NSA-Ausschuss:Strohmann der Spähaffäre

Kabinettstisch im Kanzleramt

Welche "Tischmanieren" sollen zwischen Staaten im digitalen Mit- und Gegeneinander gelten? Blick aus dem Kanzleramt Richtung Reichstag.

(Foto: Regina Schmeken)

Die Regierung rückt die geheime NSA-Spähliste nicht heraus und will selbst entscheiden, welcher Ermittler Einblick bekommt. Abgeordnete reagieren brüskiert.

Von John Goetz und Hans Leyendecker, Berlin

In diesen Tagen gibt es in Berlin eine sehr spezielle Stellenausschreibung: Gesucht wird eine Persönlichkeit, am besten ein ehemaliger Bundesrichter, der von Geheimdienstarbeit und der Sicherheitsarchitektur im Lande etwas versteht und Lust auf einen komplizierten Auftrag hat. Er soll als eine Art Sonderermittler Einsicht in die geheime Liste mit den Spähzielen der NSA bekommen. Ausgesucht werden soll er vom NSA-Untersuchungsausschuss, der ihm auch Fragen auf den Weg mitgeben soll. Aber ernannt werden soll er von der Bundesregierung. Er muss belastungsfähig und verständnisvoll zugleich sein.

Erwartet von ihm wird, dass er den Sachverhalt juristisch perfekt erfasst und in öffentlicher Sitzung im Parlament Bericht darüber gibt, ohne Details zu verraten. Nicht Ross und Reiter soll er nennen und auch nicht, wen genau die Amerikaner mithilfe des Bundesnachrichtendienstes (BND) ausgespäht haben. Es geht dabei um europäische Regierungen, Behörden und Unternehmen, die Selektorenliste umfasst Zehntausende Begriffe. Doch vom Sonderermittler: keine Namen, keine Firmen. Das jedenfalls ist die Erwartung der Auftraggeber im Kanzleramt.

Der Favorit für diese Stelle, der all diese Anforderungen erfüllen soll, steht zwar schon eine Weile fest, aber das muss nichts heißen. Theoretisch zumindest hat der Untersuchungsausschuss die Möglichkeit, einen anderen Kandidaten zu finden, der dann auch von der Bundesregierung ernannt würde. Vorausgesetzt natürlich, er passt ins spezielle Anforderungsprofil. Die Entscheidung liegt bei der Regierung.

Das Kanzleramt will auf keinen Fall, dass die Liste bekannt wird

Diese Personalie ist seit Mittwochnachmittag brandaktuell. Das Kanzleramt informierte den NSA-Untersuchungsausschuss, dass wegen einer völkerrechtlichen Vereinbarung die NSA-Liste mit den Selektoren nicht an den Ausschuss weitergereicht werden könne. Ein Sonderermittler dürfe Einblick nehmen, aber er darf die Liste nicht weiterreichen. Und es soll das Parlament die Personenauswahl treffen, aber die Ernennung behält sich die Regierung vor. Sie entscheidet. Eine wacklige Konstruktion. In einem Gespräch mit dem Spiegel hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärt, die "Vorstellung", dass die Regierung einen solchen Beauftragten ernenne, halte er für "abwegig". Die Entscheidung müsse vom "Parlament selbst getroffen" werden. Doch die Regierung möchte partout nicht, dass die Liste bekannt wird. Und sie hat Furcht, die US-Dienste und Washington zu provozieren. Kanzleramt und Geheimdienst befürchten heftige Reaktionen, wenn Einzelheiten der amerikanischen Spionageoperationen bekannt würden.

Der Weg wird nicht einfach. "Ein Sonderbeauftragter ist kein gleichwertiger Ersatz für einen Untersuchungsausschuss", sagte der Vorsitzende des Ausschusses, Patrick Sensburg (CDU) der Süddeutschen Zeitung: "Ob ein Sonderermittler die ,verfassungskonforme Erfüllung des Beweisbeschlusses' ist, muss im Zweifel das Bundesverfassungsgericht entscheiden." Der Obmann der SPD im Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, sagte hingegen, er sei mit der Lösung "sehr einverstanden". Diese "Person wird zwar von der Regierung eingesetzt, aber vom Parlament benannt. Wir haben das Heft des Handelns in der Hand". Der Ermittler müsse "dem Parlament uneingeschränkte Unterstützung gewähren" und habe "eine dienende Funktion".

Die Opposition beklagt, dass die Regierung dem Parlament nicht vertraue

Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz verlangte erneut, dass das Parlament die Liste bekomme. "Wenn man einem ehemaligen Amtsträger mehr vertraut als dem eigenen Parlament, hört der Spaß auf", sagte von Notz der SZ. Grüne und Linke kündigen an, Klage beim Bundesverfassungsgericht auf Herausgabe der Liste einzureichen. Allerdings sind die Unterlagen als geheim eingestuft, was eine Klageerhebung stark erschwert.

Über die völkervertragliche Rechtslage in diesem Fall gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das Auswärtige Amt hatte Mitte Mai ein Gutachten gefertigt, das im Fazit diplomatisch-juristisch ein sehr gelungenes Sowohl-als-auch war. Eine Passage in diesem vertraulichen Gutachten bezog sich auf den Fall des Whistleblowers Edward Snowden. Bei der Beurteilung aller schwierigen Fragen, so das Auswärtige Amt, müsse auch über die Leaks im Verantwortungsbereich der USA gesprochen werden. Das Informationsbedürfnis des Bundestags sei erst durch die Enthüllungen Snowdens geweckt worden.

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