NSA hörte Hollande ab:Die wahre Stärke des Rechtsstaates

Hollande, Obama, Merkel

Änhliche Interessen, aber eben nicht immer die gleichen: Hollande, Obama und Merkel. Hier beim G-7-Gipfel auf Schloss Elmau.

(Foto: dpa)

Die Aufregung über den US-Lauschangriff auf Frankreich ist scheinheilig: Das Problem ist nicht, dass Geheimdienste andere Regierungen abhören. Das Problem ist, dass ihnen Ausländer als vogelfrei gelten.

Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin

Schon süß wie sie sich jetzt aufregen in Frankreich. Der US-Geheimdienst NSA hat offenbar die gesamte Staatsspitze abgehört. Protokolle von Unterhaltungen sind jetzt auf der Enthüllungsplattform Wikileaks gelandet. Das erinnert stark an den Spätsommer 2013. Da wurde eines Tages offenbar, dass die NSA das Handy von Kanzlerin Angela Merkel abgehört hat. Große Empörung damals. Abhören unter Freunden, "das geht gar nicht", sagte Merkel.

Die Debatte in Deutschland hat sich seitdem umgekehrt. Eine der Erkenntnisse nach einem Jahr Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses ist: Abhören unter Freunden, das geht sehr wohl. Aus dem NSA-Ausschuss ist längst ein Ausschuss geworden, der die Umtriebe des Bundesnachrichtendienstes ausleuchtet. Oder besser: die enge Kooperation zwischen NSA und BND.

Die ging so weit, dass die NSA ihre Suchbegriffe wie Telefonnummern und E-Mail-Adressen völlig unkontrolliert auf den Analyserechnern des BND einsetzen konnte. Rechner, die mit Daten aus der Satellitenüberwachung der BND-Außenstelle in Bad Aibling und sehr wahrscheinlich auch aus der Kabelerfassung am Internetknoten Frankfurt gefüttert wurden.

Als gesichert gilt inzwischen, dass einige der Suchbegriffe auf deutsch-europäische Unternehmen wie EADS und Eurocopter sowie auf "europäische Institutionen" abzielten. Ein Zeuge im Ausschuss verplapperte sich und sprach von "europäischen Ministerien".

Aus sicheren Quellen hieß es immer wieder, dass französische Amtsträger betroffen sein könnten. Seit längerem wird spekuliert, dass Staatspräsident François Hollande darunter sein könnte. Nach den jüngsten Enthüllungen scheint gesichert, dass nicht nur er, sondern auch seine Vorgänger Nicolas Sarkozy und Jacques Chirac belauscht wurden.

Es gibt bisher keinen Beweis, dass der BND aktiv daran beteiligt war. Allerdings ist sehr gut möglich, das die NSA den BND benutzt hat, um mit ihren Selektoren Gespräche von Hollande aus dem Datenstrom herauszufischen.

Relative Sicherheit kann es darüber nur geben, wenn die Liste mit den mehr als 40 000 Selektoren zugänglich wäre. Die aber wird vom BND und dem Kanzleramt gehütet wie ein neuer tödlicher Super-Virus. Nur zwei Exemplare der Liste gibt es in ausgedruckter Form. Beide liegen in Panzerschränken von BND und Kanzleramt.

Nur eine "Vertrauensperson" soll jetzt Einblick in die Listen bekommen, um dann dem NSA-Ausschuss und dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages Bericht zu erstatten. So will es die Bundesregierung. Und so hat es pflichtschuldig die Koalitionsmehrheit im NSA-Ausschuss beschlossen.

Sicher ist schon mal: Konkrete Namen von Personen oder Unternehmen wird die Person nicht nennen dürfen. Fraglich ist schon, ob sie die Länder nennen dürfte, auf die sich einzelne Selektoren beziehen.

Echte Aufklärung sieht anders aus

Gut möglich, dass am Ende nur eine Aussage darüber zu bekommen ist, ob ganz allgemein Personen, Institutionen und Unternehmen aus dem EU-Ausland auf der Spähliste stehen oder nicht. Echte Aufklärung, wie von Kanzlerin Merkel immer wieder verspochen, geht anders. Merkel stellt die deutsch-amerikanischen Beziehungen über alles andere.

BND-Chef Gerhard Schindler mag recht haben, dass der BND auf Informationen der NSA angewiesen sei. Aber die NSA ist auch auf den guten Willen Deutschlands angewiesen. Spionage ist eben ein Geben und Nehmen. Nicht unter Freunden oder Partnern. Sondern unter Staaten, die ähnliche Interessen verfolgen. Aber eben nicht immer die gleichen. Immer nach dem Motto: Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser.

Alle dürfen davon ausgehen, dass der BND brisante Geheim-Informationen aus dem inneren Zirkel um den US-Präsidenten sicher nicht ablehnen würde. Spionage ist eben auch der Versuch herauszufinden, ob die bekundeten Interessen der Regierenden mit dem übereinstimmen, was sie mit den eigenen Leuten hinter verschlossenen Türen besprechen.

Da sollte es niemanden mehr wundern, wenn die NSA Merkel und Hollande belauscht und wahrscheinlich jeden Regierungschef, der nur im Ansatz die Interessen der USA berührt. Und der BND wird seinerseits alles in seiner im Vergleich zur NSA begrenzten Macht Stehende tun, um selbst möglichst unverfälschte Informationen aus anderen Regierungen zu bekommen. Wer mit dem Finger auf die NSA zeigt, der sieht drei Finger, die auf ihn selbst zeigen. Das gilt auch für die Franzosen, die ihren Geheimdiensten ausgerechnet an diesem Mittwoch deutlich mehr Eigenleben zugestehen.

Die aktuelle Debatte verdeckt das Kernproblem

Die Debatte über die Frage, ob Freunde Freunde abhören dürfen, verdeckt das Kernproblem von Geheimdiensten in rechtsstaatlichen Demokratien. Wie können solche Dienste arbeiten, ohne jeden Tag elementare Menschenrechte zu verletzten? Das Recht auf Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses etwa.

Was also, wenn die Auslandsgeheimdienste Ausländer künftig so behandeln müssten wie Inländer? Was, wenn für massenhaftes Daten sammeln das Prinzip der Verhältnismäßigkeit angewandt werden muss? Was, wenn Ausländer im Ausland nicht länger als "vogelfrei" oder als "zum Abschuss freigegeben" gelten, wie BND-Mitarbeiter im Ausschuss berichteten?

Die Arbeit der demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Geheimdienste würde wahrscheinlich schwerer werden. Aber auch nicht unmöglich. Die Debatte ist eine ähnliche wie die um die Vorratsdatenspeicherung. Wie viel Freiheit ist eine Gesellschaft bereit aufzugeben, für ein Quäntchen mehr gefühlte Sicherheit?

Zu den Leitbildern der Bundesrepublik gehört das der "wehrhaften Demokratie". Dahinter steckt der Wunsch, dass eine Demokratie stark sein muss. Stärke aber definiert sich nicht immer über immer ausgefeiltere Instrumente der Gefahrenabwehr.

Das kann an den USA gut abgelesen werden. Der Sicherheitswahn ist dort in jede Ritze der Privatheit vorgedrungen. Die Stärke einer Demokratie aber bemisst sich doch daran, wie sie ihre Freiheit wahrt. Und am Mut, Schwächen zuzulassen, um diese Freiheit nicht zu gefährden.

Die Antwort auf die NSA-Affäre muss also sein: weniger Willkür, dafür mehr Rechtsstaatlichkeit und demokratisch legitimierte Kontrolle. Die Dienste abschaffen ist keine Lösung. Aber sie können ihrer Aufgabe auch gerecht werden, wenn sie Menschenrechte achten und sich an die Verfassungen ihrer Länder halten.

Nein, der Satz muss anders formuliert werden: Geheimdienste in demokratischen Rechtsstaaten werden ihrer Aufgabe überhaupt erst dann gerecht, wenn sie die Menschenrechte achten und sich an die Verfassungen ihrer Länder halten. Darin liegt die wahre Stärke der Rechtsstaatlichkeit.

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