NSA-Untersuchungsausschuss:Edward Snowden, der unheimliche Zeuge

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Edward Snowden in Berlin - vorerst aber nur auf einem Transparent während einer Demonstration am Brandenburger Tor.

(Foto: John McDougall/AFP)

In Deutschland will Edward Snowden erklären, wie Amerikas NSA die Deutschen ausspähte. Doch ausgerechnet Kanzleramt und Spionageabwehr versuchen zu verhindern, dass der Enthüller nach Berlin kommt. Was sind die Gründe für diese Entscheidung?

Von John Goetz, Georg Mascolo und Hans Leyendecker

Zwischen 2007 und 2008 arbeitete Edward Snowden für die CIA unter dem Decknamen Dave M. Churchyard, Personalnummer 2339176, in Genf. In dieser Zeit hat er einmal Deutschland besucht. Natürlich war er in Heidelberg. Es war schön. Was in Deutschland heute passiert und diskutiert wird, beobachtet er im Internet. "Er verfolgt die Debatte sehr genau", sagt sein Vertrauter Glenn Greenwald. Snowden chattet regelmäßig mit Getreuen, von denen viele wie seine einstige Moskauer Begleiterin Sarah Harrison in Berlin leben.

Im vergangenen Jahr traf Snowden in Moskau den Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, er gibt deutschen Journalisten Interviews und ist, wie er Gefährten sagt, von der Reaktion der Deutschen auf seine Enthüllungen positiv überrascht. Snowden sei von den Deutschen begeistert, heißt es. Die Universität Rostock will ihn bald zum Ehrendoktor machen, weil er ein großer Aufklärer sei und seine eigene bürgerliche Existenz geopfert habe, um auf gravierende gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen.

Die Deutschen haben ihm unter anderem die Erkenntnis zu verdanken, dass der US-Geheimdienst NSA und der britische GCHQ massenhaft Daten von Millionen deutschen Bürgern sammeln und speichern. Sie verdanken ihm die Information, dass bis 2013 das Handy der Kanzlerin Angela Merkel abgehört wurde. Das alles ist ein Angriff auf die Souveränität eines Staates.

Der Chef des Verfassungsschutzes beschimpft den "Verräter, der die NSA ausgeplündert hat"

Und doch reagieren Kanzleramt, Regierung und sogar der für die Spionageabwehr zuständige Geheimdienst auf Snowden wie auf einen unheimlichen Fremden. Die Bundesregierung hat nichts gegen eine Vernehmung Snowdens, will aber in keinem Fall zulassen, dass ihm über den Umweg eines Auftritts vor dem Untersuchungsausschuss ein Bleiberecht in Deutschland gewährt wird. Das sei eine Regierungsentscheidung, heißt es im Kanzleramt, und die sei definitiv getroffen worden: kein Platz für den Enthüller.

Am anschaulichsten verkörpert diese Position seltsamerweise der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. Seine Behörde hat angeblich keinen Schimmer, was amerikanische und britische Dienste in Deutschland so treiben, und er selbst beschimpft den Enthüller als "Verräter, der die NSA ausgeplündert hat". Snowden ist für ihn keine Quelle, sondern eine "schillernde Figur".

Der amerikanische Präsident Barack Obama hat sich bei der Kanzlerin für den Lauschangriff der NSA auf ihr Handy entschuldigt, und der oberste deutsche Spionagebekämpfer erklärte Ende Januar in einem Interview, seine Behörde wisse von nichts : "Wir wissen noch nicht einmal definitiv, dass die Kanzlerin abgehört worden ist." Die Bundesanwaltschaft hat im vergangenen Jahr die deutschen Dienste um Informationen über das Ausspähen durch amerikanische Dienste gebeten, und die Antwort lässt sich in drei Worten zusammenfassen: keine eigenen Erkenntnisse. Stattdessen redet Präsident Maaßen über die "German Angst". Neulich wies er im Magazin Spiegel darauf hin, das Thema Snowden finde "in keinem anderen Land der Welt so viel Aufmerksamkeit wie in Deutschland". Er lobte indirekt Frankreich, Spanien oder Italien, die eben nicht so ängstlich wie die Deutschen auf die Enthüllungen Snowdens reagierten.

Edward Snowden - "Nur ein Computerexperte"?

Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst sind nicht nur ahnungslos. Sie fürchten, die Amerikaner könnten den Informationsaustausch mit den deutschen Diensten einschränken, wenn die Bundesregierung Snowden zu weit entgegenkäme. Ohne die Amerikaner, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière neulich, sei man "taub und blind". Informell hat die US-Regierung Berlin bereits wissen lassen, ein dauerhafter Aufenthalt von Snowden werde als Affront empfunden. Seit vergangenem Sommer liegt dem Bundesjustizministerium ein Festnahmeersuchen der Amerikaner vor.

Seit Monaten streuen amerikanische Geheimdienste das Gerücht, Snowden sei doch nur ein Computerexperte, ein technisches Genie vielleicht, aber ohne Wissen und ohne Verständnis für die operative Arbeit der NSA. Deshalb könne er die von ihm mitgenommenen Dokumente weder verstehen noch beurteilen. Snowden dagegen betont, er habe auch operativ gearbeitet und kenne deshalb das Innenleben der NSA ziemlich gut. In einer Stellungnahme für das Europäische Parlament schrieb er, die NSA habe ihm die "Autorität verliehen, Kommunikation in aller Welt abzuhören. Ohne meinen Platz zu verlassen, hätte ich alle Mitglieder ihres Komitees abhören können, genauso wie jeden normalen Bürger". Er schwöre, dass das wahr sei.

Dass Snowden ein wichtiger Zeuge und seine Aussage ein zentrales Beweismittel im NSA-Untersuchungsausschuss wäre, ist zweifelsfrei. In jedem Fall wäre er der kenntnisreichste Zeuge, den das Parlament laden kann. Die deutschen Nachrichtendienstler wissen viel zu wenig über die Umtriebe der amerikanischen und britischen Kollegen. Und die US-Regierung wird wohl keine Aussagen von NSA-Mitarbeitern zulassen.

Snowden könnte unter anderem bezeugen, dass die seit Monaten veröffentlichten Dokumente echt sind. Er könnte erklären, in welchen Datenbanken der NSA er sie entdeckt und heruntergeladen hat. Auch könnte er Auskunft darüber geben, was er über das Abhören deutscher Regierungsmitglieder weiß.

"Snowdens persönliche Aussage im Ausschuss" sei "in vielfacher Hinsicht unumgänglich, wenn es der Ausschuss mit der umfassenden Aufklärung" der Sachverhalte ernst meine, erklärt sein Anwalt Wolfgang Kaleck. Auf die Frage, ob Snowden etwas über die Abhöraktion gegen Kanzlerin Angela Merkel aussagen würde, erklärte Kaleck: "Weiß ich nicht. Das werde ich ebenso wie alle weiteren Details mit ihm besprechen".

Die Ukraine-Krise und ihre Folgen könnten einer Vernehmung in Moskau entgegenstehen

In den Snowden-kritischen Teilen der Union im Bundestag herrscht die Meinung vor, der potenzielle Zeuge habe doch schon alles gesagt, was er wisse. Außerdem sei er bislang durch Zurückhaltung aufgefallen. Als Beleg für diese im Grunde vorweggenommene Beweiswürdigung dient Snowdens Antwort an das Europäische Parlament. Darin wies der Whistleblower darauf hin, dass er "keine neuen Informationen bekannt machen werde", sondern seine Aussage auf die Informationen beschränke, "die verantwortliche Medien bereits bekannt gemacht haben".

Der zurückgetretene Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU) sagt, er habe die zwölfseitige Stellungnahme Snowdens gelesen. Der Inhalt sei "dünn". Unklar sei, ob sich Snowden bei einer Aussage vor dem Untersuchungsausschuss anders verhalten werde.

Intern wurde vor einiger Zeit in CDU-Kreisen die Idee diskutiert, Snowden in Moskau zu vernehmen. Das sei in der derzeitigen politischen Lage "verrückt", meinte Binninger. Auch in Regierungskreisen wird eine Ausschuss-Reise nach Moskau angesichts der Entwicklung in der Ukraine als unpassend empfunden. "Damit würden wir Putin doch einen riesigen Gefallen tun", meint ein hochrangiger Sicherheitsexperte der Union.

Die weltpolitische Lage, so scheint es, hat den ohnehin schon komplizierten Fall noch komplizierter gemacht.

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