NSU-Ausschuss des Bundestages:Das Schweigen der Dienste

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Der NSU-Ausschuss des Bundestages offenbart, wie kompliziert eine Reform des umstrittenen V-Mann-Wesens ist. Die föderalen Strukturen behindern den Austausch von Informationen zwischen Verfassungsschützern auf Länder- und Bundesebene und der Polizei - manchmal fehlt auch schlicht der Wille.

Von Hans Leyendecker und Tanjev Schultz

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags hat schon manches Geheimnis aus der seltsamen Welt der V-Leute erfahren: Da war der Spitzel, der angeworben wurde, obwohl er wegen versuchten Mordes in Haft saß. Ein anderer V-Mann bespitzelte zwei Neonazis, die selbst V-Leute anderer Behörden waren. Am Montag versuchten die Abgeordneten, mehr über zwei V-Männer des Verfassungsschutzes mit den Decknamen "Primus" und "Strontium" zu erfahren. Die beiden waren einst in Sachsen tätig, wo die drei vom NSU in der Illegalität lebten.

In polizeilichen Vernehmungen zeigten sich die V-Männer schmallippig, sie wollen die NSU-Mitglieder gar nicht gekannt haben. Nützen solche Leute oder schaffen sie erst die Probleme, die dann andere lösen müssen? Das "V" steht für Vertrauen, und mit dem Vertrauen ist es meist nicht weit her. Manche Politiker wollen das Anwerben von V-Leuten verbieten. Aber auch Insider der Dienste bemängeln ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag.

Die Zeugen, die am Montag im Untersuchungsausschuss aussagten, kamen vom Bundesamt für Verfassungsschutz, das so seine Erfahrungen mit V-Leuten gemacht hat. In der Behörde kontrolliert eine Prüfstelle, wie die Abteilungen ihre V-Leute einsetzen. Die Prüfstelle soll beispielsweise beanstandet haben, dass ein Beamter einem V-Mann mit zu wenig Distanz begegnet sei. Mit solcher Kritik macht man sich in der Behörde nicht nur Freunde.

Dazu kommt eine erkennbare Verunsicherung der Beamten, was rechtlich noch zulässig ist und was nicht. Dies war bei V-Männern immer schon ein großes Problem. Es ist aber durch ein Gerichtsurteil, das in der Öffentlichkeit bisher unbemerkt blieb, verschärft worden: Vor zwei Jahren lief am Oberlandesgericht Düsseldorf ein Prozess gegen ein Mitglied einer verbotenen türkischen Terrorgruppe. Der Mann war jedoch V-Mann eines Nachrichtendienstes und hatte unter den Augen des Staates auftragsgemäß in der verbotenen Organisation agiert.

Er wurde, auch wegen anderer Delikte, zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Beide Seiten verzichteten auf die Revision, auch um den Fall nicht öffentlich zu machen. Noch nie zuvor hatte sich ein so bedeutendes Gericht mit der Frage beschäftigt, ob die Tätigkeit für einen Dienst in einer verbotenen Organisation eine Straftat sein kann. Und: Stiften Beamte zu einer Straftat an, wenn sie V-Leute in verbotene Organisationen schicken?

Die Bund-Länder-Expertenkommission zum Rechtsterrorismus, die sich mit dem Problem ebenfalls befasst, will den Staatsanwaltschaften künftig einen größeren Spielraum einräumen, solche Verfahren einstellen zu können. Für völlige Straffreiheit plädiert die Kommission nicht. In den Bundesländern gibt es unterschiedliche Regelungen; in Niedersachsen und Brandenburg gehen V-Leute weitgehend straffrei aus, wenn sie mit Wissen der Behörden in verbotenen Organisationen tätig sind, Nordrhein-Westfalen will bald Rechtssicherheit schaffen.

"Unbegreifliche Schlamperei"

Die föderalen Strukturen machen eine Reform des V-Mann-Wesens kompliziert. Die Innenminister beteuern zwar, der Austausch zwischen den Behörden werde besser und intensiver werden. In der Praxis zeigen sich aber weiterhin viele Probleme. Im Bundesamt für Verfassungsschutz sind Fachleute konsterniert, weil die Länder keine Bereitschaft gezeigt hätten, die Klarnamen ihrer V-Männer für eine geplante gemeinsame Datei preiszugeben. Das Bundesamt ist dagegen seit jeher dazu verpflichtet, die Verfassungsschutzbehörde eines Bundeslands zu informieren, wenn es einen V-Mann dort führen will.

Selbst wenn der Austausch in Zukunft besser funktionieren sollte, blieben noch immer die vielen Polizeibehörden als Unsicherheitsfaktor. Wie der NSU-Ausschuss erfahren musste, führte das Berliner Landeskriminalamt (LKA) zeitweise zwei V-Leute, die sich zumindest im Umfeld des NSU bewegten. Und offenkundig fällt es dem LKA bis heute schwer, seine Akten so zu ordnen, dass es selbst den Überblick behält: Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) musste am Montag einräumen, die Behörde habe einen weiteren Bericht eines V-Mannes nicht an den Untersuchungsausschuss weitergeleitet. Das sei am Wochenende aufgefallen, Henkel sprach von einer "weiteren unbegreiflichen Schlamperei". Der Begriff "Schlamperei" ist eigentlich eine arge Verharmlosung.

© SZ vom 14.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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