NSA-Überwachungspraxis:Kongressabgeordnete sauer - aber nicht über Prism

NSA PRISM

Justizkomitee-Vorsitzender Bob Goodlatte (links) und Mitglied John Conyers (D-MI) bei der Anhörung in Washington

(Foto: AFP)

Bei einer Anhörung vor dem US-Kongress gibt der stellvertretende NSA-Chef Inglis zu, dass die Analyse der Verbindungsdaten weiter geht als bislang geglaubt. Die Abgeordneten reagieren auf die Sammelwut inzwischen äußerst gereizt, greifen Regierung und Geheimdienste an. Gute Nachrichten für potenziell Überwachte? Nur, wenn sie in Amerika leben.

Von Johannes Kuhn

Die gute Nachricht für Kritiker des NSA-Überwachungsprogramms weltweit: Erstmals scheint es stärkeren politischen Gegenwind für die Datensammlung des amerikanischen Militärgeheimdienstes zu geben. Die schlechte Nachricht: Die Kritik beschränkt sich auf die Vorratsdatenspeicherung amerikanischer Telefonanschlüsse.

In einer Anhörung des Justizausschusses im US-Repräsentantenhaus kritisierten Abgeordnete beider Parteien die Sammlung von Verbindungsdaten amerikanischer Bürger heftig. Dabei geht es um die Enthüllung des NSA-Whistleblowers Edward Snowden, wonach die Telekomfirma Verizon die Metadaten aller Telefongespräche für das FBI speichert - darunter Anschlussnummern, Datum/Uhrzeit und Gesprächslänge. Neben Verizon sollen auch die anderen großen Anbieter diese Daten vorhalten.

US-Medien berichten von zum Teil erbosten Wortmeldungen, während die Abgeordneten Vertreter der Regierung und der Geheimdienste befragten. "Das ist untragbar, empörend und muss sofort aufhören", erklärte John Conyers jr., demokratischer Abgeordneter aus Michigan.

Der Republikaner James Sensenbrenner aus Wisconsin, der einst den Patriot Act, also die gesetzliche Grundlage für die Überwachung eingebracht hatte, deutete an, die 2015 auslaufenden Anti-Terror-Gesetze in dieser Form nicht zu verlängern: "Wenn Sie nicht verstehen, dass Sie ein Problem haben, wird das nicht erneuert", sagte er dem stellvertretenden Justizminister James Cole.

Die Anhörung brachte auch einige technische Details zur amerikanischen Vorratsdatenspeicherung: Demnach sammeln die Telekomanbieter keine Geodaten von Anrufern, zumindest "nicht in diesem Programm", wie der stellvertretende NSA-Chef John Inglis erklärte. Auch Namen, wiederholten Regierungsvertreter, würden nicht gesammelt. Allerdings lässt sich der Besitzer einer Rufnummer recht einfach durch die Verknüpfung mit anderen Datenbanken ermitteln.

Weitergehende Analyse als bislang bekannt

Jerry Nadler, demokratischer Abgeordneter aus dem US-Bundesstaat New York, kritisierte, dass die Regierung "alles in der Welt" für relevant im Anti-Terror-Kampf halte. Vize-Justizminister Cole konnte in der Tat nicht ausschließen, dass ein Geheimgericht unter dem Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) im Rahmen einer Terrorismus-Ermittlung die Herausgabe von Hotelgast-Daten, GPS-Handydaten oder Kreditkarten-Abrechnungen eines US-Bürgers verlangen könnte.

Für Beunruhigung bei Datenschützern dürfte sorgen, dass die Geheimdienste Internet- und Telefon-Kommunikationsdaten offenbar weitgehender analysieren, als bislang bekannt war. NSA-Mann Inglis erklärte, der Nachrichtendienst werte für die Identifizierung von Terrornetzwerken auch Verbindungen dritten Grades aus.

Verbindungen ersten Grades sind die direkten Kontakte eines Verdächtigen. Den zweiten Grad bilden die Kommunikationspartner seiner Kontakte - bislang waren Experten davon ausgegangen, dass dies die höchste Analyse-Stufe ist. Der dritte Grad sind die Kommunikationspartner der Kommunikationspartner, was die Zahl der möglichen Betroffenen einer Ermittlung nochmals potenziert.

Prism spielt keine Rolle

Gegen die einstmals geheime Vorratsdatenspeicherung hat inzwischen ein Zusammenschluss aus 19 Gruppen und Organisationen Klage eingereicht: Zu den Gruppen, die vor ein Bundesgericht in San Francisco ziehen, gehören die Electronic Frontier Foundation, Greenpeace, Human Rights Watch, Kirchenvertreter und Schusswaffen-Gruppen. Sie fordern die Einstellung des Telefondaten-Sammelprogramms. Eine ähnliche Klage hatte bereits im Juni die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union eingereicht.

Das Schnüffelprogramm Prism, bei dem die Geheimdienste auf Nutzerdaten von Unternehmen wie Facebook, Google, Microsoft oder Apple zurückgreifen, ist kein Teil der Klage: Es richtet sich nach bisherigem Kenntnisstand nicht gegen US-Bürger oder Menschen, die in den USA leben. Aus diesem Grund spielte das Programm, das derzeit in Europa die Gemüter erhitzt, bei der Anhörung im Kongress keine größere Rolle.

Sollte aber aus der Anhörung eine größere Debatte zur mangelnden Transparenz des FISA-Gerichts entstehen, könnte dies auch Prism betreffen. US-Technologiefirmen fordern bereits seit einigen Wochen, mehr Auskünfte über das Ausmaß der Datenherausgabe publizieren zu dürfen.

Auf die Frage des republikanischen Komitee-Vorsitzenden Bob Goodlatte, ob man wirklich geglaubt habe, die massenhafte Speicherung von Telefon-Verbindungsdaten vor dem amerikanischen Volk geheim halten zu können, erklärte der Rechtsberater einer Geheimdienstbehörde: "Nun ja, wir haben es versucht."

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