NSU-Prozess:Abhörprotokoll belastet Ex-Verfassungsschützer

Andreas T. war am Tatort, als Halit Yozgat erschossen wurde. Angeblich hat der ehemalige Verfassungsschützer nichts davon mitbekommen - sagt er. Ein Abhörprotokoll aber lässt Zweifel an seiner Aussage zu.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Der Zeuge muss erst mal warten. Eigentlich sollte am Mittwochmorgen erneut der ehemalige Verfassungsschützer Andreas T. im NSU-Prozess aussagen. Er war am Tatort, als am 6. April 2006 in einem Internetcafé in Kassel der 21 Jahre alte Betreiber des Ladens, Halit Yozgat, erschossen wurde.

Andreas T. hat bereits zwei Mal vor Gericht beteuert, er habe von dem Mord nichts mitbekommen. Doch weil seine Aussage Widersprüche enthält, wollen die Anwälte des Opfers die Rolle des früheren Geheimdienst-Mannes so intensiv wie möglich beleuchten.

Etliche Akten über Andreas T. liegen bisher nur in Karlsruhe bei der Bundesanwaltschaft vor, sie sind nicht zum Prozess beigezogen. Die Anwälte dürfen sie nur in Karlsruhe einsehen, ein umständliches und von den Nebenklägern als intransparent kritisiertes Verfahren.

Am Mittwoch nun präsentiert der Anwalt Alexander Kienzle, der die Eltern von Halit Yozgat vertritt, einen Fund aus den Karlsruher Akten: Demnach soll sich Andreas T. nach dem Kasseler Mord in einem Gespräch mit dem damaligen Präsidenten des hessischen Verfassungsschutzes, Lutz Irrgang, "nicht so restriktiv" geäußert haben wie bei der Polizei. So jedenfalls sagt es Ende Mai 2006 ein Kollege von Andreas T., der allerdings nicht selbst bei dem Gespräch mit Irrgang dabei war. Seine Bemerkung stammt aus einem Telefonat mit Andreas T. - die Polizei hing damals bei dem Verfassungsschützer mit in der Leitung. Andreas T. war damals Beschuldigter, es wurde zu der Zeit gegen ihn ermittelt.

Weil sich der Tatverdacht nicht erhärten ließ, wurde das Verfahren später eingestellt. Die Bundesanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Internetcafé auf Halit Yozgat geschossen haben. In dem Laden hielten sich mehrere Kunden in Nebenräumen auf; niemand will die Mörder gesehen haben.

Aus Sicht der Nebenkläger zeigt das Abhörprotokoll, dass Andreas T. seinem Vorgesetzten beim Geheimdienst mehr von dem Mord erzählt hat als der Polizei. Sie sprechen von einem "rechtsstaatswidrigen Wissensvorsprung" des Verfassungsschutzes und von einer gezielten Steuerung des Aussageverhaltens. Sie beantragen, erst mal die anderen Verfassungsschützer zu laden und als Zeugen zu hören, bevor Andreas T., der mittlerweile in einer anderen Behörde arbeitet, wieder an die Reihe kommt.

Verschwörungstheorie vs. Aktenlage

Es kommt zu einer kurzen, giftigen Konfrontation mit der Bundesanwaltschaft. Die Ankläger lassen den Begriff "Verschwörungstheorien" fallen und verweisen darauf, dass Akten bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen sehr wohl herausgegeben würden.

Der Opfer-Anwalt Thomas Bliwier nennt das Vorgehen der Staatsanwälte dagegen "ungeheuerlich". Ihm wäre es lieb, wenn die Bundesanwaltschaft mal "aus eigenem Antrieb" relevante Akten in den Prozess einbringen würde, sagt er. Zwischendurch mischt sich auch noch Ismail Yozgat ein, der Vater des Ermordeten aus Kassel: "Warum werden die Akten nicht hergegeben? Was will man verstecken?", fragt er auf Türkisch.

Beate Zschäpe verfolgt die Auseinandersetzung interessiert; ihre Anwältin Anja Sturm spricht sich erneut dafür aus, die Akten vollständig vorzulegen. Sie regt aber auch an, den Zeugen Andreas T. heute noch zu vernehmen.

Nach der Pause geht der Streit weiter, heftig, aber auch mit Witz. Bundesanwalt Herbert Diemer möchte klarstellen, dass es ja keine Zumutung sei für die Nebenkläger, Akten in Karlsruhe einzusehen: "Die Akten stehen in beleuchteten, gewärmten Räumen." Darauf antwortet Rechtsanwalt Kienzle aufgebracht, in sarkastischem Ton: "Natürlich bin ich hochgradig zu Dank verpflichtet, dass Sie mich in beleuchteten und gewärmten Räumen untergebracht haben - und nicht im Keller."

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