NSA-Affäre:Was die Behörden hätten wissen müssen

Ein bisschen Ehrlichkeit in der Welt der Spione: Vertrauliche Akten des Militärischen Abschirmdienstes belegen, dass die US-Abhörmaßnahmen für deutsche Behörden ein offenes Geheimnis waren.

Von John Goetz und Frederik Obermaier

Wenn Mitarbeiter vom Verfassungsschutz oder vom Bundesnachrichtendienst über Kollegen lachen wollen, erzählen sie am liebsten Geschichten über den Militärischen Abschirmdienst (MAD). So wie vor ein paar Wochen, als Deutschlands Geheimdienstler zu einer Art Klassentreffen nach Berlin kamen: Warum der MAD-Präsident das allererste Interview in der Geschichte seines Dienstes gegeben habe, juxte einer vom BND in die Runde: Na, weil man sonst vergessen hätte, dass es den MAD überhaupt noch gibt. Tusch!

Dass der MAD Anfang 2013 eine Pressestelle mit zwei Mitarbeitern eingerichtet hat und ein Dezernat "Weiterentwicklung" bildete, gilt den anderen als drollig. Aber der kleinste deutsche Nachrichtendienst könnte im Umgang mit der NSA-Affäre Vorbild für andere sein: Er bemüht sich zumindest um ein bisschen Ehrlichkeit.

Vergleichsweise offene Auseinandersetzung mit den eigenen Fehlern

MAD-Unterlagen, die die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte, dokumentieren jedenfalls eine vergleichsweise offene Auseinandersetzung mit den eigenen Fehlern, aber auch den Versäumnissen der anderen Dienste in der Abhöraffäre NSA. Vieles, was der Whistleblower Edward Snowden in den vergangenen zwölf Monaten über die US-Geheimdienste enthüllt hat, hätten die deutschen Behörden demnach eigentlich wissen müssen. Das stellt der MAD vertraulich fest. Und natürlich seien die von der NSA ziemlich gefährlich.

Bei Anfragen von Parlamentariern zum Thema kamen die Zuständigen des MAD und im Verteidigungsministerium zu dem Ergebnis, dass man ja nicht alles sagen müsse, was man so meine. Aber das, was man sagt, müsse zumindest stimmen. So viel Ehrlichkeit ist heutzutage schon was.

Also begannen die kleinen Geheimdienstler aufzulisten, wer außer CIA und NSA von amerikanischer Seite so alles in der Bundesrepublik zugange ist: Etwa der Geheimdienst der US-Luftwaffe, der Nachrichtendienst des US-Heeres und die Defense Intelligence Agency an der US-Botschaft in Berlin. Allein 19 "Zusammenarbeitspartner US-amerikanischer Dienste" seien dem MAD namentlich bekannt.

Und das seien nur die registrierten Geheimdienstler. Hinzu komme dann aber noch "eine große nicht namentlich bekannte Dunkelziffer". Der amerikanische Luftwaffengeheimdienst habe noch mal 50 bis 60 Mitarbeiter auf dem Stützpunkt in Ramstein. Ebenso die 66th Military Intelligence Brigade in Wiesbaden. Möglicherweise sei "die zu erwartende geringe Zahl von gemeldeten" US-Agenten schon durch "geringaufwendige Recherchen" zu widerlegen. Übersetzt heißt das: Besser keine Festlegung, wenn es um das Treiben der amerikanischen Partner in Deutschland geht. Die Wahrheit kann ganz anders sein.

Nur zweimal Telefonnummern übermittelt

Weil der MAD - anders als andere deutsche Dienste - kein Kooperationsabkommen mit amerikanischen Nachrichtendiensten hat, muss er jetzt auch nicht heikle Zusammenarbeit in unangenehmen Fällen erklären. Seit 2004, das hat der MAD nachgerechnet, hat er im Rahmen des Einsatzes in Afghanistan nur zweimal Telefonnummern an US-Dienste übermittelt.

Ein bisschen Distanz ermöglicht einen klareren Blick: Die seltsamen Aufbauten auf den Dächern diverser Botschaften in Berlin, über die andere Dienste nur rätseln, bringt der MAD vertraulich "in Verbindung zu den geringen Entfernungen der sensiblen Regierungsgebäude".

Man könnte die Analyse noch klarer ausdrücken: Die Briten und die Amerikaner brauchen die Dinger auf dem Dach oder in der Wand der US-Botschaft, um die Bundesregierung und einige wichtige deutschen Politiker abzuhören. Eine Ausspähung der Mobilfunkkommunikation im Regierungsviertels sei "gut möglich".

Der kleine Dienst brauchte für diese Annahme keine millionenteure Spionagetechnologie oder besonders gute transatlantische Beziehungen. Den Dienstangehörigen reichte der gesunde Menschenverstand, ein bisschen Technikverständnis - und der Lesestoff aus dem Snowden-Fundus in Zeitungen und Zeitschriften. Nach der Lektüre kamen MAD-Experten zu einem klaren Schluss: Wenn die US-Geheimdienste es schaffen, massenhaft Metadaten auszuspähen, muss auch "der Vollzugriff auf Kommunikationsinhalte als grundsätzlich gegeben angenommen werden" .

Für das, was die NSA so in petto habe, sei die Bundeswehr nicht ausreichend geschützt, warnt der Dienst. "Hierfür existieren bislang keine programmatischen Detektionsmöglichkeiten!" Der US-Geheimdienst könne Bauteile amerikanischer IT-Produkte manipulieren und sich somit beispielsweise eine Art Hintertür in Server und Router einbauen, die auch das deutsche Militär nutzt. Freund hört mit.

Die Enthüllungen, die zur Einsetzung des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags führten, hätten ihn nicht überrascht, schreibt ein Oberstleutnant in einem internen Gutachten. Dass die NSA deutsche Kommunikation abhöre, sei doch "allgemein bekannt" gewesen.

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