NSU-Prozess:Beate Zschäpe - ist sie stark oder ist sie schwach?

  • Der psychiatrische Gutachter im NSU-Prozess, Henning Saß, stellt dem Gericht zwei gegensätzliche Bilder der Angeklagten Beate Zschäpe vor: einmal ist sie stark, einmal schwach.
  • Zschäpe selbst stellt sich als schwach dar - Saß glaubt ihr das jedoch nicht.
  • Hält das Gericht die Version von der starken Persönlichkeit für plausibel, ist eine Sicherungsverwahrung möglich - dann käme Zschäpe nie mehr in Freiheit.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Es dringt aus jedem Satz, aus jedem Wort. Auch wenn sich der psychiatrische Gutachter Henning Saß noch so viel Mühe gibt, möglichst sachlich, möglichst wissenschaftlich, möglichst unangreifbar zu formulieren: Er glaubt Beate Zschäpe kein Wort. Weder, dass sie sich von der rechtsradikalen Szene abgewendet hat, noch dass sie die Taten des NSU bereut, noch dass sie nur das brave, abhängige Frauchen war, das von den Morden ihrer Männer immer nur im Nachhinein erfuhr.

Schon den zweiten Tag tritt der Psychiater im NSU-Prozess auf, und ein Wort kommt in seinen Ausführungen immer wieder vor: Plausibilität. Er hält die Erklärungen Beate Zschäpes, die der Mittäterschaft bei zehn Morden, 15 Banküberfällen und zwei Sprengstoffanschlägen angeklagt ist, für völlig unplausibel. Saß beruft sich auf viele Zeugenaussagen und auf einen Brief, den Zschäpe an einen Brieffreund geschrieben hat - einen Rechtsradikalen, der wegen eines Raubüberfalls in Haft saß. Und der Psychiater destilliert daraus das Bild einer selbstbewussten, kämpferischen, diskussionsfreudigen Person, die sich nicht unterbuttern lässt, eigenständige politische Positionen bezieht und ihre Forderungen mit fast feindseliger Härte durchsetzen kann. Kurz: das genaue Gegenteil der Beate Zschäpe, die angeblich finanziell und emotional abhängig war von ihren beiden Freunden, sich schlagen ließ und dennoch mit ihnen in Urlaub fuhr.

Trifft die Vorstellung von der starken Zschäpe zu, dann sieht der Sachverständige in ihr eine Mittäterin und einen tief eingeschliffenen Hang zu Straftaten. Dann hielte er eine Sicherungsverwahrung für möglich, Zschäpe käme nie mehr in Freiheit. Doch Saß will dem Gericht nicht vorgreifen, er bietet zwei Varianten an: die starke Zschäpe und die Sicherungsverwahrung, und die schwache Zschäpe, die nur das Anhängsel ihrer Männer war, weshalb dann auch die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung nicht vorlägen.

Saß aber macht zugleich deutlich, dass Zschäpes Erklärungen, sie sei abhängig gewesen, bei ihm nicht verfangen. Er bescheinigt ihr "Disziplin, Raffinesse, eine extrem hohe Fähigkeit zur Camouflage" im Untergrund. Gleichzeitig sieht er bei ihr die Tendenz, die eigenen Taten zu bagatellisieren und Schuld bei anderen zu suchen. Weder ihr Alkoholkonsum noch eine Persönlichkeitsstörung beeinträchtigen ihre Schuldfähigkeit. Sie sei voll schuldfähig. Die ganze nächste Woche will das Gericht darüber reden.

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