NSU-Prozess:Absurdes Theater mit dem Zeugen André K.

  • Am 201. Verhandlungstag sagt André K. im NSU-Prozess aus. Er war Mitglied in der rechtsradikalen "Weißen Bruderschaft Erzgebirge" (WBE).
  • In der WBE soll auch der mutmaßliche NSU-Helfer und Angeklagte André E. Mitglied gewesen sein.
  • Über Stunden versucht Richter Götzl, dem Zeugen André K. etwas zu entlocken. Doch der spricht kaum oder nur schwer verständlich. Dennoch ist die Befragung nicht ohne Wert.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

"Blut und Ehre" auf der Glatze

Die Befragungen im NSU-Prozess erinnern manchmal an Dialoge des absurden Theaters. Die Protagonisten sprechen mehr oder weniger wortreich aneinander vorbei. An diesem Dienstag tritt André K. auf, ein 37-jähriger arbeitsloser Bäcker aus der rechten Szene in Sachsen. Das Problem: Er will nicht nur wenig sagen, er kann sich auch nicht richtig artikulieren. Das Wenige, was aus seinem Mund kommt, trägt er derart hastig und vernuschelt vor, dass es nur mit größter Mühe zu verstehen ist.

Widerwillig hängt der Mann mit seiner tätowierten Glatze auf dem Zeugenstuhl. Am Kopf über dem linken Ohr steht die Parole der Hitlerjugend: "Blut und Ehre". Die Bundesanwaltschaft regt an, dies als Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen festzuhalten. Der Zeuge sagt: "Dafür wurde ich schon mal verurteilt. Mütze aufsetzen ist doch im Gericht verboten."

Zu seiner politischen Einstellung befragt, sagt André K.: "Ich habe ganz normales gesellschaftliches Denken." Sein Tattoo habe mit Politik nichts zu tun. Er habe es sich als Jugendlicher stechen lassen. "Der Spruch klang halt cool." Er habe es weder früher noch heute gut gefunden, wenn Asylbewerberheime brennen.

Mitglied in der rechtsradikalen WBE

Um die Jahrtausendwende war André K. Mitglied in der rechtsradikalen "Weißen Bruderschaft Erzgebirge" (WBE). Zu den Gründern und maßgeblichen Organisatoren der Gruppe sollen der mutmaßliche NSU-Helfer André E. und dessen Bruder Maik gehört haben. Angeblich hat der Zeuge die beiden seit Langem nicht mehr gesehen. "Es liegt alles Jahre zurück. Ich weiß nicht, was Sie hören wollen?"

Stundenlang versucht Richter Manfred Götzl, dem Zeugen etwas zu entlocken. Mehrmals muss er ihn ermahnen, sich mehr Mühe bei den Antworten zu geben. Zwei von der WBE herausgegebene Hefte - "Fanzines" - erkennt André K. immerhin wieder. In den Heften standen rassistische Artikel; das Selbstverständnis der Gruppe wurde so beschrieben: Man wolle dazu beitragen, eine "neue weiße Gesellschaft zu erschaffen". Der Zeuge sagt, in den Heften hätte "nix Weltbewegendes" gestanden, "nichts Schlimmes, nix gegen die Gesellschaft". In der WBE sei es um Konzerte und Partys gegangen, "nix Aufregendes".

Richter Manfred Götzl: Wie war denn Ihre politische Einstellung, als Sie bei der Weißen Bruderschaft waren?

Zeuge: Keine Ahnung.

Richter Götzl: Dann denken Sie mal drüber nach!

Zeuge: Ist ja jedem selber überlassen. Eine gesunde Einstellung, sage ich mal.

Richter Götzl: Ich hab' jetzt nichts verstanden.

Zeuge: Was soll ich denn da groß sagen dazu? Ich kann nur sagen, was ich weiß, und das ist nicht viel.

Richter Götzl: Was Ihre politische Einstellung angeht?

Zeuge: Mir hat die Musik gefallen, es war so Partyszene.

Richter Götzl: Das hat jetzt mit politischer Einstellung nichts zu tun.

Zeuge: Muss es doch auch nicht.

Richter Götzl: Aber ich habe Sie danach gefragt. Sie weichen mir aus! Ich muss zu dem Ergebnis kommen, dass Sie meine Frage nicht beantworten wollen.

Zeuge Das ist doch nicht wahr.

Richter Götzl: Dann wiederhole ich meine Frage: Wie war Ihre politische Einstellung damals?

Zeuge: Ich war halt jung. Schönes Deutschland und so. So war das damals.

In dieser Form geht es lange weiter. Bei der Polizei hatte André K. zu Protokoll gegeben, dass in der WBE auch über Gewalt gesprochen worden sei. Vor Gericht druckst er herum. Man habe sich bestimmt "damit auseinandergesetzt", wenn dazu etwas in den Medien gekommen sei. Götzl fragt nach Beispielen. Antwort: "Fußball oder so." Vollständige Sätze sind bei dem Zeugen selten, seine häufigste Wendung ist: "Keine Ahnung." Auf die präzise Frage, über welche Gewalt denn geredet worden sei, sagt André K. diesen absurden Satz: "Es war halt bloß eine Frage, die jeder benutzt hat früher, es war halt nur ein Satz, den jeder gesagt hat früher." Welche Frage, welcher Satz? Man weiß es nicht.

André E. wirkt wie fast immer unbeteiligt

Dennoch ist die Befragung nicht völlig wertlos. Denn der Zeuge bestätigt die führende Rolle, die der Angeklagte André E. in der WBE gespielt haben soll. Er nennt diesen einen "Ansprechpartner" in der Gruppe. Die Aussagen helfen dabei, sich ein Bild von André E. zu machen, der mit den NSU-Terroristen bis zum Schluss ein vertrauensvolles Verhältnis gehabt haben soll.

Wie der Zeuge trägt auch André E. gern Tattoos; auf seinem Bauch steht in englischer Sprache "Stirb, Jude, stirb". Im Gerichtssaal wirkt André E. fast immer wie ein Unbeteiligter, als gehe ihn das hier alles gar nichts an. So ist es auch an diesem 201. Prozesstag.

Nach einer Pause kehrt der Zeuge André K. mit einem großen Pflaster am Kopf in den Saal zurück. Das "Blut und Ehre"- Tattoo ist nun nicht mehr zu sehen.

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