand anschließend zeitweise unter Mordverdacht.

Mittlerweile gelten die NSU-Terroristen als die Mörder, aber das Gebaren des Beamten und des Verfassungsschutzes geben noch immer Anlass für Vorwürfe und Verdächtigungen.

Klarheit endet schnell

Vor Gericht müssen die Zeugen zu Telefonaten Stellung nehmen, die sie damals mit dem zu der Zeit noch tatverdächtigen Kollegen führten. Vertreter der Nebenklage werfen dem Geheimdienst vor, er habe die Ermittlungen zugunsten seines Mitarbeiters beeinflusst. Das Amt mauerte mit Verweis auf den Quellenschutz, als es darum ging, der Polizei Informationen über die von Andreas T. betreuten V-Leute zu geben und diese vernehmen zu lassen. Das war in den Telefongesprächen, die im Gericht vorgespielt werden, allerdings kein Thema.

Stattdessen ist beispielsweise der Beamte Hans-Joachim M. zu hören, wie er seinem Mitarbeiter Andreas T. ein paar allgemeine Ratschläge erteilt, unter anderem zum Abfassen einer "dienstlichen Erklärung". Der Vorgesetzte rät: "Schreiben Sie so, wie es war!" Für ein taktisches Geplänkel sei kein Raum. Es klingt in dieser Passage nicht so, als wollte jemand etwas vertuschen.

Doch mit der Klarheit ist es schon bald vorbei. Denn im Laufe der Befragung vor Gericht wird der Verfassungsschützer immer wortkarger und beruft sich immer öfter auf Erinnerungslücken.

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Der Nebenklage-Anwalt Yavuz Narin fragt den Zeugen schließlich nach einer Rundmail, die eine Kollegin des Beamten im März 2006 geschrieben hat, wenige Wochen vor dem Mord in Kassel. Darin erwähnt sie die bundesweite Ceska-Mordserie - neun der insgesamt zehn NSU-Opfer wurden mit dieser Waffe getötet - und bittet die Mitarbeiter beim Verfassungsschutz darum, sich umzuhören, ob man etwas über diese Taten in Erfahrung bringen könne. Kennt der Zeuge dieses Rundschreiben? Er kann sich nicht erinnern.

Daraufhin hakt der Anwalt nach. Ob denn das Amt mal befasst war mit der Mordserie, bevor der Mitarbeiter Andreas T. unter Tatverdacht geriet? Hans-Joachim M. sagt: "Da hab ich eigene Erinnerungen, zu denen ich aber keine Stellungnahme heute abgebe." Es habe nämlich nichts mit der Sache zu tun. Das sehen viele im Saal anders.

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Der Zeuge sagt, er berufe sich auf eine eingeschränkte Aussagegenehmigung, weil noch andere Behörden von dem Thema betroffen seien. Welche Behörden, könne er das sagen? "Um weiteren Spekulationen nicht Boden unter die Füße zu geben, werde ich das nicht tun."

Doch genau das geschieht: Der Zeuge befeuert das Gemunkel und die Spekulationen. Es wirkt so, als wolle er etwas Wichtiges verheimlichen. Informationen darüber, was das hessische Landesamt für Verfassungsschutz und andere Behörden damals - im Jahr 2006 oder früher - über die Mordserie austauschten.

Es ist kein Geheimnis, dass die Ermittler bundesweit bei anderen Behörden, auch beim Geheimdienst nachfragten, um Spuren zu den Tätern der Ceska-Serie zu finden. Ob und was das Landesamt in Hessen damals im Einzelnen tat und wusste, will nun auch der Untersuchungsausschuss im Wiesbadener Landtag weiter aufklären.

Der zweite Beamte, der als Zeuge aussagt, meint sich zu erinnern, die Mordserie sei mal Thema im Amt gewesen. Auch Andreas T. hätte sich damals bei seinen V-Leuten erkundigen sollen; ob er das getan habe, wisse er nicht. T. hatte vor Gericht gesagt, er sei nie dienstlich mit der Ceska-Serie befasst gewesen.

Am Nachmittag kommt noch ein dritter Beamter als Zeuge. Wieder wird über viele Minuten ein damals von der Polizei abgehörtes und mitgeschnittenes Telefonat des Beamten mit Andreas T. im Gerichtssaal abgespielt. Als es nach einer Weile so aussieht, als würde Beate Zschäpe wegdämmern, wendet sich Richter Manfred Götzl unvermittelt an die Angeklagte. Er fragt sie, ob sie noch durchhält:"Sind Sie noch bei der Sache?" Zschäpe ist überrascht und sagt spontan, laut und deutlich: "Ja."

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