NSU-Prozess:Blut, Schweiß und Wahrscheinlichkeitsrechnung

  • Zwei Tage präsentierte ein Experte im NSU-Prozess die Ergebnisse von DNA-Analysen.
  • DNA-Spuren von Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt wurden an etlichen Waffen gefunden, von Beate Zschäpe fanden sich keine Spuren an den Waffen.
  • An einer Jogginghose von Mundlos wurden überdies Blutspuren der ermordeten Polizistin Kiesewetter entdeckt.

Von Tanjev Schultz

In Indizienprozessen können DNA-Spuren sehr wichtig sein, die Kriminaltechnik hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht und bringt manchmal Erstaunliches zum Vorschein. Der Beweiswert ist allerdings oft umstritten. Und so standen nun im NSU-Prozess gleich zwei Verhandlungstage ganz im Zeichen der Genetik.

Ein Sachverständiger des Bundeskriminalamts erklärte am Mittwoch und Donnerstag geduldig, wie die DNA-Analyse funktioniert und was er und seine Kollegen im NSU-Fall herausgefunden haben. Carsten Proff, promovierter Biologe, holt weit aus und bemüht sich um Verständlichkeit. Er ist umgeben von lauter Juristen, die sich vielleicht nicht haben träumen lassen, nach dem Abitur jemals wieder so intensiv mit Gesetzen der Mathematik und der Naturwissenschaften konfrontiert zu werden. Dr. Proff erläutert sogar Grundregeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung ("die Produktregel"), bevor er in allen Details die zahlreichen Asservate aus dem NSU-Komplex durchgeht: Schuhe, Waffe, Karten, Briefumschläge und was sonst noch alles in Zwickau in den Überresten der Wohnung des Trios und im Wohnmobil der Neonazis gefunden wurde.

Mit Bewertungen hält sich der Gutachter zurück, aber für das Urteil könnten seine Ausführungen von großem Wert sein. An etlichen Waffen, die von den NSU-Terroristen genutzt worden sein sollen, fanden sich tatsächlich Spuren, die mit den DNA-Profilen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt übereinstimmen. Auch an DVDs und Ausspähnotizen konnte ihr genetischer Code nachgewiesen werden. Von Zschäpe fanden sich an den Waffen offenbar keine Spuren.

Blut an der Jogginghose

Nicht immer sind statistische Berechnungen möglich - wenn aber doch, scheinen sie wenig Raum für Zweifel zu lassen. Milliarden, Billionen, Trillionen, Quadrillionen - das sind die Dimensionen, mit denen der Experte rechnet. Zum Beispiel bei einer Jogginghose, die im Brandschutt der Wohnung in Zwickau gefunden wurde: An der Hose konnten die Kriminaltechniker Blutanhaftungen nachweisen. Es ergab sich ein weibliches DNA-Muster, das mit den Merkmalen der ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter übereinstimmt - Merkmale, die mit einem Wahrscheinlichkeitswert von eins zu 31 Billionen vorkommen (es ist also so gut wie sicher, dass es Kiesewetters Blut war). Die Beamtin wurde 2007 in Heilbronn ermordet. Die Jogginghose wurde mutmaßlich von Uwe Mundlos getragen. Darauf deuten weitere Spuren hin, unter anderem von Zellstofftüchern, die in den Taschen der Hose waren.

Rätselhaft bleibt, warum Mundlos die Hose jahrelang aufbewahrt hat. Als Trophäe? Oder haben die Terroristen ein so markantes Beweisstück einfach vergessen? Am Donnerstag hakt ein Anwalt der Nebenkläger nach: Sei die Hose mal gereinigt worden? Der Sachverständige sagt, er gehe davon aus, dass sie nicht gewaschen wurde. Die Blutreste seien dunkel und rötlich braun gewesen. Mundlos müsste sie dann nach dem Mord mehr als vier Jahre lang ungewaschen aufgehoben haben.

Auch an zwei Fahrrädern und an zwei Sturmhauben fanden sich klare Spuren von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Mit den Masken sollen sie ihre Raubzüge begangen haben. Interessant sind die DNA-Funde an einem Paar Lederschuhe: Sie wurden vermutlich von Beate Zschäpe getragen, aber nicht allein von ihr. Sondern auch von Susann E., der Ehefrau des Angeklagten André E., gab es Spuren an dem Schuh. Eins zu 9,7 Trillionen ist hier der Wahrscheinlichkeitswert; es ist also praktisch sicher, dass Susann E. die Spur verursacht hat. Die Familie E. soll mit dem Trio eng befreundet gewesen sein. Die Anklage geht davon aus, dass sich Zschäpe, nachdem sie die Wohnung in Zwickau in Brand gesetzt hat, von ihrer Freundin Susann E. Kleidung auslieh, mit der sie sich auf die Flucht begab, bevor sie sich im November 2011 schließlich bei der Polizei stellte.

Nicht für alle Spuren konnten von den DNA-Spezialisten konkrete Personen zugeordnet werden. Oft haben sie es mit tückischen Mischspuren zu tun, manchmal können außerdem bei der Analyse Verunreinigungen entstehen. Im Falle des Angeklagten André E. kommt noch erschwerend hinzu, dass er einen Zwillingsbruder hat - sein genetischer Abdruck ist gleich.

Die Ermittler haben auch Spuren einer unbekannten, bis heute nicht identifizierten Frau entdeckt. Sie fanden sie an Dutzenden Zigarettenkippen, die aus dem Keller der Wohnung in Zwickau stammen. Die Qualität der DNA-Spuren auf den Zigaretten schätzt der Sachverständige als gut ein. Offenbar stammen sie aber weder von einer Person des Trios noch von einer der anderen Personen aus dem Verfahren, deren genetischer Code bekannt ist. Möglich ist bei solchen Spuren allerdings auch, dass sie von sogenannten "berechtigten Personen" herrühren - das sind Ermittler oder Techniker, die die Objekte unvorsichtig angefasst haben. Bei einem anderen Objekt haben die Kriminaltechniker dies beispielsweise nach einigen Monaten als Erklärung herausgefunden. Auch von den beteiligten Beamten werden die DNA-Profile in die Analysen miteinbezogen.

Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl versucht am Ende, die Beweiskraft der ganzen Untersuchungen in Zweifel zu ziehen. Könnte es nicht sein, dass DNA auf einen Gegenstand kommt, ohne dass die betreffende Person das Objekt selbst berührt hat? Wenn - wie im Falle des Trios - mehrere Personen zusammenwohnen, könnte DNA von einer anderen Person auf das Objekt übertragen worden oder sogar über mehrere Stationen dort gelandet sein. Der Gutachter bestätigt, dass seine Analysen nichts darüber besagen, wie eine Spur zustande gekommen ist.

Als Stahl den Biologen fragen will, was denn aus seiner Sicht als Sachverständiger die Richter bei der Beweiswürdigung berücksichtigen sollten, fährt ihm Manfred Götzl in die Parade. "Da mischen Sie sich in einen Bereich ein, der unserer ist", blafft der Vorsitzende Richter den Anwalt an. Und fügt hinzu, es sei übrigens so, dass er und seine Kollegen "Sachkunde zu allem Möglichem" haben könnten, wovon der Anwalt gar keine Vorstellung habe.

Götzl mag es überhaupt nicht, wenn an seiner Autorität oder seiner Kompetenz auch nur der Hauch eines Zweifels aufkommt. Hochkonzentriert hat er die Ausführungen des Gutachters verfolgt und durch Nachfragen und Korrekturen deutlich gemacht, dass er voll im Stoff ist - nicht nur juristisch, sondern wonmöglich auch bei den Grundlagen der DNA-Analyse.

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