NSU-Ausschuss im Bundestag:Alte Liste bringt BKA und Friedrich in Bedrängnis

CSU-Vorstandssitzung

Wegen NSU-Ermittlungspannen unter Druck: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (Aufnahme von Dezember 2012)

(Foto: dpa)

"Super-Kommunikations-GAU": Mit heftiger Kritik haben Politiker im NSU-Ausschuss auf die verspätete Weitergabe einer Adressenliste durch das Bundeskriminalamt reagiert. Sie war beim Neonazi Uwe Mundlos gefunden worden und von den Thüringer Behörden als bedeutungslos eingestuft worden. Aus dem Innenministerium heißt es, Hans-Peter Friedrich habe das BKA zum Bericht aufgefordert.

Von Tanjev Schultz, Berlin

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages ist von einer zweiten Adressenliste überrascht worden, die 1998 bei dem Neonazi Uwe Mundlos gefunden worden war. Dem Bundeskriminalamt (BKA) liegt die Liste bereits seit einem Jahr vor, der Ausschuss erfuhr davon erst jetzt.

Die Parlamentarier kritisierten wieder einmal die Informationspolitik der Behörden. Wolfgang Wieland (Grüne) sprach von einem "Kommunikationsdesaster", Hartfrid Wolff (FDP) sogar von einem "Super-Kommunikations-GAU" beim BKA. Er könne nur hoffen, dass das BKA nicht so schlecht ermittle, wie es den Ausschuss informiere. Das BKA gab am Donnerstag keine Stellungnahme dazu ab.

Die SPD-Abgeordnete Eva Högl griff Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) an. Dieser müsse endlich das Versprechen der Kanzlerin einlösen und sicherstellen, dass die Arbeit des Ausschusses nicht behindert werde, sagte Högl. Friedrich erwecke den Eindruck, als habe er nicht begriffen, welche Sensibilität bei dem Thema nötig sei. Ein Ministeriumssprecher versicherte, Friedrich habe den Ausschuss "bislang umfassend und schnellstmöglich informiert und wird das auch weiterhin tun". Der Minister habe das BKA aufgefordert, über den Sachverhalt zu berichten.

Der CDU-Politiker Clemens Binninger nannte den Vorfall zwar "ärgerlich", aber "nicht dramatisch", da die zweite Adressenliste zu großen Teilen mit der ersten übereinstimme. Beide Listen waren 1998 bei einer Razzia gefunden worden, die sich gegen Mundlos und seine Freunde Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe richtete. Das Trio tauchte unter und soll später die Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gebildet haben, der zehn Morde und etliche Raubüberfälle angelastet werden.

Auf den Listen stehen mutmaßliche Kontaktpersonen des NSU

Die Adressenlisten enthielten Namen und Telefonnummern etlicher brauner Kameraden, darunter auch Personen, die noch nach dem Untertauchen Kontakt zu dem Trio gehabt haben sollen. Eine Liste war damals in einem Karton gefunden worden, die andere offenbar in einer Tüte. Die Listen sind damals, so weit sich das bisher rekonstruieren ließ, für die Suche nach dem Trio überhaupt nicht verwendet worden. Ein Zielfahnder sagte dem Ausschuss, er habe erst in diesem Jahr von der Existenz dieser Adressen-Sammlung erfahren.

Für die aktuellen NSU-Ermittlungen hat das BKA dagegen beide Listen ausgewertet und auch einige der dort aufgeführten Personen als Zeugen vernommen. Die zweite, jetzt bekannt gewordene Liste, wird beim BKA laut einem internen Vermerk als "neuere Fassung" angesehen. Sie enthält einige zusätzliche Einträge und auf der Rückseite handschriftliche Notizen mit Kontaktdaten, die auf der ersten Liste nicht auftauchen. Darunter befindet sich beispielsweise die Anschrift einer Frau aus Fürth. Diese ist verwandt mit einem bayernweit bekannten Neonazi aus Nürnberg, der sich ebenfalls auf der Liste befindet. Drei Morde, die dem NSU zugeschrieben werden, wurden in Nürnberg verübt. Bisher haben die Ermittler allerdings keinen Beleg dafür gefunden, dass der NSU dort Komplizen hatte.

Die Listen wurden 1998 vom Landeskriminalamt (LKA) in Thüringen offenbar kaum beachtet. Ein BKA-Beamter, der damals dem LKA helfen sollte, stufte die Adressen in dem Entwurf für einen internen Vermerk ebenfalls als bedeutungslos ein. Dabei standen auf den Listen auch führende Neonazis aus Chemnitz, wo das flüchtige Trio aus Jena, wie man mittlerweile weiß, zuerst unterschlüpfte, bevor es nach Zwickau zog.

Ein früherer Verfassungsschützer aus Thüringen sagte am Donnerstag vor dem Ausschuss, auch er habe die Adressenlisten nicht erhalten. Er hätte damals etwas damit anfangen können, sagte er. Der Beamte, der für den V-Mann Tino Brandt zuständig war, beteuerte zudem, er habe Brandt nie vor Razzien und Ermittlungen der Polizei gewarnt. Sowohl Polizisten als auch Brandt selbst haben dagegen gesagt, der V-Mann sei vom Verfassungsschutz rechtzeitig informiert worden. Es gibt Hinweise, dass der Geheimdienst sogar die Anwaltskosten für Brandt, der Ende der Neunzigerjahre als Spitzenquelle galt, bezahlte. Der Beamte sagte, davon wisse er nichts. Ein anderer ehemaliger Verfassungsschützer sagte dagegen, so etwas sei "nicht unüblich" gewesen.

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