NSU-Prozess:"Beate Zschäpe lügt und basta - das will die Bundesanwaltschaft glauben machen"

Defendant Zschaepe, accused of helping to found neo-Nazi cell NSU, arrives for continuation of trial at courtroom in Munich

Hermann Borchert, seit 2015 für Zschäpe der Verteidiger ihrer Wahl.

(Foto: REUTERS)
  • Nach wochenlangen Verzögerungen hat die Verteidigung von Beate Zschäpe mit den Plädoyers begonnen.
  • Als Erstes spricht ihr Vertrauensanwalt Hermann Borchert.
  • Er sagt, seine Mandantin sei zwar eine starke Persönlichkeit, als Mittäterin sei sie aber nicht zu sehen.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm

Monatelang haben sie sich darauf vorbereitet, wochenlang darauf gewartet. Eigentlich sollten sie schon Ende Februar ihre Plädoyers halten, dann Mitte März. Immer kam etwas dazwischen. Nun ist es Ende April, der 419. Prozesstag, als Beate Zschäpes Verteidiger endlich das Wort erhalten. Sie beginnen nach fünf Jahren Prozess mit ihren Schlussvorträgen. Und es ist ein erstaunliches Wort, das den ersten Tag dieser Plädoyers bestimmt. Es ist das Wort "Charakterstärke".

Ein Wort, das man nicht unbedingt mit der Hauptangeklagten im NSU-Prozess in Verbindung bringt. Beate Zschäpe wird dort vorgeworfen, zehn Morde an Migranten und einer Polizistin, zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle begangen zu haben, obwohl sie an keinem Tatort dabei war. Die Anklage sieht sie als gleichberechtigte Mittäterin ihrer zwei Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die geschossen haben.

"Charakterstärke" - sechs, sieben, acht Mal nimmt Zschäpes Vertrauensanwalt Hermann Borchert das Wort in den Mund. Dass Beate Zschäpe eine starke Persönlichkeit ist, daran besteht kein Zweifel. Nicht bei der Anklage, nicht beim Psychiatrischen Gutachter, der sie vier Jahre lang beobachtet hat, auch nicht bei ihren Verteidigern. Doch was aus dieser Stärke folgt (wobei nicht klar ist, was diese Stärke mit Charakter zu tun hat), das sieht Borchert völlig anders als die Anklage. Die nämlich betrachtet Zschäpe als gleichberechtigtes Mitglied der NSU-Terrorgruppe, als Kassenwart, als Tarnkappe, als Frau, die ihre Männer im Griff hatte.

Natürlich sei Beate Zschäpe eine starke Persönlichkeit, sagt Verteidiger Borchert. Aber was heiße das schon im Zusammenleben mit Leuten wie Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die in der Lage waren, wehrlosen Menschen ins Gesicht zu schießen? Böhnhardt sei als aggressiv bekannt gewesen, sogar als tickende Zeitbombe wurde er bezeichnet. "Was nützt die Charakterstärke meiner Mandantin, wenn diese gegenüber ihrem Lebenspartner keine Wirkung erzielt?" Borchert erinnert wieder daran, dass Zschäpe von ihrem Freund Böhnhardt geschlagen wurde. So gibt sie das zumindest an. Wie soll sie da Macht über Böhnhardt gehabt haben? Dass Zschäpe in der Gruppe dominant war, sei "eine unsinnige Interpretation". "Anzunehmen, die beiden Männer hätten vor meiner Mandantin gekuscht, erscheint geradezu absurd", sagt Borchert. Doch das wolle die Bundesanwaltschaft ja nicht sehen.

"Beate Zschäpe lügt und basta. Das will die Bundesanwaltschaft glauben machen"

Borchert wirft den Staatsanwälten vor, nur mit Spekulationen zu arbeiten, die Indizien einseitig zu bewerten und nur in die vorgefasste Anklage einzupassen. Niemals habe sich Zschäpe vor dem Untertauchen für Gewalt ausgesprochen, so wie das der Mitangeklagte Holger G. ausgesagt hatte. Borchert geht die Ankläger direkt an: "Holger G. ist glaubwürdig und basta. Beate Zschäpe lügt und basta. Das will die Bundesanwaltschaft glauben machen."

Borchert spricht als erster in der Reihe der fünf Anwälte, die Zschäpe verteidigen. Nach ihm folgt Mathias Grasel, mit einem Abstand von einer Woche werden dann auch Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl plädieren, mit denen Zschäpe sich zerstritten hat.

Doch zunächst ist Borchert dran. Er tritt auch den Aussagen des Psychiaters Henning Saß entgegen, der Zschäpe als recht empathielos und gemütsarm bezeichnet und erklärt hatte, es fehlten Zeichen echten Bedauerns über die Taten. Noch einmal zitiert Borchert die Erklärung Zschäpes von 2015, wonach sie sich moralisch schuldig fühle, dass sie ihre beiden Gefährten nicht vom Morden abhalten konnte. Moralisch schuldig, nicht rechtlich verantwortlich, ein feiner Unterschied. Aber das Bekenntnis der Beate Zschäpe wolle man ja nicht hören, sagt Borchert. Die Bundesanwaltschaft ignoriere diese Erklärung.

Und die emotionale Zurückhaltung bei ihrer Einlassung? Das nun, sagt ihr Anwalt, sei ihm zuzuschreiben. Er wisse, dass jedes persönliche Wort vor Gericht auf die Goldwaage gelegt werde. "Ich persönlich habe den Stil der schriftlichen Stellungnahme geprägt." Um eine ungeschickte Wortwahl zu vermeiden. Und Borchert sagt, er finde es "absolut unverständlich", dass Psychiater Saß nicht werte, dass die Formulierungen mit anwaltlicher Hilfe erstellt worden sei. Saß hatte auch erklärt, dass Zschäpe die Verantwortung für die Taten auf andere schiebe. Externalisieren, so nannte er das. Borchert sagt nun: "Wenn sich Hinweise auf externalistisches Verhalten ergeben, ist das allein auf die literarischen Fähigkeiten des Wahlverteidigers zurückzuführen."

Borchert geht Punkt für Punkt die Vorwürfe durch. Alles daran sei absurd und passe nicht zusammen und schon gar nicht zu Zschäpe, wie er sie kennengelernt habe: Weder habe sie beabsichtigt, die alte Nachbarin zu töten, als sie ihr Haus in Zwickau in Brand gesetzt hatte, noch habe sie eine Affinität zu Waffen. Sie habe bei der Flucht nach dem Selbstmord ihrer beiden Gefährten keine Waffe mitgenommen, obwohl genug davon in der Wohnung herumlagen. Selbst, dass sie die Bekenner-DVD verschickt hat, auf der der NSU sich über seine Opfer lustig macht, sage nichts darüber, ob sie Mittäterin sei: "Unterstellt, dass sie wusste, was auf den DVDs war, war ihr Verhalten moralisch sehr verwerflich", sagt Borchert. Aber das reiche nicht aus, sie als Mittäterin zu sehen.

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